Bestimmendes Auftreten, unsaubere Heftführung, Rechnen mit den Fingern: Als die MZ-Mitarbeiter noch jünger waren, hatten ihre Lehrer allerhand auszusetzen. Ein Einblick in alte Zeugnis-Bemerkungen.
1,5 Millionen Schülern und 111.000 Lehrern in Bayern steht an diesem Dienstag ein in aller Regel erfreulicher Tag bevor: Die Sommerferien beginnen. Doch am letzten Schutag gibt es auch die Zeugnisse - und nicht jeder Schüler blickt dem erwartungsfroh entgegen. Einige MZ-Mitarbeiter haben ihre alten Zeugnisse herausgesucht und blicken auf ihre Noten und Bewertungen zurück. (Foto: dpa)
Christine Schröpf: Vorurteile sind Vorurteile. Die Kollegen hatten vermutet, dass aufmüpfiges Verhalten in meinem ersten Zeugnis vermerkt ist. Doch diese gute Charaktereigenschaft entwickelte sich erst später. In der ersten Klasse hatte meine Lehrerin „fleißig und aufmerksam“ notiert und mir „tadelfreies“ Verhalten bescheinigt. In Religion hatte ich „sehr gut“, was das Bistum Regensburg heute skeptisch betrachten dürfte. In Rechnen und Sport eine 3. Der Rest war durch die Bank „gut“. Drollig die Anmerkung auf dem Halbjahreszeugnis: „Sie kennt die gelernten Buchstaben, hat aber noch Mühe beim Zusammenlesen.“ Als es flüssig lief, habe ich Lesen geliebt. Mit meiner Oma war ich in der Pfarrbücherei Stammgast. Die Grundschule habe ich schon deshalb gemocht, weil man dort so etwas Schönes und Nützliches wie Lesen lernt.
Lissi Zörkler: Zeugnisbewertungen sind für mich reine Interpretationssache. Beim Durchlesen wurde mir bewusst, dass wahrscheinlich meine Talente in der Schulzeit nicht richtig erkannt wurden. So ist die attestierte „eigenwillige Heftführung“ ein verkanntes, kreatives Potential. Ein Blümchen und ein Sternchen zwischen die Diktatzeilen zu pinseln, gilt heute bestimmt als künstlerisch. Ebenso wurde meine Redegewandtheit definitiv unterschätzt.
Den bestimmt nur als guten Ratschlag gemeinten Eintrag „Wichtige Themen sollte sie lieber sollte mit dem Lehrer als mit dem Nachbar besprechen“ befolgte ich nicht. Wozu - hatte ich doch als Lehrerstocher ein solches Exemplar zuhause. Da war der Austausch mit dem Nachbarn schon interessanter. Und… heute heißt das übrigens Kommunikationsstärke. Als zertifizierte „ ideenreiche Schülerin“ konnte ich meine Talente und Neigungen ausbauen und bin heute bin ich eine kreative, kommunikative Grafikerin.
Bettina Mehltretter: Meine Erstklasslehrerin in der Grundschule in Neunburg vorm Wald, Frau Reimer, hatte mich schon nach fünf Monaten durchschaut: „Bettina ist eine aufgeweckte Schülerin, die sich gegenüber ihren Klassenkameraden zu behaupten weiß“, schrieb sie in meinem allerersten Zeugnis und setzte sogar noch einen drauf: „Oft ist Bettina sehr bestimmend.“ Ja, liebe Frau Reimer, Sie hatten recht, damals schon! Und ja, liebe Kollegen aus der Vorstandschaft meiner Freiwilligen Feuerwehr: Es tut mir leid, dass ich auch heute noch manchmal auf den Tisch haue, wenn ihr Männer wieder vom Thema abdriftet. Hilft das nicht, habe ich eine weitere Methode: Ich sag’ dann, ich hätte Hunger und müsste schnell heim, damit wir endlich beschließen, was wir beschließen wollten. Davon stand aber nie etwas in einem meiner Zeugnisse.
