Dialekt
Z’ Rengschbuag redt ma anderscht

26.07.2012 | Stand 26.07.2012, 21:56 Uhr
Regensburg ist eine Insel – zumindest, was den Dialekt angeht. −Foto: dpa

Dass man in Regensburg „anders redet“, das weiß man im Norden und Süden, im Osten und Westen der Stadt. Ist sie etwa dialektfrei? Nein, sie ist nicht nur eine Großstadt in Bayern (wie München, wo das Bairische in der jüngeren Generation als ausgestorben gilt), sondern immer noch eine „bairische“ Stadt. Die Regensburger Stadtmundart fällt jedoch durch eine Besonderheit auf: Sie ist nicht oberpfälzisch, d. h. nordbairisch, sondern gleicht weitgehend dem Mittelbairischen, wie es in Nieder- und Oberbayern und in fast ganz Österreich verbreitet ist. Während die Oberpfälzer sagen: „Läiwa Bou, äitz bist mäid. Den Bräif dou mäima zoubappm“, hört man in Regensburg anstelle der sog. gestürzten Diphthonge „äi, ou“ durchwegs „ia, ua“: „Liawa Bua, iatz bist miad. Den Briaf do miassma zuabappm“. In Regensburg steigt man auf „a gloane Loatta“, braucht „koane Oa(r)“, wofür es in der Oberpfalz heißt: „a gloine Loitta, koine Oia“ (kleine Leiter, keine Eier). Dabei liegt Regensburg keineswegs am Rand des Nordbairischen, das im Donaubogen bis zu 40 km südlich des Flusses gilt. Insofern kann man die Stadt als Sprachinsel bezeichnen.

„Vui Gäid“ oder „vüll Gölld“

Hinsichtlich der Behandlung von „l“ nach Vokal geht Regensburg allerdings konform mit der Oberpfalz, nicht mit dem Mittelbairischen, wo der Laut nämlich seine konsonantische Qualität verliert, was sich erweist an Lautungen wie „oid, Mai, äin, Himme, Kiwe“ (alt, Maul, ölen, Himmel, Kübel). ‚Er will viel Geld‘ erscheint daher als „er wui vui Gäid (wäi, väi,Göid)“. Im Nordbairischen hingegen bleibt das „l“ erhalten; es wird ü-haltig ausgesprochen, und der Vokal davor erfährt eine Rundung: „er wüll vüll Gölld“. Am Alten Rathaus entdeckt man für ‚Elle‘ die Schreibung „öln“, was als Nachweis betrachtet wird für die gerundete Aussprache eines Vokals vor „l“ bereits im 15. Jahrhundert.

Die Sprach-Geschichte Regensburgs ist aufs engste mit der Stadt-Geschichte verknüpft. Man nimmt an, dass die gestürzten Diphthonge im 12. Jahrhundert entstanden sind. Im Hochmittelalter dürfte in Stadt und Land einheitlich nordbairisch gesprochen worden sein.

„Über d’Bruck wird ned gheirat“

Bereits im frühen Mittelalter war Regensburg ein bedeutender administrativer und kirchlicher Mittelpunkt (6./7. Jh. Herzogssitz der Agilolfinger, seit Anfang 8. Jh. Bischofssitz). Von karolingischer Zeit an hatte sich die Stadt zum wichtigen Handelszentrum an der Kreuzung großer Handelsstraßen entwickelt, sodass sie im 13. Jahrhundert die volkreichste und wohlhabendste Stadt Süddeutschlands genannt wurde. Als Regensburg aber 1245 Freie Reichsstadt wurde, geriet es zunehmend in die Isolation. Rundherum war es eingeschlossen von herzoglich-bayerischem Territorium. Umso mehr dürften alte Handelsbeziehungen mit Partnern in weiterer Entfernung gepflegt worden sein. Die attraktive Großstadt zog aus dem gesamten süddeutschen Raum Handwerker und Kaufleute an, die in Regensburg sesshaft wurden. Es ist anzunehmen, dass viele ihre Familien zu sich holten und ihre Kinder gern mit denen von auswärtigen Geschäftspartnern verehelichten. Kaum ein Bürger Regensburgs wird eine Frau aus dem ländlichen Nordgau genommen haben, und bestimmt war es unerwünscht, dass die Tochter einen armen Oberpfälzer heiratete. Noch heute kennt man in Regensburg den Spruch: „Über d’Bruck wird ned gheirat.“

Als im 14. Jahrhundert andere Donau-Städte ihren Aufschwung nahmen, erwies sich die Reichsunmittelbarkeit Regensburgs als Nachteil. Die Stadt sank ab in ein politisches und wirtschaftliches Randdasein. 1542 wandte sich Regensburg der Lehre Luthers zu. Im Jahrzehnt darauf war nur mehr ein Drittel der Einwohner katholisch. Bald gab es vier evangelische Kirchen in der Stadt, als fünfte kam 1631 die imposante Dreieinigkeitskirche dazu. Alsbald befanden sich die bürgerlichen Schlüsselstellungen in protestantischer Hand; Protestanten bestimmten das kulturelle Leben.

