Ausstellung
Das Welterbe in irritierend schönen Bildern

07.08.2022 | Stand 15.09.2023, 4:07 Uhr
Im Salzstadel, bei der Eröffnung der Ausstellung „eine Handvoll Steine“ und der Präsentation eines neuen Buchs: Kulturreferent Wolfgang Dersch, Fotokünstlerin Elisa Wünschter und Welterbe-Koordinator Matthias Ripp (von links) −Foto: Lex

Wer ins Salzstadel-Gewölbe tritt, verhält unwillkürlich mitten im Schritt: Aus dem Dämmer schauen einen Menschen von heute an, die wirken, wie aus der Vergangenheit, wie aus altmeisterlich gemalten Porträts aufgetaucht.

Die Fotografin Elisa Wünschter hat für das Welterbe-Besucherzentrum die Stadt und ihre Menschen in Szene gesetzt, in einem Projekt zum zehnjährigen Bestehen der Einrichtung, umgesetzt von Stadt Regensburg und FH Joanneum Graz.

Der Mann mit den wilden Locken, der von der grauen Wand skeptisch blickt: Im ersten Moment schwört man, das muss der junge Lorenzo di Medici sein. Auf dem Foto daneben lässt eine Frau im Kreuzgang ihren Mantel schwingen. Die Fransen ihres Schals, der helle Teint, der silbrige Knopf an ihrer Hose: Jedes Detail ist delikat ausgeleuchtet und schimmert pudrig-seidig auf mattem Papier. Gegenüber trifft ein gepiercter Typ im dunklen Hoodie, den Hals mit einer schweren Kette behängt, auf zwei Priesterseminaristen und eine Blonde im Gothic-Look, in sternenübersäten Bluse. Die Wirkung ist dramatisch, dabei kontemplativ, mystisch fast.

Elisa Wünschter hat 2021 Besucher des Welterbe-Zentrums getroffen, lange interviewt und fotografiert. Dabei, sagt die Grazerin, fand sie sich immer wieder im Zwiespalt: „Diese Stadt ist Heimat und Kulisse zugleich.“ Sie traf auf „Alltagsleben in einem historischen Freilichtmuseum“: „Der Boden ist meist perfekt gekehrt – doch zugleich funkeln die Scherben von Flaschen am Sonntag in der Früh am Neupfarrplatz.“

Scherben, Graffiti, Abwasserschaum, der einen Baum in der Donau umkräuselt: Auch diese Facetten frieren die Bilder ein. Die meisterhaften, hochästhetischen Bilder balancieren auf dem schmalen Grat zwischen Inszenierung und Echtheit. Sie irritieren und ziehen an. Das Portal von Schloss Thurn und Taxis etwa könnte das Tor eines barocken Friedhofs in Paris sein. Von der Steinernen Brücke zeigt die Künstlerin nur ein Detail: einen Pfeilerfuß aus der Draufsicht. Er schneidet dreieckig durch silbrige Lichtreflexe auf dem Wasser und man fragt sich: Sind das Steine in der Donau – oder eine Pyramide vor Nachthimmel?

Die Ausstellung „eine Handvoll Steine“ läuft bis in den Oktober und eröffnete am Freitagabend im Double-Feature, mit der Präsentation eines Buchs zum zehnjährigen Bestehen des Welterbe-Zentrums. Kulturreferent Wolfgang Dersch, Lorenz Baibl, der Chef des Amts für Archiv und Denkmalpflege, und Welterbe-Koordinator Matthias Ripp schilderten, wie sich das Welterbe immer wieder neue erfindet.

Als das Besucherzentrum 2011 eröffnete, war es bundesweit das erste seiner Art. Seinen idealen Ort fand es im Salzstadel, der ab 1616 in – heute unvorstellbar – nur vier Jahren gebaut wurde, direkt an der Donau und an der Steinernen Brücke. Die Einrichtung wurde vom Stand weg zu Erfolgsstory. Vor Corona besuchten es an die 300 000 Menschen im Jahr. Seit dem Reset im April läuft es zu alter Form auf. 600 bis 1000 Gäste pro Tag kamen im Juli. Dabei ist das Zentrum viel mehr als Touristen-Magnet.

Das Buch, das nun in Kooperation mit dem Joanneum zum Jubiläum erscheint, erklärt, wie das Team Vermittlungsstrategien erforscht und Zukunftsfragen beharkt. Eins der brennenden Themen: Welche Rolle spielt das Welterbe im Klimawandel? Und: Muss Photovoltaik wirklich auf den 1,2 Prozent Regensburger Dachfläche stattfinden, die im historischen Zentrum liegt?

Den theorielastigen Texten tun Elisa Wünschters Fotos gut. Die Beiträge sind außerdem getüpfelt von Zitaten der Besucher. Kira G. sagt da: „Wahrscheinlich war Regensburg ursprünglich ein mittelalterliches Drei-Tages-Fest – und dann hatten die Leute keine Lust mehr, nach Hause zu gehen.“