MZ-Serie
Im Protzenweiher laichen die Protzen

Zum Monatsende gibt es wieder Wissenswertes rund um den bairischen Dialekt. Professor Zehetner über Frösche, Linkshänder und den Plempl im Bierglas

02.06.2014 | Stand 16.09.2023, 7:12 Uhr
Kröten können sich aufblähen. Menschen, die das aus gesteigertem Selbstbewusstsein tun, vergleicht man damit und nennt sie „Protzen“. −Foto: dpa

Was quakt denn da?

A Broz, a Hädschern

Etwa 20 Arten von Froschlurchen leben in Deutschland: Frösche, Kröten, Unken, Molche usw. Die volkstümlichen Bezeichnungen sind vielfältig und zoologisch nicht immer exakt. Die Kröten (Bufonidae), Froschlurche mit plumpem Körper und warziger Haut, nennt man in bestimmten Gegenden „Krott“, was dem schriftdeutschen Ausdruck am nächsten kommt. In seinem „Bayerischem Wörterbuch“ informiert uns Schmeller, dass zu seiner Zeit (1. Hälfte 19. Jahrhundert) auch ‚ein unter seinesgleichen besonders klein gebliebenes Geschöpf‘ als „Krott“ bezeichnet wurde, und insbesondere war es ‚eine zärtliche Benennung eines Mädchens von kleiner Statur: a hertzigé, pfànzigé, dàntschigé Krótt‘. – Seit dem 16. Jahrhundert ist „Protz“ schriftlich belegt. Da sich diese Tiere bei Gefahr aufblähen, um größer zu wirken, kam es zur Bedeutungsübertragung auf Menschen, die prahlerisch auftreten und sich wichtigmachen. Davon abgeleitet ist das Verb „protzen“, was ursprünglich bedeutete ‚sich aufblähen wir ein Protz, eine Kröte‘, ebenso das Eigenschaftswort „protzig“.

Der Regensburger Straßenname „Am Protzenweiher“ erinnert an den Protzenweiher, den Platz, wo dem vor dem Bau des Rhein-Main-Donau-Kanals zweimal im Jahr die Dult stattfand. Keineswegs heißt die Örtlichkeit so, weil dort früher etwa viele Geldprotze, also reiche Leute, gewohnt hätten, sondern weil es dort einen sumpfigen Weiher gab, wo viele Protzen ihren Laich ablegten und wo ihre Jungen schlüpften. Hochsprachlich kann die Mehrzahlform „die Protze“ lauten, mundartkonform aber ist „die Protzen“, ausgesprochen „Brozn“, Plural zu „Broz“. – Weitere regional übliche Bezeichnungen der Kröte sind „Breitling (Broadling, Broadlen)“, was auf ihren Körperbau Bezug nimmt, und „Muhme (Mouman)“, ferner „Heppen, Heppern“ sowie „Hädsch, Hädschern“.

Die Anregung lieferte Philipp Starzinger

Wenn’s lang lieng,

wern’s mar

Eine alte Nachbarin (geb. 1922) weiß folgenden Spruch herzusagen, ein gereimtes Zwiegespräch mit dem schwerhörigen Stefan, genannt Steffe: „Ja, griaß di God, Steffe. – Grod brock i d’Epfe. – Steffe, i hob di bloß griasst. – I woaß’s ned, sàn’s saua oda siass. – Steffe, du bist a Nar. – Ja, wenn’s lang lieng, wern’s mar.“ Was bedeutet das letzte Wort, das sich perfekt auf die mundartliche Lautung „Nar“ (Narr) reimt? Es bezieht sich immer auf Obst, so auch in folgenden Belegen aus der Literatur: „Winterbirnen, de san guat, bal’s mar werden. – Birnen, die lind oder, wie man auch sagt, mar oder toagi sind. – Die Grünsauren, die erst tief im Winter, wenn sie marb waren, gut schmeckten.“ Der letzte Satz liefert die volle Form „marb“, während „mar“ den Endkonsonanten eingebüßt hat (vgl. „Farb(e) › Far, Foa“). Die Bedeutung ist klar: ‚lind, weich, mürb, teigig‘. Althochdeutsch „maro, marwes“ steht als Ablautvariante neben „muruwi“, was zu „marb“ neben „mürb“ führte.

Die Frage kam von Dr. Evi Sum-Zerelles

Der Nachbar –

ein Denker

Von seinem links neben ihm sitzenden Banknachbarn abzuschreiben, erzählt einer aus seiner Schulzeit, sei ein Leichtes gewesen, weil dieser „ein Denker“ war. Ein Denker, ein Philosoph? Nein, keineswegs! Der Nachbar war Linkshänder, schrieb mit der linken Hand, „mit da denkn Hent“. Das Wort „denk, tenk, tengg“ gehört zu den sogenannten Kennwörtern des Bairischen, ein nur hier erhalten gebliebenes Relikt aus dem Germanischen, für das es Belege gibt aus dem Altnordischen und dem Langobardischen. Nicht nur für ‚link‘ steht „denk“, sondern auch für ‚linkisch, ungeschickt‘. Als „Denkerwàtsch, Denkerwàschl“ wird jemand bezeichnet, dem nichts gelingt, weil er alles falsch anpackt, eben „denkisch“ ist.

