Oberpfalz
Wie Adam und Eva im Paradies

Unterwegs mit Hermann Letscher und Georg Rottler: Bei Deuerling genießen die Naturisten das kleiderlose Leben. Doch der Verein hat Nachwuchssorgen.

13.08.2013 | Stand 16.09.2023, 7:24 Uhr

Hermann Letscher und Georg Rottler vor dem Pool – für das Foto haben sie sich angezogen.Fotos: Stöcker-Gietl

NBD haben sie auf ein Schild aus Pappe geschrieben und an die Weggabelung gehängt. Wer hierherkommt, in diese abgelegene Ecke von Deuerling (Lkr. Regensburg), weiß etwas damit anzufangen. Links den Feldweg hoch geht es zum Campingplatz des Naturistenbundes Donau e.V. Wuchtige, alte Bäume säumen den Wegrand. Sie bilden den Rahmen für das Winkelfeld-Gelände, das so mancher Ortsansässige nur vom Hörensagen kennt. Auf 24 000 Quadratmetern Fläche haben sich die Naturisten hier ihren Himmel auf Erden geschaffen. Ein kleines, verstecktes Paradies.

Den Vergleich mit Adam und Eva und dem Paradies hat Hermann Letscher aus Schrobenhausen parat, wenn ihn jemand auf seine Freizeitbeschäftigung anspricht. Seit 43 Jahren ist er Anhänger der Freikörperkultur. Er geht ganz offen damit um. „Ich will mich nicht nackt zeigen, ich will nur nackt sein.“ Wem dafür das Verständnis fehlt, dem vermittelt Letscher gerne seine Haltung. Als etwa seine Oma einst über die Nackerten im Fernsehen, diese Saubären, schimpfte, rückte Letscher deren Vorstellungen gründlich zurecht. „Ich habe ihr gesagt, dass Gott uns so geschaffen hat. Und weil er es gut gemacht hat, müssen wir uns nicht verstecken. Auch Adam und Eva waren nackt – bis zum Sündenfall.“ Die Oma hat danach nie wieder abfällig über Naturisten gesprochen, sagt Letscher.

Das Tor ins Paradies ist mit Sichtschutzmatten verhängt. „Hupen, dann machen wir auf“, sagt Georg Rottler, zweiter Vorsitzender des Vereins. Heute müssen sich die Mitglieder eigentlich nicht mehr vor neugierigen Blicken schützen. Nacktheit ist gesellschaftlich wieder akzeptiert. Man liegt „oben ohne“ im Freibad oder kleiderlos am Almer Weiher. Kaum jemand nimmt daran noch Anstoß.

Polizei kam zur Abnahme vorbei

Als sich der Verein Ende der 1940er Jahre gründete, war das noch anders. Da waren die Nackerten, die sich Sonnenfreunde nannten und in den Donau-Auen bei Regensburg sonnten, das Thema. Man schaute neugierig und wertete abfällig. 1953 zog der Verein nach Deuerling. Eisenbahner, die unter den Gründungsmitgliedern waren, sorgten dafür, dass das Gelände von der Eisenbahn gepachtet werden konnte. Später erwarb der Verein das Winkelfeld. „Die Polizei kam zur Abnahme vorbei“, berichtet Rottler. Doch deren Auftrag war es nicht, den Verein vor neugierigen Blicken zu schützen, sondern dafür zu sorgen, dass die Naturisten keinen Anlass zum öffentlichen Ärgernis gaben. „So waren die Zeiten damals“, sagt Rottler, der sich seit 1959 in FKK-Vereinen engagiert und seit 2000 dem Naturistenbund Donau angehört. Auch der Deuerlinger Pfarrer wetterte seinerzeit von der Kanzel über die Nackerten, die sich da in seiner Gemeinde herumtrieben. Heute, betont Rottler, ist das Verhältnis zu Kirche und Anwohnern gut.

Fast 40 Grad zeigt das Thermometer an der Blockhütte an. Viel zu heiß, um Kleidung zu tragen, finden die Naturisten. Deshalb werden auch die an diesem Wochenende anstehenden Ausbesserungsarbeiten am Pflaster vor dem Gemeinschaftshaus, das Rasen mähen und Bäume ausschneiden nackt erledigt. „Wir sind hier unter uns, niemand stört sich daran“, sagt Letscher.

Zehn Pflicht-Arbeitsstunden muss jede Familie pro Jahr leisten, um das große Gelände auf dem Juraausläufer in Schuss zu halten. Dazu kommt ein jährlicher Mitgliederbeitrag von 140 Euro. In den vergangenen Jahren kamen nur noch wenige neue Familien hinzu. „Die legen sich lieber nackt an den Almer Weiher, weil das nichts kostet“, sagt Rottler. Doch die strengen Aufnahmeregeln bleiben trotzdem weiterhin bestehen. „Wer sich nicht engagieren will, ist bei uns fehl am Platz“, sagt der zweite Vorsitzende bestimmt. Und so ist die Gruppe, die einst 35 Familien mit 18 Kindern zählte, inzwischen auf 25 Familien geschrumpft. Die ältesten Mitglieder sind schon über 80 Jahre alt. „Aber es geht wieder aufwärts, dieses Jahr sind drei jüngere Familien dazugekommen“, sagt Rottler zuversichtlich. Dass es sich bei den Mitgliedern in der Regel um Familien handelt, hat seinen Grund. „Wir achten sehr genau darauf, wer sich uns anschließt.“ Die Angst, dass etwa ein pädophiler Mann sich einen Naturistenverein aussucht, um an Kinder heranzukommen, schwingt immer mit. „Einzelmitglieder brauchen deshalb eine Empfehlung eines anderen Mitglieds“, sagt Rottler.

„Wir sind keine Swinger“

Es hupt wieder am Tor, ein Gast ist angereist und will dieses Wochenende im Schatten der Bäume verbringen und zwischendurch ein Bad im vereinseigenen Swimmingpool nehmen. Nicht nur Mitglieder können auf den 12 Camping-Stellplätzen ihren Urlaub verbringen, auch Gäste reisen an, manche bis aus Norddeutschland und Holland. Abends trifft man sich auf der Terrasse vor oder im Gemeinschaftshaus. Dort wird gegrillt, Karten gespielt oder mal ein Fußballspiel geschaut. Natürlich auch das so, wie Gott die Menschen geschaffen hat. Immer wieder müssen die Naturisten klarstellen, dass ihre Freizeitbeschäftigung keine sexuelle Ausrichtung hat. „Wir sind keine Swinger“, sagt Letscher. Man sieht sich eher als Naturvolk, das im Einklang mit der Natur leben will.

Die Sonne steht an ihrem höchsten Punkt. Die Naturisten schwitzen in ihren Kleidern, die sie für den Pressebesuch angelegt haben. Das lustigste Erlebnis aus der Vereinschronik, sagt Letscher zum Abschied, war eine Einladung zu einem Festumzug. Darin hieß es, man bitte um das Erscheinen „in Vereinstracht“. Das, sagt Letscher, „haben wir uns aber dann doch nicht getraut.“