Dialektserie
Graigodern, Gucken und Rodel

Zum Monatsende gibt es wieder Wissenswertes rund um den Dialekt – heute auch zu Lehnwörtern aus dem Lateinischen.

22.02.2019 | Stand 16.09.2023, 5:42 Uhr
Ludwig Zehetner

Eahnare Graigodern hams aufm Tisch.Foto: Ken Liu/dpa

Schaung aus wia Zolna

Man hatte den alten Onkel zum Essen in ein kroatisches Lokal eingeladen und für ihn Cevapcici bestellt, weil er die sicher würde beißen können. Als der Teller vor ihm stand, blickte er angewidert auf die Hackfleischröllchen. „Naa, de iß i ned“, murmelte er, „de schaung ja aus wia Zolna.“ Niemand von der Familie kannte das Dialektwort „Zoln, Zoin“. Schmellers Wörterbuch aus dem 19. Jahrhundert definiert „die / der Zollen“ als „compacter, gewöhnlich cylindrischer Klumpen, besonders von menschlichen Excrementen“ (Band II, Spalte 1115). Diese Assoziation also war es, die dem alten Herrn den Appetit verdarb. Schmeller zitiert aber auch aus einem alten Lied, in dem es heißt: „Gott Vatter nahm an Zolln Loam und schuf des Adams Leib.“ Hier erscheint das Wort in der Bedeutung ‚Klumpen‘, was sich deckt mit derjenigen von italienisch „zolla“ (Erdscholle).

Zu einer Frage von Oskar Gschwendner

Hast dein’ Graigodan dabei?

Der Einsender schreibt, in seinem Bekanntenkreis sorge der Ausdruck „Graigodan“ immer wieder für Lacher und Irritationen, und er wünscht sich eine Erläuterung. In dem Dialektwort stecken die Wortstämme „kräll-“ und „Gatter“. Es handelt sich um eine mittelbairische Lautform, da „l“-Vokalisierung vorliegt. Das Verb „krällen“ wird südlich der Donau „gràin“ ausgesprochen, in der Oberpfalz „gràlln“. Es bedeutet ‚kratzen‘ und leitet sich her von „Kralle“: „De Wimmerln derfst ned aufkreiln.“ Die „Krail, Kreiel“ ist ein Gerät, das in Landwirtschaft und Gartenbau gebraucht wird (zum Auseinanderziehen von Stallmist; zum Auflockern von Gartenerde). „Graigodan“ ist ein humoristischer Ausdruck für die Zither. Der Vergleich der aufgespannten Saiten mit einem Gatter ist durchaus originell. Auch die Gitarre wird gelegentlich „Graigodan“ genannt. Zither und Gitarre sind Instrumente, die gespielt werden, indem man mit den Fingern darüber „kratzt“. In die Schriftsprache transponiert, erhält man „Krällgatter“; im Dialekt weist das Wort ein zusätzliches „-n“ auf (vgl. andere Singularformen wie „Hadern, Hosn, Hüttn, Blosn“ (Hader, Hose, Hütte, Blase)). Im Bairischen ist „Gatter“ übrigens männlichen Geschlechts: „der Gattern“ (Weidetor, Zauntür). Drum fragt man: „Hast dein‘ Graigodan dabei?“, wenn man auf instrumentale Begleitung des Gesangs hofft.

Die Frage stellte Manuel Bösch.

Latein lässt grüßen

Wie die meisten europäischen Sprachen enthält das Deutsche eine Menge Wörter lateinischen Ursprungs, Lehn- und Fremdwörter. Obwohl „Vater, Mutter, Bruder“ den lateinischen Entsprechungen „pater, mater, frater“ ähneln, liegt keine Entlehnung vor; es offenbart sich nur die gemeinsame indogermanische Wurzel. Im Gegensatz dazu gehen „Pfeffer, Pfanne, Straße, Münze, Wein“ auf lateinisch „piper, pa(ti)na, (via) strata, moneta, vinum“ zurück. Als die Gebiete innerhalb des Limes Provinzen des Imperium Romanum waren, lernten die Germanen viel Neues kennen, wofür sie die lateinischen Bezeichnungen übernahmen, die im Laufe der Jahrhunderte ins Deutsche integriert wurden, indem sie lautliche Veränderungen erfuhren. Ein „p“ entwickelte sich zu „pf“, so dass aus lateinisch „pistor“ deutsch „Pfister“ wurde (bekannt durch die Münchner „Hofpfisterei“; auch Familiennamen wie „Pfister, Pfistermeister“ sind hier zu nennen), und aus „t“ entstand die Affrikata „ts“, geschrieben mit dem Buchstaben „z“ (tegula – Ziegel).

