Pro und Contra
Soli-Abschaffen: Ja oder nein?

Der Soli muss weg, sagt Stefan Stark. Ihn abzuschaffen, wäre falsch, meint Sebastian Heinrich. Ein Pro und Contra.

20.02.2018 | Stand 16.09.2023, 6:07 Uhr

Die einen rackern sich ab, die anderen lassen ihr Vermögen arbeiten: Bei den Steuern stellt sich die Gerechtigkeitsfrage – auch beim Solidaritätszuschlag. Foto: Jens Büttner/dpa

Pro: Steuerzahler entlasten, Steuervermeider erwischen

Wissen Sie noch, was Sie am 19. Juli 2017 getan haben? An diesem Tag arbeiteten Sie im vergangenen Jahr erstmals für den eigenen Geldbeutel – zumindest, wenn Sie ein typischer Arbeitnehmer oder Unternehmer sind. Die Rede ist vom Steuerzahlergedenktag, der so spät wie noch nie in den Kalender fiel. Der Steuerzahlerbund errechnete: Von einem verdienten Euro gingen nur 45,4 Cent aufs eigene Konto. Der Löwenanteil floss ans Finanzamt und an die Sozialversicherung. Jedes Jahr werden die Bürger kräftiger gemolken – obwohl die Steuereinnahmen auf immer neue Rekordhöhen sprudeln. Es wird endlich Zeit, dass der Fiskus den Bürgern mehr von ihrem sauer verdienten Geld lässt. Leistung muss sich wieder lohnen. Also weg mit dem Solidaritätszuschlag. Union und SPD springen mit ihrem Soli-Reförmchen zu kurz. Der Zuschlag muss weg – sofort und für alle Steuerzahler.

Man muss es sich förmlich auf der Zunge zergehen lassen: Der Soli ist eine Steuer auf eine Steuer. Er wird unter anderem auf Einkommens-- und Lohnsteuer erhoben. Wer brav seine Steuern zahlt, wird also noch einmal zur Kasse gebeten. Und noch etwas ärgert viele Beschäftigte: Wegen der kalten Progression bezahlen inzwischen viele aus der arbeitenden Mittelschicht den Spitzensteuersatz – und dann noch den Soli obendrauf.

Mit wem also sind die Steuerzahler solidarisch? Mit einem Staat, der sich bei der Belastung der Arbeitseinkommen unersättlich zeigt.

Dabei ist die Grundlage längst entfallen. Viele Jahre wurden die Mittel für den wirtschaftlichen Aufbau Ostdeutschlands verwendet. Doch inzwischen ist der Solidaritätszuschlag eine ganz normale Bundessteuer, mit der allgemeine Ausgaben finanziert werden. Mit wem also sind die Steuerzahler solidarisch? Mit einem Staat, der sich bei der Belastung der Arbeitseinkommen unersättlich zeigt. Deutschland ist im internationalen Vergleich ein Spitzensteuerland. Innerhalb der OECD-Staaten zahlen nur die Beschäftigten in Belgien noch mehr.

Natürlich brauchen die öffentlichen Haushalte Geld, um Schulen, Krankenhäuser, Infrastruktur und andere wichtige Leistungen zu finanzieren. Wir wollen kein Trump-Land, wo sich der Staat aus der Daseinsvorsorge zurückzieht, sondern das Gegenteil: Bund, Länder und Kommunen müssen die Mittel bekommen, um die Weichen für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu stellen. Diese Aufgaben dürfen aber nicht einseitig den Beschäftigten und den steuerzahlenden Betrieben aufgebürdet werden.

Der Staat muss endlich einen Obolus von jenen fordern, die sich bislang um eine angemessene Besteuerung drücken. Also Schluss mit den ganz legalen Steuervermeidungsmodellen für internationale Konzerne wie Apple, Amazon, Google & Co. Trocknet endlich die Steueroasen aus, wo Milliardäre ihr Geld verstecken. Behandelt die Vererbung großer Vermögen wie Einkommen aus Arbeit. Gleichzeitig muss der Staat gegen die Verschwendung von Steuermilliarden vorgehen – Stuttgart 21 und der Hauptstadtflughafen sind nur zwei besonders ärgerliche Beispiele.

Mit all diesen Maßnahmen könnte man den Wegfall des Solis mehr als kompensieren. Gleichzeitig würde die künftige Bundesregierung ein böses Vorurteil entkräften, falls sie den Mut hat, diese Gerechtigkeitslücken zu schließen: dass nur der, der arbeitet und Steuern zahlt, der Dumme ist.

