Dialekt
„Wenn des ned so unkampad waar“

Heute geht es um Wörter mit der Vorsilbe „un-“ und Sinnverwandtes.

13.01.2011 | Stand 16.09.2023, 21:09 Uhr

Regensburg.Die Vorsilbe „un-“ hat unterschiedliche Wirkung auf das Wort, vor das sie tritt. Meist trägt das Präfix die Bedeutung von „nicht“, das heißt, der Wortsinn verkehrt sich ins Gegenteil. Dies trifft zu für „Unsinn, Unruhe, Unrecht, unbrauchbar, unbegrenzt, unerlaubt, ungerade“ usw. Einer Verstärkung dient „un-“ z. B. bei „Unmenge, Unzahl“, womit ‚große Menge, beträchtliche Anzahl‘ gemeint ist. So kommt es, dass mit „Untiefe“ entweder eine ‚seichte Stelle‘ gemeint sein kann oder aber ‚gewaltige Tiefe‘. Die Bedeutungsnuance ‚übel, schlimm‘ wird deutlich bei „Unhold, Unwetter, Unding“. Schließlich kann es sein, dass zwischen dem einfachen Wort und demjenigen mit vorangesetztem „un-“ kein inhaltlicher Unterschied besteht, wie dies bei „Kosten, Unkosten“ oder „Gewitter, Ungewitter“ der Fall ist. Gewisse Wörter existieren ausschließlich in der mit „un-“ präfigierten Form, so etwa „Ungeziefer, unwirsch, ungeschlacht“.

„Un-“ mit langem Vokal

Im südlichen Deutsch, also in Bayern, Österreich und in der Schweiz, werden die meisten der mit dem Präfix „un-“ gebildeten Eigenschafts- und Hauptwörter auf der 1. Silbe zu betont, also auf dem „un-“, ausgesprochen mit langem, geschlossenem Vokal. Daher sind bei uns beispielsweise die beiden „u“-Laute von „Unruhe“ von gleicher Quantität und Qualität. Wir sagen nicht „Unnruhe, Unnfall“ (wie im Duden angegeben), sondern „Uunruhe, Uunfall“, im Dialekt „Uunruah, Uunfoi (Uumfoi)“.

Mit Erstsilbenbetonung sprechen wir „únabsichtlich, únaufhaltsam, únausweichlich, únvermeidlich, únmittelbar, úngefähr“ und Dutzende weiterer mit „un-“ gebildeter Wörter (nicht „unn-absíchtlich, unn-mittelbár“ usw.). Übrigens trägt im südlichen Deutsch auch das Wort „Uniform“ die Betonung auf der 1. Silbe, die lang gesprochen wird, während der Norden meist „Unnifórm“ sagt.

Betont oder unbetont

Gelegentlich verschiebt sich allerdings der Akzent, und zwar dann, wenn auf dem Wort besonderer Nachdruck liegt. Das trifft z. B. zu bei „unbàndig“; man hört es sowohl auf „un-“ betont als auch auf „bàn-“: „a unbàndige Wuad, unbànde vui Gäid.“ Das Wort ist mundartnah; allerdings gibt es auch schriftdeutsch „unbändig“. Es handelt sich um die Negation zu mittelhochdeutsch „bendec“, das bedeutete ‚an das Band, an die Leine gewöhnt‘ und bezog sich ursprünglich auf Hunde. Bei „unéndlich“, älter „unénds, unénz“ (aus „un-endes“), steht die Silbe „un“ meist im Nebenton. In Fügungen wie „Sie ham se unéntle gfreid; unéntle daia, unéntle draure“ usw. gebraucht die Mundart das Wort im Sinne von ‚hochgradig, äußerst, überaus, sehr (gefreut, teuer, traurig)‘. Heute wohl kaum mehr belegbar sind das Substantiv „der Unend“ (für ‚ausgelassene Person, Treibauf‘) und das Eigenschaftswort „unendig“ (für ‚nichtsnutzig, ausgelassen‘). Schmeller liefert folgende Sätze: „Du Unent du! Muast wieda so unenti sei? Bua, du bist so unenti, dàs ma di ned hom ko.“

