Festspiele
Bayreuth hat einen neuen Lieblingshelden

04.08.2022 | Stand 15.09.2023, 4:09 Uhr
Das Publikum jubelt und trampelt für Andreas Schager als Siegfried (links, mit Wilhelm Schwinghammer als Fafner). −Foto: Nawrath, dpa

Wenn kein Wunder mehr geschieht, setzt es in Bayreuth heute Abend eine gewaltige Ohrfeige für Regisseur Valentin Schwarz, wenn er nach vier Premieren erstmals vor den Vorhang tritt.

Herzhafte Buhs gab es schon bei „Rheingold“, ein Buh-Gewitter gar nach der „Walküre“ und nach dem „Siegfried“ klang deutlicher Zorn mit. Fast ausgeschlossen, dass in der „Götterdämmerung“ am Freitag geheilt wird, was das Herz der Wagnerfans so verwundet hat.

Die Schere könnte nicht weiter auseinandergehen: Das Publikum huldigt den Sängern, dem Regisseur ist es böse und beleidigt. Warum? Man kann man sich das ein bisschen vorstellen wie beim Rolling-Stones-Konzert: Alles freut sich auf „Satisfaction“, aber sie spielen es nicht! Wagnerianer sind auch nur Fans: Wird die Walküre nicht ins Feuer verbannt und nicht von Siegfried errettet, dann setzt’s Verachtung. Sekunden später wird für Sänger gejubelt und getrampelt und ausgeflippt, wie es Smoking-Trägern keiner zutrauen würde, der es nicht erlebt hat. Wie jetzt bei Andreas Schager als Siegfried.

Der Österreicher, Jahrgang 1971, gab 2016 seinen Einstand in Bayreuth als Erik im „Holländer“. Sein Siegfried-Debüt in Bayreuth wird zum Triumph: Der Mann weiß um sein Aussehen, sein Charisma und seine außerordentlich Stimme, er kostet das aus. Mit selbstbewusster, einnehmender Körperlichkeit spielt er Siegfried als furchtlos-betörenden Kraftmeier und auch leicht törichten Geck. Der Heldentenor verfügt über gewaltiges Volumen, immense Höhen, ein helles, klares und doch betont viriles Strahlen. Was er erntet, ist kein Applaus, es ist Huldigung. Bayreuth hat einen neuen Lieblingshelden.

Ebenso umjubelt und künstlerisch umwerfend ist Sopranistin Daniela Köhler. Ihre Brünnhilde ist bei Weitem nuancierter, treffsicherer, präziser als Iréne Theorin in derselben Rolle in der „Walküre“. Köhlers Forte ist raumgreifend, in den Höhen mit einem angenehmen Hauch von Metall. Die Stimme harmoniert wundervoll mit Andreas Schager, ihr Schlussduett ist ein Jauchzen, wie es vielleicht nur in Bayreuth zu erleben ist. Erfreulicherweise lässt sich Dirigent Cornelius Meister anstecken von der Energie, auch wenn die Orchesterabstimmung mit der Bühne öfter nicht funktioniert.

Mag das Publikum schimpfen, die Regie findet fantastische Bilder und arbeitet neben vielen Rätseln mit seltener logischer und assoziativer Stringenz: Wotans Patriarchenvilla wandelt sich zusehends zur Pyramide, ein Grab für Menschen, die sich für unsterblich halten. Aus dieser tritt Brünnhilde, bandagiert, mumifiziert, halbtot schon; zugleich verweist sie auf die bandagierten aufgetakelten Walküren, deren berühmter Ritt in der Schönheitsklinik spielte. Wie sich Wotans Töchter bei Wagner dessen Willen unterwerfen, so unterwerfen sie sich im „Ring“ 2022 dem Kapitalismus und der Optimierungsindustrie. Den zum Drachen mutierten Riesen Fafner samt seines schleppenden Motivs als nicht sterben könnenden Greis zu inszenieren, erschließt sich von der ersten Sekunde an.

Freilich darf man solche Ideen ablehnen als Publikum, schlechter werden sie dadurch nicht. Valentin Schwarz weiß das, wenn am Freitagabend der Zorn auf ihn hereinbricht.

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