Serie
Verlassene Straßen in die Vergangenheit

Ein ausgeklügeltes Wegenetz führte Jahrhunderte lang durch die Oberpfalz. Forscher finden die Spuren wieder – da gibt es so manche Überraschungen.

11.08.2014 | Stand 16.09.2023, 7:16 Uhr
Fritz Wallner

Der Altstraßenforscher Prof. Dietrich Manske geht davon aus, dass dieser Hohlweg bei Ehenfeld (Kreis Amberg-Sulzbach) ein Teil des Altstraßensystems der historischen Bernsteinstraße ist. Hier mussten die Fuhrwerke, die aus Richtung Norden kamen, einen gefährlich steilen Abstieg bewältigen. Foto: Schönberger

Ein ganz so verlassener Ort scheint dieser markante Hohlweg am nördlichen Rand der Gemeinde Ehenfeld im Landkreis Amberg-Sulzbach nun doch nicht zu sein. Es geht steil bergab – und daran haben Mountainbiker offenbar Gefallen gefunden. Immer wieder finden sich im Unterholz selbstgebaute Sprungschanzen, über die sie mit ihren Bikes gebrettert sind. Dafür hat Prof. Dietrich Manske aber keine Augen. Er interessiert sich nur für den tiefen Einschnitt, für die markante Streckenführung und vergleicht die Beobachtungen vor Ort immer wieder mit seiner Landkarte und mit Satelliten-Aufnahmen. Denn Manske, emeritierter Professor für Regionalgeographie an derUniversität Regensburg, erkennt in dem Hohlweg eine längst verlassene Altstraße, die bereits in frühgeschichtlicher Zeit benutzt wurde. „Da war früher viel los, aber heute sind diese Verkehrsverbindungen in Vergessenheit geraten“, sagt der renommierte Altstraßenforscher.

Ein Projekt des Waldvereins

Ein Projekt des Oberpfälzer Waldvereines (OWV) führte Manske in den Raum Ehenfeld und Massenricht. Denn die OWV-Ortsgruppe Massenricht muss ihren 32 Meter hoher Aussichtsturm in Rödlas, der auf 570 Metern über dem Meeresspiegel liegt, sanieren. In diesem Zusammenhang soll auch die Geologie und das Altstraßensystem dieser Region dokumentiert werden – da ist die Expertise des Wissenschaftlers gefragt.

Für Manske ist der Hohlweg eine durchaus spektakuläre Entdeckung. „Ich gehe davon aus, dass dieser Teil des Altstraßensystems derBernsteinstraßeist, die später auchMagdeburger Straßegenannt wurde“, sagt er. Als Bernsteinstraße werden verschiedene Handelswege des Altertums bezeichnet, auf denen unter anderem Bernstein von der Nord- und Ostsee nach Süden in den Mittelmeerraum gelangte. Aus der Römerzeit gibt es Berichte über die Magdeburger Straße und deren Verlauf. Die Route wird von Regensburg aus angenommen über Burglengenfeld, Schwandorf, Wernberg, Neustadt WN, Hof über Magdeburg bis an die Ostsee. Dabei gab es zahlreiche Seitenäste und Zubringer, erläutert Manske.

Kapellen weisen auf Altstraßen hin

Verkehrsregeln kannte man in der Frühzeit und im Mittelalter allerdings noch nicht. Mit einer Ausnahme: Bergab fahrende Fuhrwerke benutzten in der Regel die mittlere Spur, um bei Gegenverkehr ausweichen zu können. Die hinteren Räder wurden mit dem Hemmschuh blockiert, damit das Gefährt nicht außer Kontrolle geriet. Manske geht davon aus, dass es sich bei dem Hohlweg eben um diese mittlere Spur handelt, weil hier der Bodenabtrag und die folgende Ausschwemmung bei Regen am größten sind. Rechts und links daneben, so seine Einschätzung, hat es noch mehrere Fahrspuren gegeben.

Altstraßen heute noch zu erkennen, ist schwierig. Das setzt ein umfassendes Studium der vorhandenen Literatur, gute Kartenlesefähigkeiten und umfangreiche Exkursionen voraus. Orts- und Flurnamen wie etwa „Hochstraß“ oder „Straßbreite“ sind Indizien für derartige verlassene Orte. Die Spurrinnen fächern sich an Anstiegen in eine Vielzahl von Fahrrinnen auf und laufen in der Ebene oder auf der Höchfläche in einer oder zwei Spuren zusammen. Befestigt waren die Altstraßen in den germanischen Siedlungegebieten im Gegensatz zum römischen Reich nicht, jedermann hatte das Recht, sie zu benutzen. Diese „Herrenlosigkeit“ hat bis heute Folgen: Die Straßenräume fielen in der Neuzeit an die Kommunen – Ehenfeld baute auf dem Straßengrund nördlich des Ortes einen Sportplatz.

Ein wesentliches Merkmal der Altstraßen, so erläutert Manske, ist ihr gestreckter, nahezu geradliniger Verlauf zwischen Ausgangspunkt und Zielort. Täler wurden auf kürzestem Weg überquert, ganz gleich, wie steil der Auf- oder der Abstieg waren. Bei einer durchschnittlichen Tagesleistung von 20 bis 25 Kilometern konnte man sich keine Umwege leisten. Dafür war an gefährlichen Stellen göttlicher Beistand nötig: An steilen Stellen stehen bevorzugt Kapellen, die den 14 Nothelfern oder der Gottesmutter Maria geweiht sind.

Überhaupt begleiten alte Fernwege in auffälliger Weise Kirchen und Kapellen mit Patrozinien, deren Heilige die Schutzpatrone der Reisenden sind. Dazu gehören St. Martin, St. Michael, St. Nikolaus oder St. Jakob. Nicht zu übersehende Hinweise auf Altstraßen sind auch Hinweise auf den Galgen, die Galgenberge oder das Galgenfeld. Diese Richtplätze wurden so gewählt, dass sie vom Fernweg aus gut zu sehen waren und so zur Abschreckung dienten.

Genauso wichtig wie die Magdeburger Straße war für die Oberpfalz die „Goldene Straße“ , die sich seit 1513 als Handelsweg von Nürnberg nach Prag nachweisen lässt. Sie führte über Hirschau (wo die „verbotene Straße“ Richtung Wernberg abzweigte), Kohlberg, Weiden, Bärnau, Tachau und Pilsen Richtung Prag. Zahlreiche Spuren dieser einst so wichtigen Verbindung finden sich noch heute.