Ungampert – unkampert

Die dargestellte Aussprache und Betonung erscheint besonders deutlich bei reinen Dialektwörtern, bei denen langvokalisches „un“ oft als nasaliertes langes „?“ (ohne hörbares „n“) erscheint. Ein markantes Beispiel ist „?-däi“, mittelbairische Lautform eines Wortes, das man als „undell“ oder „undill“ ansetzen könnte. Es wird verwendet im Sinne von ‚ungeschickt (von Menschen), unpassend, unförmig (von Sachen)‘. Die Bedeutung kommt derjenigen von „ungampad“ nahe, was Eigenschaften wie ‚steif, starr, unnachgiebig, ungeschmeidig, ungelenk, unbequem, sperrig, unhandlich, hinderlich‘ bezeichnet. Materialien wie Stoff oder Leder können „ungamper, ungampert“ sein und werden erst durch den Gebrauch geschmeidig und bequem. Ein frisch gestärktes Hemd oder neue Schuhe können so sein; Eugen Oker erwähnt die „ungamperte Leinwand“ eines Ölgemäldes. Man findet das Wort auch in der Bedeutung ‚missgestaltet, unförmig, ungeschickt‘. Verbreitet tritt die Lautvariante „umkampert“ auf. Beim Transport von Möbelstücken wird gejammert: „Wenn no des Glump ned so unkampad wàr, na bringad ma’s ins Auto eini.“ Die Form mit hartem „k“ widerspricht der Vermutung, „gamper, gampa“ könne eventuell auf „gangbar“ zurückzuführen sein.

Regensburg.„Der Unfurm (U-furm), der Ungesund (U-gsund)“ und „undanks (u-danks)“ sind alte bairische Ausdrücke. Mit „U-furm“ kann ‚üble Gewohnheit, Unart‘ gemeint sein – oder eine Person, die damit auffällt, etwa ein Lausbub, der oft etwas anstellt, ein Planer, Schlingel. Über einen Menschen, der zu häufigem Kranksein neigt, sagt man, „der is voller U-gsund“. Mit der Feststellung „Dem treibt’s an U-gsund ausser“ wird kommentiert, wenn jemandem „Wimmerl“ (Pusteln, Ausschlag) auffahren oder er unter „Oassn“ (Geschwüren, Furunkeln) leidet. Ob heute noch jemand „u-danks“ sagt, wenn er ‚gedankenlos, unabsichtlich, unverhofft‘ ausdrücken will? „Es is u-danks gscheng“ heißt so viel wie: ‚Es geschah unabsichtlich, ohne dass ich es wollte.‘

Wortstamm „bar, bär“

Aus dem Sprachschatz des Bayerischen Waldes stammt das Wort „un-, u-ràwe“ (von Kindern: ‚unruhig, ungezogen, unartig‘) und in ähnlicher Bedeutung „un-, u-schlinte“ (‚frech‘). Dort hört man „Do bin e unwissla woan. Den hamand’s unwissla gschlong“ (‚ich wurde ohnmächtig; sie schlugen ihn bewusstlos‘).

Längst aus dem Sprachgebrauch verschwunden ist „u-brocht“ (ungebracht) für ‚ungestaltet, derb, grob‘, ebenso das Adjektiv „u-bascht“ oder „o-bascht“ für ‚ungebärdig, unartig‘. Die beiden letzten Wörter galten im Chiemgau; sie sind aufzulösen als „un-, â-bard“ (mit der dort üblichen Lautentwicklung „-rt › -rscht › -scht“, zu „gebahren, gebärden“). Eine Entsprechung liefert das bayerwäldlerische Adjektiv „u-bàd“ (‚ungebärdet, wild‘). Und dem weitverbreiteten Wort „bàlous“ enthält wahrscheinlich ebenfalls den Stamm „-bär-“: „gebär-, bär-los“. Das ergibt durchaus Sinn, weil es folgende Bedeutungen umfasst: ‚ungestüm, nicht warten könnend, schwer zufrieden zu stellen, eigensinnig, verwöhnt, wählerisch, gierig, neidisch, boshaft‘. Alle diese Eigenschaften sind eingeschlossen, wenn jemand als „a bàlousa Drack“ abqualifiziert wird.

Nicht fehlen dürfen bei diesen Ausführungen zum Präfix „un-“ die Redensarten „Nix für unguad“ und „ungspitzt in’n Bodn einihaun“ sowie die Befunde „nicht unrecht, nicht uneben“. Heißt es von einer Person: „Dees is koa Unrechte ned, sie is ned un-eem“, so kommt verhaltenes Lob zum Ausdruck: ‚Sie ist sympathisch, angenehm und umgänglich im Wesen.‘