Jahrelang zogen die Rechtsterroristen des NSU mordend durch Deutschland. Korrespondenten haben nachgesehen, was aus den Tatorten geworden ist. Sie fanden Gedenktafeln, schlimme Erinnerungen und neue Hoffnungen. (Fotos: dpa)
9.9.2000: Nürnberg, Liegnitzer Straße: Enver Simsek -
Laub auf rauem Asphalt, kühler Wind – die Parkbucht an der Liegnitzer Straße ganz im Süden Nürnbergs ist kein Ort, der zum Verweilen einlädt. An den Tod des türkischen Blumenhändlers Enver Simsek erinnert auf den ersten Blick nichts. Doch dann: Eine Margeritenblüte liegt im zertretenen Laub. Ein früherer Mitarbeiter des Erschossenen verkauft hier an jedem Wochenende Blumen – so wie einst Simsek selbst.
13.6.2001: Nürnberg, Gyulaerstraße: Abdurrahim Özüdogru -
In der Nürnberger Südstadt kennt jeder die tragische Geschichte des Ladens mit den Bogenfenstern. Im Juni 2001 finden Passanten den türkischen Änderungsschneider Abdurrahim Özüdogru blutüberströmt in seinem Laden, getötet durch zwei Kopfschüsse. Der Blumenladen, der nach Özüdogrus Tod einzog, machte bald dicht. Zu wenige Kunden, berichtet ein älterer Herr. „Nach dem, was dort geschehen war, haben sich kaum noch Leute in den Laden getraut.“
27.6.2001: Hamburg, Schützenstraße: Süleyman Tasköprü -
In der Hamburger Schützenstraße erinnert nichts an den 27. Juni 2001, als hier der türkischstämmige Gemüsehändler Süleyman Tasköprü erschossen wurde. Den Laden gibt es schon lange nicht mehr. Nur wenige Passanten kommen vorbei – und manche wissen gar nicht, dass der NSU an dieser Stelle einen Menschen tötete. Damit sich das ändert, soll ein Gedenkstein errichtet werden. Wenige Meter weiter arbeitet die Türkin Sevim Sahin in einer Bäckerei. „Ich muss immer daran denken, wenn ich an dem Tatort vorbeilaufe.“
29.8.2001: München, Bad-Schachener-Straße: Hablil Kilic -
Am 29. August 2001 wurde hier der türkische Obst- und Gemüsehändler Hablil Kilic erschossen. Heute betreibt den Laden ein Landsmann. Über den Mann, der viele Jahre vor seinem Einzug hier starb, kann und will er nichts sagen. „Ich kenne ihn nicht.“
25.2.2004: Rostock, Neudierkower Weg: Mehmet Turgut -
Rostock ist noch auf der Suche nach dem richtigen Weg, die Trauer und Wut über die Ermordung des 25-jährigen Imbiss-Verkäufers Mehmet Turgut auszudrücken. Der erste Anlauf, die Straße in Mehmet-Turgut-Straße umzubenennen, ist gescheitert. Zwei gegenüber stehende Betonbänke erinnern nun an den Toten, am 25. Februar um 10.20 Uhr (der Zeitpunkt seines Todes) stehen die Schatten der Bänke parallel.
9.6.2005: Nürnberg, Scharrerstraße: Ismail Yasar -
Ein gepflasterter Parkplatz, davor ein zerbeulter Zaun – vom Imbissstand von Ismail Yasar gibt es nichts mehr zu sehen. Im Juni 2005 wurde er kaltblütig niedergeschossen. Irgendwann später wurde der Stand abgerissen. Trotzdem können sich hier alle gut an Yasar erinnern. Eine Nachbarin erzählt: „Ich bin hier oft vorbeigekommen. Das war ein sehr lieber Mann. Er hat den Kindern immer was gegeben.“
15.6.2005: München, Trappentreustraße: Theodoros Boulgarides -
Normalerweise hat er keine Angst – „nur abends, wenn es ruhiger ist“. Mehmet hat einen Döner-Imbiss in München. Früher war an dieser Stelle ein Schlüsselladen. Genau hier wurde am 15. Juni 2005 der Grieche Theodoros Boulgarides erschossen. 2009 hat Mehmet das Geschäft gemietet, ohne von der Vorgeschichte zu wissen. „Das haben wir erst von den Nachbarn erfahren, als wir eingezogen waren.“
4.4.2006: Dortmund, Mallinckrodtstraße: Mehmet Kubasik -
Bei der Enthüllung des Gedenksteins für Mehmet Kubasik im September legen Angehörige und sogar Journalisten Rosen nieder. Auch an trüben Tagen wirkt der Gedenkstein schön wie bei der Enthüllung. „Zum Gedenken an Mehmet Kubasik – Ermordet am 4. April 2006 durch rechtsextreme Gewalttäter.“ Der türkische Buchladen, der auf Kubasiks Kiosk folgte, hat die grauen Rollläden heruntergelassen. Über der Tür hängt, kaputt wie eh und je, das alte Kioskschild.
6.4.2006: Kassel, Holländische Straße: Halit Yozgat -
Am beschmierten Zigarettenautomat zwei Aufkleber: „Nazi Fuck off“ und „Kein Ort für Nazis“. Sonst erinnert nichts mehr an den Tod des türkischstämmigen Halit Yozgat in Kassel. Sein Internetcafé ist einem Warenhandel gewichen. Das Grablicht, das lange vor dem Eingang stand, ist verschwunden. Es gibt einen neuen Platz der Trauer in Kassel: den „Halitplatz“, nur wenige Schritte entfernt. Hier hat die Stadt einen Gedenkstein aufgestellt. Auf dem Stein liegt eine frische Rose.
25.4.2007: Heilbronn, Theresienwiese: Michèle Kiesewetter -
Die metallene Gedenktafel steht unter einem Baum an der nordwestlichen Ecke des Festplatzes Theresienwiese. Wenn Dragica und Muradif Atic auf einem Spaziergang vorbeikommen, bringen sie manchmal eine Kerze mit. Mit der nur wenige Meter weiter von der NSU ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter sind die beiden in Kroatien geborenen Heilbronner nicht verwandt. Die Tat habe beide betroffen gemacht. „Irgendwie bekommt man Angst.“