Politisch, konfessionell und kulturell war die Stadt also wirklich zu einer Insel geworden. Doch was hat die Konfession mit der Sprache zu tun? Es gilt herauszufinden, wie es zu der bemerkenswerten Dominanz mittelbairischer Lautungen gekommen ist. Während der Gegenreformation fanden viele Protestanten aus dem übrigen Altbayern und aus Österreich Zuflucht in Regensburg, wenn sie ihres Glaubens wegen die Heimat verlassen mussten. Die ersten österreichischen Exilanten kamen 1561 aus Salzburg; von 1600 an verstärkte sich der Zustrom gewaltig. Aus dem Erzbistum Salzburg wurden an die 20 000 Menschen vertrieben. Für viele von ihnen war Regensburg zumindest Zwischenstation, bevor sie weiterreisten – nach Holland, Ostpreußen oder Amerika. Viele protestantische Neubürger, vor allem aber deren Nachkommen, nahmen eine bedeutende Rolle ein im kulturellen und politischen Leben der Stadt. Einige Beispiele: Aus Oberösterreich stammte die adelige Familie Gumpelzheimer, die Löschenkohl kamen aus Wien, aus Linz Stadtbaumeister Johann Michael Prunner; aus Straubing Ulrich Schmidl, der zum Mitbegründer von Buenos Aires wurde.

In unserem Zusammenhang wichtig ist die Tatsache: Alle diese Neu-Regensburger hatten ihren mittelbairischen Heimatdialekt mit in diese Stadt gebracht. Wir dürfen annehmen, dass sich von der Mitte des 16. Jahrhunderts an die fallenden Diphthonge des Mittelbairischen („da Bua is miad“) immer mehr etablierten und die nordbairischen Entsprechungen mit gestürzten Zwielauten („da Bou is mäid“) nach und nach ganz verschwanden. Mit dem „Immerwährenden Reichstag“ (1663 - 1806) zog barock-weltläufiges Leben in die Stadt ein, eine städtisch-höfische Kultur entfaltete sich, an der das Umland kaum beteiligt war.

Ludwig Zehetner steht regelmäßig auch im Turmtheater Regensburg auf der Bühne – in „Mei Fähr Lady“.

In diese Zeit fällt die erste Dokumentation bairischer Dialektwörter, zugleich die erste derartige Sammlung im deutschsprachigen Raum überhaupt: das 1689 gedruckte „Glossarium Bavaricum“ des Regensburger Gelehrten, Dichters und Diplomaten Johann Ludwig Prasch (1637 - 1690, Nachkomme protestantischer Immigranten aus dem Salzburgischen). Darin findet man keine Spur von gestürzten Diphthongen, aber auch kein vokalisiertes „l“. Auf dem Krauterermarkt kaufte man schon damals „gölwe Ruam“ und anders „Gmias“ – und nicht „Roum, Gmäis“. Die engste Gasse der Stadt heißt „Kuahgassl“ – obwohl ‚die Kuh‘ im Regensburger Umland „Kouh“ heißt.

Nordbairisch galt als „gschert“

Im 19. Jahrhundert sank Regensburg ab zu einer provinziellen Verwaltungs- und Beamtenstadt, an welcher die Frühphase der Industrialisierung vorbeizog. Daher unterblieb ein nennenswerter Bevölkerungsschub aus der Provinz, der zu einer Beeinflussung des Stadtdialekts geführt haben könnte. Das Nordbairische galt als ‚gscherte‘ Dienstbotensprache, der Mittelstand und das gehobene Bürgertum distanzierten sich bewusst vom „Pöfel, der grob und unleidlich redet“, wie es Prasch für seine Zeit befunden hat. Die Stadtbürgerschaft pflegte, wohl aus einem gewissen großstädtischen Dünkel heraus, eine bairische Verkehrssprache, wie sie in München oder in Landshut oder aber in Salzburg, Linz oder Wien üblich war, eine Art Regensburger „Honoratioren-Bairisch“ von überwiegend mittelbairischer Prägung. Nach wie vor erweist sich Regensburg in der Tat als mittelbairische Sprachinsel im nordbairischen Umland.

Professor Dr. Ludwig Zehetner zeigte auf, wie groß der Reichtum und die Ausdrucksformen des Dialekts sind.

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Noch mehr Bayerisch mit dem Dialektpapst Prof. Dr. Ludwig Zehetner gibt esin unserem Podcast „Basst scho!“.