Vier Jahre lang hat das Kabinett unser Land regiert – aber wie gut haben sich die Minister geschlagen? Vor dem Urnengang am 27. September hat MZ-Redakteur Christian Kucznierz Noten verteilt.
Der Kandidat Frank-Walter Steinmeier:
Der 53-jährige Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat hat einen tragisch tiefen Fall durchleben müssen: War der Detmolder bei den Bürgern lange Zeit einer der beliebtesten Politiker, so sank sein Stern mit den Umfragewerten für seine Partei. Dabei gilt Steinmeier, ehemaliger Kanzleramtschef unter Gerhard Schröder, als erfahren und kompetent, wenngleich er vor seiner Zeit als Kanzlerkandidat oft als spröde bezeichnet wurde. Dabei hat er später bewiesen, dass er sehr wohl auch einen Saal im Wahlkampf in Stimmung versetzen kann. Seine Arbeit im Auswärtigen Amt kann sich sehen lassen. Von Geiselbefreiungen bis zu heiklen Missionen ist ihm nie ein Patzer unterlaufen. Die Kanzlerkandidatur und der damit verbundene Spagat zwischen dem politischen Alltag und der Positionierung gegen eine alles überstrahlende Regierungschefin hat viel Kraft gekostet. Sein Image hat darunter gelitten. Note: 2
Der Kassenwart Peer Steinbrück:
Böse Zungen haben mehrfach gemunkelt, der 62-jährige SPD-Finanzminister sei der beste Mann, den die Union im Kabinett habe. In der Tat gelten viele seiner Vorschläge als wenig sozialdemokratisch. Die Streichung von Steuervergünstigungen und die Erhöhung der Mehrwertsteuer haben ihm auch in den eigenen Reihen oft nicht viel Lob eingebracht. Allgemein hat Steinbrück mit viel Kritik zu kämpfen – und die größte Neuverschuldung des Bundes wird ihm noch lange einen Platz in den Geschichtsbüchern sichern. Dabei hat der Kassenwart anfangs durchaus gute Chancen gehabt, das ehrgeizige Ziel eines ausgeglichenen Haushalts bis 2011 zu erreichen – bis die Krise kam. In der hat er sich an der Seite von Bundeskanzlerin Angela Merkel allerdings bewährt. Wegen seiner markigen Sprüche und seiner Qualität als Redner gilt er als Talent seiner Partei. Dabei kann Steinbrück durchaus auch für heftige Kontroversen sorgen. So hat er sich auf dem internationalen Parkett extrem unbeliebt gemacht, als er europäische Nachbarstaaten als Steueroasen brandmarkte. Note: 2
Die Streitbare Brigitte Zypries:
Die 55-jährige SPD-Justizministerin hat keine Auseinandersetzung gescheut – vor allem nicht mit Innenminister Schäuble und dessen Vorstößen zur Verschärfung der Anti-Terror-Gesetze. Unter ihrer Federführung wurden zahlreiche Gesetze verändert: So wurde das Nachstellen (Stalking) unter höhere Strafen gestellt, die Sicherungsverwahrung auch für jugendliche Straftäter ermöglicht, es gibt nun Regelungen für die Patientenverfügung, klare Regelungen für Vaterschaftstests, einen veränderten Vermögens- und Versorgungsausgleich bei Scheidungen sowie ein reformiertes Unterhaltsrecht. Auch wenn ihr Amt wenig Öffentlichkeitswirkung hat, so kann sich die Bilanz ihrer Arbeit sehen lassen. Note: 2
Der Farblose Franz Josef Jung:
Der 60-jährige Verteidigungsminister hat während seiner Amtszeit keinen bleibenden Eindruck hinterlassen können. Er hat die Ausweitung des Militäreinsatzes in Afghanistan sowie weitere Auslandseinsätze der Bundeswehr zu verantworten und muss die Last tragen, dass immer mehr deutsche Soldaten im Einsatz sterben. Jung ist der erste Verteidigungsminister, der selbst gedient hat. Spötter meinen, er sei besser zum Ministerpräsidenten in Hessen geeignet. Andererseits hat sich der CDU-Mann keine großen Patzer geleistet. Note: 3