Heike Haala: „Im Schreiben bemüht sie sich um die formrichtige und fehlerfreie Wiedergabe geübter Wörter und Sätze.“ Ähm, das mache ich ja inzwischen beruflich. Spaß beiseite: Ein kritischer Kommentar oder eine Note jenseits der Drei im Zeugnis sind kein Grund zum Verzweifeln. Dafür ist mein erstes Zeugnis – denke ich – ein ganz gutes Beispiel. Auch für ein Fach, in dem ein Schüler eine schwächere Note mit nach Hause bringt, kann er noch viel Talent haben. Ich bin trotz dieses Zeugnisses aus der ersten Klasse Redakteurin geworden. Das mit dem Schreiben habe ich auf jeden Fall in den Griff bekommen. Frau Plein von der Grundschule in Burgweinting schrieb mir immerhin ebenfalls in mein Zeugnis, dass ich „fleißig“ und „gewissenhaft“ bin. Außerdem habe ich eine Mama mit einer Engelsgeduld. Das sind wohl die drei besten Voraussetzungen für nachmittägliches Intensivtraining in der deutschen Rechtschreibung. Und falls jemandem ein Fach einfach gar nicht liegt, gibt es ja noch viele andere. Mathe zum Beispiel: „Heike löst die Aufgaben im bekannten Zahlenraum sicher.“
Kai Gohlke: Zugegeben, es hat mir ein Lächeln auf Gesicht gezaubert, nach gut 35 Jahren mein Jahreszeugnis aus der 1. Klasse zu lesen. Einen „erstaunlich hohen Wissensstand“ und „Redegewandheit“ attestiert meine Lehrerin mir da. Kein Wunder: Schon damals war ich neugierig auf alles und jeden, und ich habe deshalb den Erwachsenen hartnäckig so lange Löcher in den Bauch gefragt, bis ich mit den Antworten endlich zufrieden war. Nicht die schlechteste Eigenschaft für einen späteren Journalisten. Doch der nächste Satz birgt den Tiefschlag: „Schriftlich arbeitet er leider etwas oberflächlich.“ Nach dem ersten Schreck lese ich weiter, und die Erinnerung dämmert: „Bei Übungen, die auf Geschicklichkeit aufbauen (Malen, Basteln, Schneiden) wirkt er manchmal unsicher und langsam.“ Es war diese Schreiberei mit dem Füller auf Papier, die für mich so ähnlich war wie Malen, und die ich von Anfang genau so gehasst habe (und ich tue es noch). Erst als die Computer aufkamen und mich mit ihren wunderbaren Tastaturen von der Fessel der Feder erlösten, sind das Schreiben und ich Freunde geworden.
Andreas Brey: Frau Ristig bringt es auf den Punkt. In ihrem Bericht über „soziales Verhalten, Lernverhalten und Leistungsstand“ zeichnet sie ein klares Bild des Schülers Andreas Brey. Schonungslos offen schreibt die mir eigentlich sehr gut in Erinnerung gebliebene Lehrerin von „recht fehlerhafter Rechenleistung“. Zudem wird mir am Ende der ersten Klasse eine „wechselnde Ausdauer und Genauigkeit beim Erledigen schriftlicher Arbeiten“ bescheinigt. Ok, die Sache mit der Mathematik sollte sich bis heute durch mein Leben ziehen. Gleiches gilt übrigens für meine „erfreuliche Leseleistung“ und meinen „zügigen Schreibstil“. Als Zeitungs-Redakteur sind diese Fähigkeiten durchaus von Vorteil – ebenso wie Grundkenntnisse der Orthografie, die mir schon vor 20 Jahren offenbar wenig Probleme bereitet hat. Zumindest vermerkt Frau Ristig handschriftlich (!), dass mir „bei rechtschreiblichen Übungen nur wenige Fehler“ unterlaufen. Und vermutlich sind diese kleinen Schnitzer auch nur meiner bereits damals sehr ausgeprägten Leidenschaft zum Netzwerken geschuldet. Denn wie beobachtet die Lehrerin im Schuljahr 1984/85 völlig richtig: „Andreas ist ein freundlicher und gern übermütiger Schüler, der gut Kontakt zu seinen Mitschülern findet.“ Nur in einem Punkt unterscheide ich mich heute von dem Andreas Brey, der vor fast 20 Jahren die Schulbank der Grundschule Kallmünz, Außenstelle Duggendorf, drückte: Mir fällt es mittlerweile nicht mehr schwer, „ruhig an einem Platz sitzen zu bleiben“.
