International ist die Atomenergie auf dem Vormarsch. Sehen Sie hier einen Überblick zur Atompolitik von den alten Industriemächten über die aufstrebenden Wirtschaftsnationen bis zu unseren europäischen Nachbarn.
USA: 104 Atomkraftwerke sind in 31 US-Bundesstaaten in Betrieb. 2009 wurden 799 Millionen Megawattstunden Atomstrom produziert, mehr als 20 Prozent der erzeugten elektrischen Energie insgesamt. Nach dem Atomunfall in Harrisburg 1979 wurde kein neues Akw mehr genehmigt. Doch nun setzt US-Präsident Barack Obama auf neue Atomkraft, um die Abhängigkeit von ausländischem Öl und Gas zu verringern.
Bild: Kernkraftwerk Vogtle im Bundesstaat Georgia
JAPAN: Für das rohstoffarme Japan ist die Kernkraft zentraler Pfeiler der nationalen Energieversorgung. Derzeit sind 15 Kernkraftwerke mit zusammen 54 Reaktoren am Netz, der älteste seit März 1970. Weitere acht Reaktoren erreichen bis 2015 eine Laufzeit von 40 Jahren. Zwei Reaktoren befinden sich im Bau. Mindestens acht weitere sollen bis 2020 in Betrieb genommen werden.
Bild: Kernkraftwerk Monju
BRASILIEN fördert die Atomkraft und baut derzeit am Standort Angra dos Reis im Bundesstaat Rio de Janeiro seinen dritten Meiler („Angra III“). An dem Projekt ist auch der Siemens-Konzern beteiligt. Bis 2030 sollen laut nationalem Energieplan vier neue Atomkraftwerke entstehen und den Anteil des Atomstroms von derzeit zwei Prozent erhöhen. 80 Prozent des brasilianischen Energiebedarfes werden derzeit noch von Wasserkraft gedeckt.
RUSSLAND: „Zu Öl und Gas gibt es nur eine reale starke Alternative - das ist die Atomenergie“, sagt der russische Regierungschef Wladimir Putin. Alles andere seien „Spielereien“. Bis zum Jahr 2030 sollen in Russland 26 Atomreaktoren gebaut werden. Der Anteil des Atomstroms soll von derzeit 16 Prozent auf etwa 33 Prozent wachsen. Als nächstes soll im Gebiet Kaliningrad (siehe Bild) mit Hilfe des deutschen Konzerns Siemens ein Atomkraftwerk gebaut werden.
INDIEN: Debatten über einen Atomausstieg sind in Indien unbekannt - im Gegenteil: Das energiehungrige Schwellenland steigt gerade erst richtig ein. Zu den derzeit 19 Reaktoren (die allerdings nicht alle mit voller Kraft operieren) sollen bis zum übernächsten Jahr 6 weitere gebaut werden. Langfristigen Plänen zufolge soll die Kapazität von derzeit 4560 Megawatt bis zum Jahr 2032 auf 63 000 Megawatt vervielfacht werden. Das würde nach Schätzungen den Bau von rund 40 neuen Atomkraftwerken voraussetzen.
Bild: Indiens Premierminister Manmohan Singh während der internationalen Konferenz zur Atomenergie 2009
CHINA setzt als größter Energieverbraucher der Welt auf einen massiven Ausbau der Kernenergie. Das bevölkerungsreichste Land der Erde ist sowohl größter Kohleverbraucher als auch größter Klimasünder, muss aber seinen rasant steigenden Energieverbrauch decken. Heute sind 12 Atomeiler in Betrieb. 24 sind im Bau, weitere geplant. Laut IAEA wurden 2009 gut 70 000 Gigawatt Atomstrom produziert. Bis 2020 will Peking die Kapazitäten verachtfachen. Dann sollen sechs Prozent des Stroms aus Atomkraft kommen.
