Serie
Nimm an Segerer, koa Rogl!

Zum Monatsende gibt es wieder Wissenswertes rund um den Dialekt – heute über ein paar Kuriosa und deren Herkunft.

25.01.2019 | Stand 16.09.2023, 5:52 Uhr
Ludwig Zehetner

Lauter Rogeln und Segerer für die vielen Einkäufe Foto: Bodo Marks/dpa

Hast an Segerer dabei?

Als „Seger, Segerer, Zeger, Zegerer, Zöger, Zögerer, Zecker, Zeckerer“ bezeichnet man im Dialekt eine sackartige Tasche aus Stroh, Bast oder Stoff, oft mit zwei eisernen Trageringen versehen, oder einen geflochtenen Einkaufskorb. Eine Tüte nennt man im Bairischen „Rogl“ oder „Stranizen“. Ein Freund von mir erzählt, wie er als Bub beim Dorfkramer für die Mutter verschiedene Kleinigkeiten eingekauft hat, die er nicht alle im Arm heim tragen konnte. Darum bat er die Verkäuferin: „Kànnst ma bittschön – a Dittn gem?“ Sie kriegt einen roten Kopf und legt schützend ihre Hände vor die Brust. Da kapiert der Bub, wie die junge Frau seinen Wunsch missverstanden hat. Passiert ist das, weil er die ihm geläufige bairische Bezeichnung „Rogl“ vermieden und dafür das schriftdeutsche Wort „Tüte“ verwendet hat, bloß eben mundartlich ausgesprochen. Unter „Rogel“ versteht man meist eine relativ große, breite Tüte. Eine papierene Spitztüte heißt „Stranizn, Stranizl“. Die verschiedenen Spielarten des Wortes – „Stramitzl, Stamitzl, Scharnitzl, Scharmitzl“ – verweisen auf italienisch „scarnuzzo“, was ‚Innenseite eines Tierfells‘ bedeutet (von lateinisch „excarnare“: das Fleisch entfernen von der Tierhaut). Die Vorläufer von Tüten waren wohl lederne Beutel. Auch das Pergament, auf das man vor der Erfindung des Papiers geschrieben hat, wurde aus Tierhäuten hergestellt. So ist wohl zu erklären, dass „straniza“ im Russischen ‚Buchseite‘ bedeutet. Sowohl bairisch „Stranizen“ als auch russisch „straniza“ dürften auf die genannte italienische Wurzel zurückgehen.

Nach einem Gespräch mit Franz Kerschensteiner

An Schnaps kon-i leicht groon

Wie ungemein vielseitig das Bedeutungsspektrum von „Rat, raten“ ist, vergegenwärtige man sich anhand von: „guter Rat, Ratschlag, ratsam, ratlos; Vorrat, Hausrat, Unrat; Gerät, Rätsel; Rathaus, Stadtrat, Landrat, Bundesrat, Beirat; Studienrat; Heirat“. Wortbildungen mit dem Verb „raten“ sind „be-, an-, zu-, ab-, ver-, er-raten“, schließlich „missraten“ und „geraten“. Im Dialekt tritt „geraten“ auf in der Lautung „groon“, nordbairisch „groun“. In einem Vers von Eugen Oker heißt es: „bal de dei wei eachad / bal da nixn groudd / woarum solsd nouchand niad ens wiazhaus güi“ (Wenn dich deine Frau ärgert, wenn dir nichts gelingt (glückt), warum sollst du dann nicht ins Wirtshaus gehn?)

Außer in dieser Bedeutung kommt „geraten“ mundartlich auch vor im Sinne von ‚entbehren, verzichten‘, wofür veraltet hochsprachlich „entraten“ steht (mit Genitiv: „des Trunkes entraten“). Das Geständnis eines Burschen findet man bei Wolfgang Johannes Bekh: „I han beicht, / i grat’s Dirndl net leicht.“

In der „Heiligen Nacht“ von Ludwig Thoma steht der Satz: „Da kunnt oana ’s Bier net ganz g’rat’n“, er könnte also aufs Bier nicht ganz verzichten. Kaum vor einer Alkoholkontrolle zu bangen braucht einer, der erklärt: „An Schnaps kon-i leicht groon.“

