Risiko
Gewagtes Spiel mit der Selbstdisziplin

Der in Regensburg aufgewachsene Joram Voelklein ist einer der besten deutschen Pokerspieler. Berühmt wurde er allerdings als Schauspieler.

01.09.2010 | Stand 16.09.2023, 21:07 Uhr
Kathrin Wieland

München.Manchmal kann es brenzlig werden, wenn Joram Voelklein seinem Hobby nachgeht. Wie in einem Casino in der litauischen Hauptstadt Vilnius: Am Pokertisch nimmt er einem Russen einige Tausend Euro ab. Dieser bedroht ihn: „Du wirst das Land nicht lebend verlassen.“ Das Casino bietet für solche Fälle den teuren Service, Spieler mit einer gepanzerten Limousine zum Hotel zu fahren. Doch Voelklein ist Spieler, er geht auf Risiko, verschwindet durch eine Hintertür, springt in ein Taxi und ist froh, als er Litauen wohlauf verlassen hat.

Joram Voelklein ist ein rationaler Typ, aber er hat Mut zum Risiko. Er gilt als einer der erfolgreichsten Pokerspieler Deutschlands. Seine Gewinnquote liegt bei über 75 Prozent. Dabei betreibt der 36-jährige Familienvater, der in Regensburg aufgewachsen ist und heute in München lebt, das Pokern eigentlich nur als Hobby. Hauptberuflich ist er Schauspieler, hat in München und Los Angeles studiert und war zuletzt unter anderem im Kino als Johnny Rocco im Streifen „Jerry Cotton“ und als böser Direktor im Kinderfilm „Hanni und Nanni“ zu sehen.

Ähnlich komplex wie Schach

In die Pokerszene sei er nur „durch Zufall reingeschlittert“, erzählt Voelk-lein. „Ich habe schon mit 14 mit Freunden gepokert und dann später ab und zu im Internet gespielt.“ Im Netz wird er von einem anderen Spieler zu einer privaten Pokerrunde in München eingeladen. Mit am Tisch sitzen zufällig Jan Heitmann und George Danzer, zwei der besten deutschen Profi-Spieler. Von ihnen lernt Voelklein. Die Runde trifft sich regelmäßig, der Schauspieler entdeckt sein Händchen fürs Kartenspiel, fährt mehrmals wöchentlich ins Casino, um zu trainieren, und wälzt Poker- und Statistikbücher. Denn Poker, so erklärt Voelklein, hat vor allem mit Mathematik zu tun. „Es ist ähnlich komplex wie Schach. Ich muss in der Lage sein, schnelle Berechnungen anzustellen und Wahrscheinlichkeiten abzuschätzen.“

München.Mittlerweile hat Voelklein sein Spiel perfektioniert. Er tritt im TV-Pokerformat „German High Rollers“ auf und ist in der ganzen Welt unterwegs, um an hohen Pokerpartien teilzunehmen – ob in Las Vegas, Macao, London oder Marrakesch. Es geht dabei um Einsätze, die für andere locker mal ein Jahresgehalt darstellen. Meist sahnt Voelklein Gewinne ab, aber manchmal trifft auch ihn eine „Downswing“- Phase – so nennt man beim Poker Zeiten, in denen ein Spieler vom Pech verfolgt wird.

„Ich kann jederzeit aufhören“

Wie reagiert man, wenn man auf einen Schlag Summen verspielt, bei denen den meisten Menschen der Atem stockt? „Für mich macht es emotional keinen großen Unterschied mehr, ob ich gewinne oder verliere“, sagt der 36-Jährige mit den grauen Schläfen nüchtern. Am Anfang sei dies noch anders gewesen. Doch er habe es sich abgewöhnt, todunglücklich zu sein, wenn er mit einem Verlust aus dem Spiel gehe. „Es bringt nichts, sich da reinzusteigern. Ein andermal gewinne ich dafür wieder. Hauptsache unter dem Strich steht ein Plus.“ Cool klingt das und abgeklärt. Überhaupt redet Voelklein ziemlich emotionsfrei und mit einer gewissen Distanziertheit vom Pokern, spricht viel von „Vernunft“, „Konzentration“ und „Selbstkontrolle“, die vonnöten seien.

Er weiß um das Suchtpotential des Spiels. „Sich Grenzen zu setzen, ist das Wichtigste überhaupt, dass man weiß, wann es gut ist, wann man aussteigen muss.“ Es könne ihm nicht passieren, Haus und Hof zu verlieren, ist er sich sicher. „Ich bin grundsätzlich sehr diszipliniert. Ich kann jederzeit aufhören.“

Voelklein vertraut auf seine Selbstwahrnehmung. Wenn er merkt, dass er müde wird oder schlecht drauf ist und das sein Urteilsvermögen einschränkt, steigt er lieber aus. Alkohol am Spieltisch ist für ihn ohnehin tabu. Nicht alle Pokerspieler verfügen über so viel Selbstbeherrschung. „Ich habe Leute am Spieltisch untergehen sehen“, sagt Voelklein. Mitgefühl empfindet er nicht. „Am Pokertisch habe ich kein Mitleid. Ich erwarte auch keines. Jeder dort ist erwachsen und für sich selbst verantwortlich. Es ist Sinn und Zweck des Spiels, seinem Gegenüber Geld abzunehmen.“

Genaue Beobachtungsgabe zählt

Seine Schauspielausbildung bringt dem 36-Jährigen einen Vorteil: Er ist darin geschult, sich seine eigene Mimik und Gestik bewusst zu machen und auch die anderen Spieler genau zu beobachten. „Ich erkenne, wenn jemand tatsächlich nervös ist, oder nur so tut, als sei er nervös“, sagt er. Poker sei ein Spiel, das auf unvollständiger Information basiere. „Die Kunst besteht darin, den Rest selbst zusammenzusetzen, sich ein Bild von den anderen Spielern zu machen und Rückschlüsse auf ihren Spielstil zu ziehen.“

Doch Menschenkenntnis und Mathematik sind nicht alles beim Pokern. Auch Glück spielt eine Rolle. Das will Joram Voelklein aber nicht überbewertet wissen. „Glück ist ein Faktor in jedem Spiel, aber ein Faktor, der sich relativiert. Es kommt auf Können und Strategie an. Ein guter Spieler wird gegen einen schlechten auf lange Sicht immer gewinnen.“

Deshalb ist Voelklein ständig am Trainieren, überdenkt seine Strategien immer und immer wieder, denn letztlich ist es nur das, was zählt: gewinnen. Wie lange er weiter an den Pokertischen dieser Welt auf Risiko gehen will, weiß er noch nicht. „Solange es Spaß macht“, sagt er lächelnd – und da kommt doch für einen Moment die Leidenschaft des Spielers durch.