MENSCHEN
Ein Oberpfälzer prägte die Wiesnkultur

Aus dem Nichts versuchte sich Michael Schottenhamel als Oktoberfestwirt – und begründete dort die traditionsreichste Festzeltdynastie.

26.07.2011 | Stand 16.09.2023, 21:07 Uhr

München/Nittenau.„O’zapft is!“ Jahr für Jahr warten zehntausende Wiesn-Fans darauf, dass dieser Satz vom Münchener Oberbürgermeister durch die Oktoberfestzelte hallt, oder genauer gesagt: durch den Schottenhamel. Denn dort, im ältesten und traditionsreichsten unter den heutigen Wiesn-Zelten, findet seit 1950 der Anstich des ersten Fasses statt. Obwohl nur Münchener Brauereien auf dem Gelände zugelassen sind, ist das Festzelt der Familie Schottenhamel eng mit der Oberpfalz verknüpft. Michael Schottenhamel, der Begründer der Bierzelt-Dynastie, erblickte am 24. Oktober 1838 in Nittenau im Landkreis Schwandorf das Licht der Welt.

Anfänge waren nicht einfach

Heute besteht nach Angaben von Christian Schottenhamel, der das Familienunternehmen gegenwärtig leitet, aber keine Verbindung mehr in die Oberpfalz. „Ich habe mir einmal den Spaß erlaubt und war zu Besuch in Nittenau. Das war vor gut und gerne 15 Jahren“, sagte er der MZ. Damals habe er in einem Telefonbuch in einer Telefonzelle einen einzigen Eintrag unter dem Namen Schottenhamel gefunden. „Leider konnte ich an diesem Tag niemanden antreffen und seitdem habe ich nicht mehr versucht, Kontakt aufzunehmen.“

Anfang in einem Bretterschuppen

Der Anfang auf dem Oktoberfest war für Michael Schottenhamel nicht einfach. Nachdem sich das Volksfest ab Mitte des 19. Jahrhunderts mehr und mehr von einem Pferderennen nach antikem olympischem Vorbild zu einem Jahrmarkt gewandelt hatte, wurde es für die Gastwirte zunehmend interessant. Sie wollten dort Fuß fassen und ihre Spezialitäten an den Mann bringen. Harte Konkurrenzkämpfe um die stark limitierten Stellplätze gab es auch damals schon, doch Michael Schottenhamel ließ sich davon nicht abschrecken. An dem großen Erfolg der Veranstaltung wollte auch er teilhaben.

München/Nittenau.Seit 1866 betrieb er mit seiner Frau, einer Wirtstochter, den Gasthof „Drei Mohren“ in der Hauptstadt des Königreichs, bekam ein Jahr später aber die Möglichkeit, sein persönliches Wiesn-Abenteuer zu starten. Dabei kam dem Oberpfälzer seine Schreinerlehre zugute, die er in der Heimat abgeschlossen hatte. Denn alles begann in einem selbstgefertigten Bretterschuppen, den er im Schatten des großen Königszelts zusammenzimmerte. Noch heute steht das Schottenhamel-Zelt unter den wachsamen Augen der Bavaria jedes Jahr auf demselben Platz auf der Theresienwiese. 1867 schenkte der passionierte Schafkopf-Spieler dort erstmals Bier an die Gäste aus und begann somit seinen Aufstieg zu einem der erfolgreichsten Zeltbetreiber. Zunächst musste er sich aber mit seiner kleinen Hütte zufrieden geben, die gerade einmal 50 Besucher beherbergen konnte, also noch keinen Vergleich zu den heutigen Biertempeln darstellt.

Das Bier ist aus!

Den großen Durchbruch verdankte Schottenhamel einem Zufall und seiner raschen Reaktion: Das Oktoberfest 1872 drohte eine äußerst trockene Angelegenheit zu werden. Der Grund: Der Biervorrat in München neigte sich bereits im Sommer dem Ende zu. Die Münchener hatten aufgrund der hohen Temperaturen schlichtweg zu großen Durst gehabt. Auch das eigens für die Wiesn reservierte Lager- und Sommerbier war schon lange vor dem ersten Anstich alle – eine Katastrophe bahnte sich an: ein Münchener Volksfest ohne Gerstensaft. Schon im 19. Jahrhundert war das eine schier undenkbare Vorstellung!

Dass es nicht soweit kam, verdankten die Münchener dem pfiffigen Schottenhamel, dem schließlich die zündende Idee kam, mit der er die Wiesn doch noch rettete. Er verkaufte statt des bisherigen Bieres eine neue Sorte aus dem Hause der Franziskaner-Leistbrauerei und vollzog damit eine kleine Oktoberfest-Revolution. Denn das hellere „Märzen“ mit seiner höheren Stammwürze setzte sich auch in den nachfolgenden Jahren als klassisches Wiesn-Bier durch.

München/Nittenau.Schottenhamels Mut zu Neuem erwies sich als richtig und sein triumphaler Siegeszug startete. Der Erfolg erlaubte es ihm, die Bretterbude hinter sich zu lassen und stattdessen 1887 als erster Festwirt in eine Zeltkonstruktion umzuziehen, in der rund 300 Gäste Platz fanden. 1896 vollzog er den nächsten Schritt. Er eröffnete eine Halle für rund 1500 Gäste, 1908 folgte die Aufstockung auf damals gigantische 8000 Plätze. „Michael I.“ war damit endgültig der König des Oktoberfests, was sich auch in der illustren Gästeliste widerspiegelte. Offiziere, der Adel und Künstler stürmen das „erste Haus am Platz“. Studenten verlegten gar ihre Vorlesungen in das Zelt. Der Schottenhamel wurde damit zu einer nicht mehr wegzudenkenden Oktoberfest-Institution.

Heute schon die fünfte Generation

Als Michael Schottenhamel am 10.Oktober 1912 starb, war die erfolgreiche Zukunft seiner Familie auf dem Münchener Oktoberfest vorgezeichnet. „Michael Schottenhamel ist als Begründer unserer Familientradition natürlich allgegenwärtig. Ohne ihn wären wir nicht das, was wir heute sind“, betonte Christian Schottenhamel. Aber auch andere Familienmitglieder hätten nach ihm die Entwicklung des Oktoberfestes und des Festzeltes stark geprägt. „Es hat sich seit seiner Zeit sehr viel verändert.“

So zum Beispiel Michaels Sohn Michael II., der das Familienunternehmen erfolgreich durch die Weltwirtschaftskrise führte und auch im Krieg die Tradition nicht vergaß. Beim ersten Oktoberfest nach dem Zweiten Weltkrieg 1949 stand auch das Schottenhamel-Zelt wieder auf seinem angestammten Platz auf der Theresienwiese.

Inzwischen arbeitet bereits die fünfte Schottenhamel-Generation im Zelt, das mittlerweile über 10 000 Sitzplätze verfügt und als der Treffpunkt der Jugend auf dem größten Volksfest der Welt gilt. Das Erbe von Michael I. aus der Oberpfalz wird also auch fast 100 Jahre nach seinem Tod gebührend fortgesetzt und die Wiesn wird wohl auch in den kommenden Jahrzehnten für alle Oktoberfest-Fans untrennbar mit dem Namen Schottenhamel verbunden sein.