Eine Klärung für Hermann Becker

Äiamol hamma Erpfl ghod

Immer wieder wird die Frage gestellt nach der Herkunft der oberpfälzischen Ausdrücke „äiamol, äiaramol“, ebenso nach deren mittelbairischen Entsprechungen „adiamoi, adiam, diam, diem“. Diese Adverbien sind herzuleiten aus den dreiteilig zusammengesetzten mittelhochdeutschen Wörtern „ië-ein-mal“ bzw. „et-ië-mal“. Mit „ië“ liegt die historische Vor-form von heutigem „je“ vor (was auch in „jeder, jemand, jemals, jetzt“ steckt); „et-“ steht für ‚irgend‘ (wie in „etwa, etwas“). Wenn man „äiamol“ Silbe für Silbe in unsere heutige Sprache überträgt, erhält man ‚je-ein-mal‘, und ‚je-mal‘ für das kürzere „äimol“.

In der sogenannten „Steinpfalz-Hymne“ heißt es: „Äiamol hamma Erpfl ghod, äiamol niat aa“ (Manchmal hatten wir (genug) Kartoffeln, manchmal aber auch nicht). „Äiamol dramst / Fliegl warn da gwachsn“ steht in einem Gedicht der oberpfälzischen Lyrikerin Margret Hölle (Ab und zu träumst du, Flügel wären dir gewachsen). Die folgenden Sätze stammen aus Nieder- oder Oberbayern. „A diam hod’s gweizt“, weiß die Uroma aus ihrer Kindheit im Bayerischen Wald zu erzählen. „Bal’s wahr is, was an diem oa verzählt ham“ (Franz von Kobell, 19. Jahrhundert). „Er erinnerte diemalen seinen Spießgesellen an das Gelübde“ (Ludwig Thoma, 1897).

In einem Sagenbuch von Emmi Böck (1975) lesen wir über Verstorbene, die des Nachts als „Weiz“ (Spukgestalt, Gespenst) erscheinen: „Diamal tun die, wo sich anmelden, am Bett zupfen.“

Georg Lohmeier hält folgende jahreszeitliche Beobachtung fest: „Der heilige Benedikt / diam schon die ersten Schwaiberl schickt“ – das heißt: Am Tag des hl. Benedikt (21. März) kommen bereits die ersten Schwalben von ihrem Winterquartier zurück – aber eben nicht jedes Jahr, sondern nur ab und zu, gelegentlich, manchmal, immer wieder einmal. Dies ist nämlich die Bedeutung der scheinbar rätselhaften Dialektwörter.

Eine Frage von Dr. Gereon Motyka

Sä, a bor Guatln

Wenn die Oma uns Kindern Süßigkeiten geschenkt hat, sagte sie: „Sä, a bor Guatln fiar engg“, gebrauchte also die inzwischen selten gewordene Partikel „sä“. Diese wird von manchen Leuten für eine Entlehnung aus dem Französischen gehalten. Lautlich deckt es sich zwar mit der Aussprache von „c’est“, aber inhaltlich passt es partout nicht. Kein Franzose begleitet die Überreichung von etwas Erbetenem mit „c’est“ (das ist), sondern mit „voilà“. Folgende Überlegung führt zu dem Ergebnis, dass das Wörtchen „sä“ einwandfrei deutscher Herkunft ist.

Wenn die Kellnerin dem Gast das bestellte Gericht serviert, sagt sie: „So, Eahna Schweinsbron, do schaung S‘ her.“ Oder es heißt: „Schau her, dei Wechslgeld.“ Dies beinhaltet eigentlich keine direkte Aufforderung zum Herschauen, es handelt sich um eine floskelhafte Redewendung. „Schaung S‘ her, schau her“ sind die heutigen Entsprechungen für das alte „Sä“. Nimmt man statt „herschauen“ das Verb „sehen“, dann erschließt sich die Herkunft des in Frage stehenden Wortes als eine isolierte und erstarrte Imperativform zu „sehen“, bedeutet also dasselbe wie „Schau!“ oder „Sieh!“ – oder feierlich hochsprachlich „Siehe da!“ Ebenfalls von „sehen“ leitet sich das Satzanhängsel „sia“ her, das man gelegentlich noch hört: „I hob dir’s ja glei gsagt, sia!“

Angeregt von Angelika Schmalzbauer-Schwarzfischer

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Noch mehr Bayerisch mit dem Dialektpapst Prof. Dr. Ludwig Zehetner gibt esin unserem Podcast „Basst scho!“.