Stefan Stark:

Der Autor hat nicht grundsätzlich eine Allergie gegen Steuern und Abgaben. Der Staat muss natürlich handlungsfähig bleiben. Was ihn aber nervt: Es sind immer die üblichen Verdächtigen, die nach Strich und Faden ausgenommen werden.

Contra: Eine Soli-Abschaffung macht Deutschland noch ungerechter

Irgendwo zwischen Blitzeis und Hautausschlag: Dort dürfte, grob geschätzt, der Solidaritätszuschlag liegen im Unbeliebtheitsranking der meisten Deutschen. 1991 wurde der Beitrag erstmals für ein Jahr eingeführt, begründet durch die finanzielle Beteiligung Deutschlands am ersten Golfkrieg; 1995 tauchte der „Soli“ wieder auf den Lohnzetteln, in den Steuererklärungen der Arbeitnehmer und in den Jahresabschlüssen der Unternehmer auf. Seither ist er nicht verschwunden, obwohl viele Politiker das versprochen haben. Das nervt Millionen Bürger – und das ist verständlich. Den Solidaritätszuschlag abzuschaffen, wäre trotzdem falsch. Weil eine Soli-Abschaffung den meisten gar nicht helfen würde – und weil der Bund die Soli-Einnahmen braucht.

Eine Soli-Abschaffung käme vor allem Arbeitnehmern mit besonders hohen Einkommen zugute. Wer wenig verdient, zahlt überhaupt keinen Soli – oder sehr wenig. Bei einem Durchschnittseinkommen sind es ein paar Euro pro Monat. Deutlich mehr auf dem Konto hätten ohne Soli nur die zehn Prozent mit den höchsten Einkommen. Wer den Soli abschafft, spreizt die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland also noch ein bisschen weiter. Das ist das Gegenteil von gerechter Steuerpolitik.

Wer den Soli abschafft, spreizt die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland also noch ein bisschen weiter. Das ist das Gegenteil von gerechter Steuerpolitik.

Es gibt bessere Maßnahmen, um Bürger und Unternehmen auf sinnvolle Weise zu entlasten. Eine Senkung der Mehrwertsteuer würde vor allen Menschen mit kleinem und durchschnittlichem Einkommen helfen, ein Zuschuss zu Kita-Gebühren aus Bundesmitteln ebenso. Und Unternehmen wäre in der Zeit des digitalen Umbruchs mehr geholfen, wenn die nächste Regierung Investitionen in Forschung und Entwicklung endlich steuerlich fördern würde.

Der Solidaritätszuschlag ist eine reine Bundessteuer – im Gegensatz zur Einkommenssteuer, die Bund, Ländern und Kommunen zusteht. Und die Regierung braucht das Soli-Geld, um zu investieren – und zwar massiv. Ja, die Steuereinnahmen in Deutschland sprudeln. Ja, der Wirtschaft geht es gut. Aber damit das so bleibt, muss die Bundesregierung jetzt deutlich mehr ausgeben, um Deutschlands Schwachstellen zu beseitigen.

Das Bahnnetz in Deutschland ist vielerorts erbärmlich schlecht ausgebaut – die Strecken zwischen Regensburg und Marktredwitz und zwischen Schwandorf und Prag sind zwei Beispiele in der Region. Bundesweit bröckeln Autobahnbrücken und Bundesstraßen. Für die Mobilitätswende hin zu elektrischem und autonomem Fahren sind Ladesäulen und Verkehrsleitsysteme nötig. Und in Sachen Breitband-Internet und mobilem Datennetz ist Deutschland im europäischen Vergleich nur ein Entwicklungsland. Bitter nötig sind auch Investitionen in Bildung und, ja, in Solidarität. Es ist mehr Unterstützung nötig für deutsche Kommunen, in denen die Gewerbesteuer nicht so üppig sprudelt wie in Regensburg oder Neutraubling: damit nicht noch mehr Schwimmbäder schließen müssen, damit Anreize geschaffen werden können für Unternehmensansiedlungen.

Deutschland braucht den Soli weiter. Es wäre an der Zeit, das den Wählern endlich deutlich zu sagen – und an steuerpolitischen Lösungen zu arbeiten, durch die die meisten Menschen wirklich mehr von ihrem Gehalt haben.

Sebastian Heinrich:

Kaum jemand in seinem Bekanntenkreis glaubt ihm das – aber der Autor zahlt tatsächlich gerne Steuern. Weil er um das Privileg weiß, in einem ziemlich gut funktionierenden Staat zu leben. Denn das keine Selbstverständlichkeit.