Der Zwielaut „ië“ entwickelte sich aus langem „e“ (bair. „Ziagl“, nordbair. Zäigl“). Durch Diphthongierung der Langvokale entstanden „Pfeiler, Mauer“ aus lateinisch „pila(re), murus“. Die Germanen hatten nur die aus Holz geflochtene „Wand“ (von „winden“) gekannt, die Römer aber errichteten Mauern aus Stein. Obgleich „murus“ männlich ist, wurde daraus „die Mauer“ durch Übertragung des Genus von „Wand“. Auch „Pferd, Semmel, Breze(n), Sechter“ (Melkeimer) haben lateinische Wurzeln. Der süddeutsche Sprachraum ist besonders reich an Lehnwörtern dieser Art. „Rettich“, bairisch „Ràdi“, hat sich lautgesetzlich exakt entwickelt aus dem lateinischen Wortstamm „radic-“ (radix, -icis, Wurzel). Die alpenländischen Wörter „Föhn, Latsche, Lawine, Mankei“ (Murmeltier) sind lateinischen Ursprungs, ebenso „Rodel“. Das bairische Verb „rodeln, rudeln“ (rollen, kugeln) hängt wohl zusammen mit „rotulare“ (zu „rota“, Rad). Das Gefährt, auf dem man im Schnee den Hang quasi hinunterkugeln kann, nannte man „Rodelschlitten“, kurz „Rodel“. „Künigl-, Kinihas“ geht auf „cuniculus“ (Kaninchen) zurück; volksetymologisch wurde es mit „Kini“ (König) in Zusammenhang gebracht. Ein anlautendes lateinisches „k“ erscheint im Bairischen teilweise als „g“, so etwa, wenn „cucullus“ (Kapuze) zu „Gugkn, Gugk“ (Tüte; Nistkasten für Vögel) führte und es steckt auch in „Gugelhupf“ und „Gugelmänner“ (monarchistischer bayerischer Geheimbund). „Gabess“ (Weißkraut) ist ein weiteres Beispiel für diese Lautung (aus „caput“ (Kopf, Haupt)).

Die Kultsprache der römisch-katholischen Kirche war bis zum 2. Vaticanum das Lateinische; es war eine Selbstverständlichkeit in der Messe sowie bei der Spendung von Sakramenten und bei Segnungen. Viele Bezeichnungen für kirchliche Amtsträger sind volkstümlich geworden, so etwa „Kobràtter, Exposi, Bene, Quadutter“ (cooperator (Mitarbeiter), Expositus, Benefiziat, coadiutor). „Mesner“ ist entlehnt aus „mansionarius“ (Aufseher, Hüter des Hauses; zu „mansio, -onis“ (Wohnstätte, Haus), abgeleitet von „manere“ (bleiben)). Den Verwalter größerer kirchlicher Anlagen hat man als „Gusterer“ bezeichnet, was sich aus „custor“ (Wächter) entwickelt hat. Eine wichtige Rolle bei traditionellen Hochzeiten als der für den äußeren Ablauf verantwortliche Zeremonienmeister spielt der „Prograder, Progroderer“. Das Wort kommt von lateinisch „procurator“ (Verwalter).

Ein geweihtes Medaillon, ein Amulett mit einem Heiligenbild darauf, wie man es in Wallfahrtsorten erwerben kann, heißt mundartlich „Amadel, Amadedl, Dedl, Namadell“. Von einem Mädchen heißt es, sie trägt um den Hals „a blaus Bandl mit am Amadedl“. Den verschiedenen Spielarten des Wortes zugrunde liegt „Agnus Dei“; denn ursprünglich zeigte so ein Amulett ein Lamm-Gottes-Bild. Das Wort stellt eine Vermengung mit „Medaille“ und „Amulett(l)“ dar.

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