Kathrin Wieland: Manche Dinge scheinen schon von Kindesbeinen an vorherbestimmt zu sein: "Bei den täglichen Kopfrechenübungen sollte Kathrin ihr Tempo noch steigern", hat mir meine Lehrerin Frau Freiberger schon in der ersten Klasse ins Zeugnis geschrieben. Zugegeben: Zahlenspielereien im Kopf fallen mir bis heute schwer. Das hat mich aber nicht davon abgehalten, mein Geld während des Studiums mit Kellnern zu verdienen. Irgendwie kam ich immer durch - manchmal auch mit Hilfe der Gäste. Die meisten fanden das gar nicht so schlimm. Für meine Schrift gab es dagegen im Zeugnis nur lobende Worte: "Formschön, sehr sauber und einheitlich" sei sie, meinte Frau Freiberger. Manche Sachen ändern sich dann eben doch.
Kristina Hartung: Als „verträgliche“ Schülerin beurteilte mich Frau Sell von der Münsterschule in Hof im Schuljahr 92/93. Auch, wenn mir dieser Begriff vor allem in Zusammenhang mit Speisen oder Medikamenten geläufig ist, so kann ich zumindest keine allzu unangenehme Schülerin gewesen sein. Weniger dürften sich meine Eltern über die mahnenden Worte gefreut haben: „Kristina fertigt schriftliche Aufgaben zielstrebig, selbstständig und konzentriert, sollte aber immer auf eine ordentliche Heftführung und die formgetreue Wiedergabe der Buchstaben achten.“ Zugegeben: Mein Desktop ist auch heute noch ein Spiegelbild der damals kritisierten – nennen wir es kreativen - Heftführung. Aber, liebe Frau Sell, ich kann Ihnen versichern, dass sich die Schreibschwäche verwachsen hat. Arial, Times New Roman und Co. gehen mir inzwischen formvollendet von der Hand.
Reinhold Willfurth: Es war der „Summer of love“. Alle hörten die Beatles, die Stones und Creedence Clearwater Revival, trugen geblümte Hängerchen oder offenes Hemd über der Jeans, natürlich von Levi’s und nirgendwo anders gekauft als bei „Friedmann“. Nur der Lehrer Huber nicht. Der trug trotz junger Jahre einen braunen Anzug und Krawatte. Es reichte gerade noch zu einem wilden, roten (?) Haarschopf, der aus dem braunen Anzug herausschaute. „Der geweckte Knabe erlebt besonders bewußt und gefühlsstark“, urteilte der Pädagoge etwas hüftsteif über den Knaben R. im Zwischenzeugnis der dritten Klasse. Wenn er gewusst hätte, welche Mühen es des Knaben Mutter jeden Morgen kostete, um ihren Spross geweckt zu bekommen ... und den Wecker von heute, den Erwachsenen vor sieben Uhr früh wach zu bekommen. Die schulischen Defizite im mathematischen Bereich sagt die Expertise immerhin zuverlässig voraus. „Nach Ferien sollte sich R. schneller auf die Schule einstellen." Was konnte der Knabe dafür, dass die Ferien entschieden zu kurz waren?
Inge Passian: Wer Inge Passian, Assistentin der MZ-Chefredaktion, schon einmal begegnet ist, kann sich lebhaft vorstellen, dass ihre Lehrer im Zeugnis die ein oder andere knackige Bemerkung über sie verloren haben dürften. „Lebhaft“ wäre auch gleich einer der Begriffe, den Frau Wolf von der Volksschule Nittenau im Schuljahr 1969/70 zur Beurteilung hätte wählen können. „Kommunikativ“ – auch das würde wohl jeder unterschreiben, der Frau Passian schon einmal am Telefon hatte – oder dem beim Vorbeigehen am Sekretariat lautes Quasseln und Lachen entgegenschallte. Statt "anständig", wie Frau Wolf es nennt, finden wir eher die Beschreibung "ständig an" zutreffend. Auch eine Vokabel wie „durchsetzungsstark“ würde man im Zeugnis der kleinen Inge erwarten – ist es doch der großen Inge gelungen, als einzige einen Ghostwriter für diese Zeugnis-Analyse zu engagieren. Und wohl jeder Kollege ist ihrer Gabe, Aufgaben zu delegieren, schon einmal erlegen. Und so entfaltet sich die unfreiwillige Komik im Zweitklass-Zeugnis erst Jahre später: „Inge ist eine ruhige Schülerin.“