Die Dienstälteste Heidemarie Wieczorek-Zeul:
Die 66-jährige SPD-Entwicklungsministerin ist seit Oktober 1998 Chefin ihres Ministeriums – kein Minister ist länger im Amt. Und sie hat vor, das zu bleiben. Mit mehreren Finanzministern lag sie im Clinch, weil sie den Anteil des Bruttoinlandsprodukts, der für die Entwicklungshilfe eingesetzt wird, bis 2015 auf 0,7 Prozent steigern will. Ihre Arbeit ist amtsbedingt nicht glamourös, aber solide. Note: 3
Der Erfolglose Wolfgang Tiefensee:
Über den 54-jährigen SPD-Verkehrsminister gibt es wenig Gutes zu sagen. Es heißt, er habe seinen Posten trotz Bahnskandalen und trotz des wohl bis zum Sankt Nimmerleinstag verschobenen Bahnbörsengangs auch deswegen behalten, weil er als einziger Minister aus dem Osten stammt und für den Aufbau dort zuständig ist. Note: 6
Die Makellose Ursula von der Leyen:
Am Image der 50-jährigen CDU-Familienministerin ist spätestens, seit sie ihre Frisur der Dynamik ihres Politikstils angepasst hat, nicht zu kratzen. Wobei gerade ihr Politikstil in der Partei oft als überfallartig kritisiert wird. Gestärkt durch die Kanzlerin, die Deutschland in Sachen Familienpolitik konkurrenzfähig machen wollte, hat sie alle ihre Vorhaben durchsetzen können: den Ausbau der Kindertagesstätten, das Elterngeld inklusive der Vätermonate, neue Regeln zum Kinderschutz und die Sperrung von kinderpornografischen Seiten im Internet. Zwar hat ihr der letztgenannte Punkt bei Befürwortern der Freiheit des Internets den Spitznamen „Zensursula“ eingebracht, Gesetz wurde ihr Vorschlag trotzdem. Einzig beim Betreuungsgeld hat sie sich dem Druck der CSU nicht widersetzen können. Vom „Wickelvolontariat“, wie die Vätermonate anfangs von CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer genannt wurden, will aber heute, da das Elterngeld ein Erfolgsmodell ist, niemand mehr sprechen. Note: 1
Die Solide Annette Schavan:
Die 54-jährige Bildungsministerin gilt als zuverlässig. Beim Bildungsgipfel 2008 hat ihr allerdings die Kanzlerin die Schau gestohlen. Schavan machte mit der Forderung nach Laptops und bundeseinheitlichen Schulbüchern auf sich aufmerksam. Dabei hatte sie sich als Kultusministerin von Baden-Württemberg einst für die Zerschlagung der Bundeskompetenz in der Bildung ausgesprochen. Die Reform des Bafög in ihrer Amtszeit war ursprünglich nicht in ihrem Sinne und kam nur unter Druck der SPD zustande. Note: 3
Das Top-Model
Karl-Theodor zu Guttenberg:
Wenn der Begriff „Shootingstar“ auf jemanden im Kabinett passt, dann auf den 37-jährigen CSU-Wirtschaftsminister. Als Nachfolger des schwachen Michael Glos, der die Brocken hingeworfen hatte, macht Guttenberg eigentlich alles richtig – zumindest in den Augen der Wähler. Kaum ein anderer Minister erntete so viel Vorschussapplaus. Wenn der Franke zu Vorträgen erscheint, gibt es immer stehende Ovationen, noch bevor er das erste Wort gesprochen hat. Zu verdanken hat Guttenberg seinen Ruf vor allem seiner harten Haltung bei der Rettung des angeschlagenen Autobauers Opel. Kritiker haben lange behauptet, Guttenberg sei mehr Model als Minister, doch geht die Kritik im allgemeinen Vorschuss-Lob unter. Da er erst seit Februar im Amt ist, ist eine Note nicht angebracht, eher eine Bewertung: „Versetzung nicht gefährdet.“
Die Unbeliebte Ulla Schmidt:
Die 60-jährige SPD-Gesundheitsministerin hat sich mit dem Start der umstrittenen Gesundheitsreform so ziemlich bei allen unbeliebt gemacht: Bei den Ärzten und Kassen ohnehin, bei den Patienten auch. Die wissen vor lauter Protesten und Forderungen der Ärzte auf der einen und steigenden Gewinnen und Honoraren auf der anderen Seite nicht mehr, was wirklich Sache ist. Die Finanzierung des Gesundheitswesens dürfte daher noch lange auf der Berliner Agenda stehen. Mit der Dienstwagen-Affäre hat sie nicht nur sich, sondern auch ihrer Partei im Wahlkampf massiv geschadet. Zwar hat sie nichts Verbotenes getan, sich aber selbst disqualifiziert. Note: 6
Der Hardliner Wolfgang Schäuble:
Der 66-jährige Innenminister hat sich vor allem in der ersten Hälfte seiner Amtszeit durch strikte Forderungen nach einer Verschärfung der Anti-Terror-Maßnahmen den Ruf eines Hardliners eingefahren. Das umstrittene BKA-Gesetz, das heiß debattierte Elemente wie die Online-Durchsuchung enthielt, tragen seine Handschrift, ebenso wie die von ihm forcierte Vorratsdatenspeicherung. Das brachte ihm ebenso wenig Beliebtheit ein wie der Vorstoß, die Bundeswehr im Inneren einsetzen zu dürfen. Allerdings hat der CDU-Mann Schäuble dazu beigetragen, die zu lange vernachlässigte Integration von Muslimen in Deutschland voranzutreiben. Die Islamkonferenz unter seiner Führung darf als Erfolg gewertet werden. Note: 3
Die Zweitjüngste Ilse Aigner:
Die 44-jährige Agrar- und Verbraucherschutzministerin ist ebenso wie Minister zu Guttenberg durch die „Umstrukturierungen“ in der CSU die Karriereleiter hinaufgefallen. Sie übernahm im September 2008 das Amt von Horst Seehofer, der nach München umzog. Von sich Reden machte Aigner bislang vor allem durch ihr Nein zum Anbau der umstrittenen Genmaissorte MON 810. Als Begründung wurden die unbekannten Risiken für die Umwelt genannt. Parteitaktik darf aber bei einem so heiklen Thema wie Gentechnik als Motiv nicht ausgeschlossen werden. Wie für zu Guttenberg gilt auch für sie: Für eine Note eigentlich zu früh. Es gibt ein „recht ordentlich“.
Der Fahnenträger Olaf Scholz:
Auch der 51-jährige SPD-Arbeits- und Sozialminister hat seine Position innerparteilichen Umgestaltungen zu verdanken. Scholz folgte Franz Müntefering, der sein Amt aus persönlichen Gründen aufgegeben hatte. In der Krise hat sich die von Scholz verbesserte Kurzarbeits-Regelung bislang bewährt. Dass er es geschafft hat, in mehreren Branchen teils über Umwege Mindestlöhne durchzuboxen, hat ihm die Sympathie der SPD-Stammwähler gesichert. Beliebt hat sich Scholz auch bei den Rentnern gemacht, die sich seit Juli über die höchste Rentenerhöhung seit zehn Jahren freuen können und noch dazu eine Garantie auf ihre Rente erhalten haben, die aber auch in der SPD angesichts der Haushaltslage für Debatten sorgte. Note: 3
Der grüne Rote Sigmar Gabriel:
Lange Zeit stritten der 49-jährige SPD-Umweltminister und die Kanzlerin Seit’ an Seit’ – mit beachtlichem Ergebnis. Die Klimaschutzvereinbarungen, die beim G8-Gipfel in Heiligendamm unter deutscher Führung beschlossen wurden, können sich sehen lassen – sofern sie denn umgesetzt werden. Nach den Störfällen im Atomkraftwerk Krümmel eröffnete Gabriel die Debatte um die Kernkraft exakt zu einer Zeit, als die Union fast unangefochten in der Wählergunst vorne lag. Profit konnte die SPD daraus allerdings nicht schlagen, setzte aber die Union kurzfristig unter Druck. Gabriel sieht sich mitunter grüner als die Grünen. Note: 2