Die Frage stellte Fred Hofstetter

Der Weberknecht webt

nicht, er webert

Ausgerechnet dasjenige Spinnentier, das keine Netze webt, heißt „Weberknecht“. (Andere Bezeichnungen sind „Schneider, Haber(n)geiß, Kanker, Opa Langbein“). Sein winziger ei- oder kugelförmiger Körper schwebt oder schaukelt auf den acht extrem langen Beinen, er „webert“. Und „webernd“ bewegt sich der Weberknecht vorwärts. (Übrigens wird auch die Kohlschnake, ein ebenfalls sehr langbeiniges geflügeltes Insekt, als „Weberknecht“ oder „Haberngeiß“ bezeichnet.) Das bairische Verb „webern“ ist verwandt mit „wabern“, d. h. sich ständig hin und her bewegen, flackern. „Goldgrüne Keferling wirbeln und webern. – Die kunterbunt durcheinander wurlende, webernde Menschenmenge. – Sie hebb ned staad und webert allbod hi und her“ (Carl Orff, W. J. Bekh, Hans Hösl). Neben „webern“ gibt es die Intensivbildung „weberzen, wewazn“ = ‚unruhig sitzen, schaukeln (z. B. auf dem Stuhl)‘. Am Esstisch mahnt die Mutter ihre Kinder: „Etz hoits eich endli stàd und deats ned de ganz Zeit wewazn!“ Die Frage stellt sich, was „webern“ zu tun hat mit „Weber, Webstuhl, Gewebe“. Die Erklärung liefert das Weberschiffchen, das ständig hin und her saust.

Die Anregung kam von Helga Riezler aus Aufhausen

Der Okohler hat

nichts mit Kohle zu tun

In seiner Jugend, die er in Waldmünchen verbrachte, wurde das Verb „okohln“ verwendet für ‚beschädigen, kaputt machen‘, schreibt der Einsender, und ein Bub, der sein Spielzeug demolierte, war ein „Okohler“. Es scheint, als läge einfach die mundartliche Lautung von „ankohlen, Ankohler“ vor. Doch erscheint es kaum sinnvoll, einen Zusammenhang mit „Kohle“ zu suchen. Eher in Frage kommt der Wortstamm von mittelhochdeutsch „quâle“, was in neuhochdeutsch „Qual, quälen“ fortlebt; „quälen“ kann ja verstanden werden als ‚Schaden zufügen‘. Bereits im Mittelalter treten die Nebenformen „kâle, kâl“ auf, wo „qu“ zum einfachen Verschlusslaut „k“ wurde – wie etwa auch bei „kommen“, bairisch „kemmen, kummen“ aus althochdeutsch „quëman“. Ein „Okohler“ ist demnach jemand, der Schaden anrichtet.

Die Frage stellte Rainer Lacler

„Kein besseres Bier, der

gleiche Plempel wie immer“

Deutsche Wörterbücher enthalten das Wort „die Plempe“ mit der Angabe: ‚schlechtes, dünnes, fades Getränk‘. Da es im Österreichischen Wörterbuch fehlt, darf man annehmen, dass es dort nicht bekannt ist, weil es sich um ein norddeutsches Wort handelt, das vielleicht in Zusammenhang steht mit dem soldatensprachlichen Ausdruck „Pempe, Plampe“ für ‚Seitengewehr‘, das lose am Koppel (bairisch: an der Koppel) baumelt. Ein Getränk, das wie dieses hin und her geschüttelt wird, schmeckt schal. „Die Plempe“ kennt das Bairische nicht, sehr wohl aber „der Plempl“ (Maskulinum!). „Der Plampel, Plempel“ wird bei Schmeller (Band I, Spalte 547) definiert als ‚schlechtes Bier, dünnes Getränk‘; die Verben „plempeln, plempern“ bedeuten ‚viel und oft trinken‘. In Eugen Okers Erinnerungen liest man: „Kein besseres Bier, der gleiche Plempel wie immer.“ Als gebürtiger Schwandorfer verwendet der Autor auslautendes „l“, da in der Oberpfalz die l-Vokalisierung nicht gilt. Im Gebiet der l-Vokalisierung hingegen lautet das Wort „Blempe“, was beinahe lautgleich ist mit „Plempe“. „Dein‘ Blempe konnst säiwa sauffa“, mault der unzufriedene Gast den Wirt an, wenn ihm das Bier nicht schmeckt, er es als geschmacklos und zu dünn ablehnt. Annähernd dieselbe Bedeutung wie „der Plempl / Plempe“ haben „Gsief“ (= Gesüff ‚Gesöff‘), „Schäps“ (Dünnbier) und Gwàsch..

Die Frage kam von Hans Holzmann

Noch mehr Bayerisch mit dem Dialektpapst Prof. Dr. Ludwig Zehetner gibt esin unserem Podcast „Basst scho!“.