FRANKREICH: Die Anti-Atomkraft-Lobby in Frankreich spielt keine große Rolle, eine öffentliche Debatte über Laufzeiten findet kaum statt. Knapp 80 Prozent des Stroms stammen aus den 58 Atomkraftwerken des Landes, ein weiteres, der EPR-Reaktor in Flamanville (siehe Bild), ist derzeit im Bau. Die französischen Atomkraftwerke hatten ursprünglich eine Laufzeit von 25 Jahren, das älteste ist aber bereits seit 32 Jahren in Betrieb. Im kommenden Jahr soll über eine Verlängerung der Betriebsgenehmigung um weitere zehn Jahre entschieden werden.
GROSSBRITANNIEN deckt rund 20 Prozent seines Strombedarfs aus Kernenergie. 19 Reaktoren in 10 Kraftwerken sind am Netz. Doch auch auf der Insel ist die Atomkraft ein ewiger Streitpunkt. Die bestehenden Reaktoren - die neuesten stammen aus den 80er Jahren - sollen schrittweise stillgelegt werden, spätestens 2035 soll keiner mehr am Netz sein. Angesicht der Finanzkrise, schwindender Rohstoffreserven und der Klimadebatte hat die Regierung in London 2008 aber den Bau acht neuer Kraftwerke beschlossen.
Bild: Das Kernkraftwerk Dungeness A in der Grafschaft Kent wurde 2006 aus wirtschaftlichen Gründen abgeschaltet.
ITALIEN war nach dem Super-Gau von Tschernobyl aus der Atomenergie ausgestiegen: 80 Prozent der Bevölkerung votierten 1987 bei einem Referendum für ein Ende der Atomkraft. Erst Berlusconis Mehrheit im Parlament legte im Juli 2009 dann die gesetzliche Basis für den Bau neuer Meiler. Für 2013 ist der Baubeginn des ersten Europäischen Druckwasserreaktors (EPR) in Italien geplant. Bis 2030 will Italien ein Viertel seines Stroms aus Kernkraft beziehen.
Bild: Berlusconi bei seiner Ankunft beim internationalen Gipfel zur Atomsicherheit in Washington
POLEN hat sich für den Atomeinstieg entschieden. Bis 2020 soll der erste Meiler im pommerschen Zarnowiec (siehe Bild) ans Netz gehen. Bis 2030 sind zwei weitere geplant. Die Atomkraftwerke sollen eine Leistung von mindestens 5000 Megawatt bringen. Zudem beteiligt sich Polen zusammen mit anderen Baltischen Staaten am Akw-Projekt Ignalina in Litauen. Proteste gegen die Pläne gab es bisher so gut wie keine.
SCHWEDEN bezieht derzeit Atomstrom aus zehn Reaktoren in drei Nuklearanlagen. Erst kürzlich hat sich die Mitte-Rechts-Regierung in Stockholm für den Austausch der alten Reaktoren durch neue entschieden und damit einen 1980 per Volksentscheid beschlossenen Atomausstieg faktisch rückgängig gemacht. Der Ausbau der Atomenergie gilt als innenpolitischer Konfliktstoff für die Minderheitsregierung von Schwedens konservativem Ministerpräsidenten Fredrik Reinfeldt.
Bild: Kernkraftwerk Ringhals
ÖSTERREICH kommt ohne Atomkraftwerke aus. In Zwentendorf nahe Wien (siehe Bild) war zwar in den 70er Jahren ein Kernkraftwerk gebaut worden, ein Volksentscheid verhinderte aber die Inbetriebnahme. Heute kommen nach Angaben des Umweltministeriums mehr als 70 Prozent der in Österreich erzeugten Energie aus erneuerbaren Energien, das meiste davon ist Wasserkraft. Dennoch kommt über Stromimporte aus dem Ausland indirekt auch Nuklearenergie aus Österreichs Steckdosen.
SCHWEIZ: Die Eidgenossen beziehen derzeit einen Strommix aus rund 60 Prozent Wasser- und 40 Prozent Atomkraft. Fünf Nuklearanlagen sind in Betrieb, die meisten an der Grenze zu Deutschland. Um eine drohende Stromlücke zu schließen, setzt die Regierung in Bern auf Atomkraftwerke, Gaskombikraftwerke und Aktionspläne für Energieeffizienz und erneuerbare Energien.
Bild: Kernkraftwerk Leibstadt