Jubiläum
Der Parthenon, der an der Donau liegt

Die Walhalla war schon bei ihrer Eröffnung umstritten – und ist es noch heute. Doch die Besucher strömen auf den Bräuberg.

07.08.2017 | Stand 16.09.2023, 6:20 Uhr

Mit etwas Fantasie kann sich der Besucher auf der Walhalla wie im Griechenland-Urlaub fühlen. Architekt Klenze empfand sie dem Parthenon nach, dem Tempel der Stadtgöttin Pallas Athene auf der Akropolis in Athen. Foto: Kellner

„Hier fühlt man sich ein bisschen wie im Griechenland-Urlaub“, sagt ein junger Mann, der mit seiner Begleiterin den gewaltigen Treppenvorbau der Walhalla hinaufsteigt. Wie ihm ergeht es wohl den meisten Besuchern: Sind die 358 Stufen geschafft, schnauft man durch und verfällt in Staunen: über die monumentale Wucht des Bauwerks und die für diese Landschaft ungewöhnliche Architektur. Über diesen Parthenon, der sich an die Donau verirrt hat.

Der englische Landschaftsmaler William Turner malte die Walhalla in Öl

Die Walhalla sei „das Schüsselwerk seines Mäzenatentums“, schrieb der verstorbene Regensburger Kunsthistoriker Prof. Jörg Traeger über Ludwig I. Dessen Bauten hätten „die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen und der Nachwelt“ gefesselt. „Das Urteil war allerdings zwiespältig.“ Ein beeindruckendes Beispiel für das Aufsehen, das der Bau des dorischen Tempels außerhalb Deutschlands erregte, ist das Ölgemälde des berühmten englischen Landschaftsmalers William Turner „The Opening of the Walhalla“, das heute in der Londoner Tate-Gallery hängt. Turner, der 1840 Skizzen von der noch unfertigen Walhalla zeichnete, glorifiziert auf seinem Gemälde die von goldenem Licht umfangene Walhalla hoch über dem Fluss als meisterliche Leistung der Bautätigkeit Ludwigs.

Auch für heutige Menschen ist die Walhalla ein Magnet. 2016 wurden 131 000 zahlende Besucher gezählt (zum Vergleich: 180 000 Menschen besuchten 2016 die Nürnberger Kaiserburg). Tatsächlich sind es etwa doppelt so viele, sagt Bertin Schels, der Verwalter. Nur dass die andere Hälfte sich das Innenleben der Walhalla nicht anschaut und nur Augen hat für die atemberaubende Aussicht – auch außerhalb der Öffnungszeiten. Mancher Genießer bringt Kerzen, Rotwein und Wolldecke mit hinauf.

„Uns stehet stille der Verstand“

Der augenfällige Kontrast zwischen griechischer Bauform und deutsch-nationalem Innenleben stieß schon bei Ludwigs I. Zeitgenossen auf Kritik. Die Komponistin Fanny Hensel sah die Walhalla-Baustelle bei einer Reise 1839 und schrieb: „Einmal beendet, wird sich das Gebäude mit seinen ungeheuren Marmorsäulengängen, die sich gegen die Luft absetzen, prächtig ausnehmen, wenn uns auch einzelnes darin gar nicht gefallen hat und der Name Walhalla und der Zweck, Büsten berühmter deutscher Männer darin aufzustellen, mit der Form eines griechischen Tempels auch durchaus nicht übereinstimmt.“

Die Erklärung des Widerspruchs von Innen und Außen liegt in Ludwigs I. speziellen Vorlieben und Aversionen begründet: Sein Drang, die griechische Antike im Bayern des 19. Jahrhunderts wiederzubeleben, sein Germanenkult – bei den Germanen bedeutete der Ort Walhall eine Art Kriegerparadies –, seine Abneigung gegen Frankreich und Napoleon. Der Bau der Walhalla war Ausdruck seiner Idee, in einer Zeit der politischen Misere nach Napoleons Siegeszügen einen Ort nationaler Identifikation zu erschaffen, damit „alle Teutschen, welchen Stammes sie auch seyen, immer fühlen, daß sie ein gemeinsames Vaterland haben“. Die Ruhmeshalle sollte bedeutende Persönlichkeiten „teutscher Zunge“ sammeln. Die gemeinsame Sprache war zu Ludwigs Zeit das einzige Verbindungsband der Deutschen – einen Nationalstaat im heutigen Sinn gab es noch nicht. Zu den „Teutschen“ zählte Ludwig auch historische Germanen wie Goten und Wandalen. Sein Biograf Martin Schäfer drückte es 1987 so aus: „Als historischer Purist hat sich der in den verschiedenen Stilepochen wildernde Bayern-Fürst niemals empfunden. Die germanische Walhalla und der hellenische Götterbau – das waren für Ludwig keine Gegensätze, die sich ausschlossen.“

Auch die Versammlung der Geehrten im Innenraum hat nicht erst im 21. Jahrhundert Kritiker gefunden. „Uns stehet stille der Verstand. Hast Du keine anderen Größen aufzuweisen, Vaterland?“, schrieb der Ludwig-Biograf Johann Nepomuk Sepp am 3. Oktober 1849 in das Besucherbuch der Walhalla. Die Kritikpunkte der Zeitgenossen fasst Jörg Traeger im Standardwerk „Der Weg nach Walhalla“ zusammen: „Die einen glaubten in der Versammlung der Marmorhäupter zu viele Bayern und Katholiken auszumachen, die anderen zu viele Preußen und Protestanten.“ Der Schriftsteller Ludwig Thoma, der nur eine einzige Bayern-Büste im Aventinus-Kopf fand, ärgerte sich 1909 über die Aufstellung der Moltke-Büste und schreibt: „Das geht so nicht weiter.“

Entweder „tiefste Ehrfurcht“ oder „ungezügelter Spott““

Monarchisten und Republikaner „erblickten gleichermaßen in der Walhalla das markanteste Symbol des Kunstprogramms Ludwigs I. und damit folgerichtig in ihr entweder eine Quelle tiefster Ehrfurcht oder aber eine Zielscheibe ungezügelten Spotts“. So lästerte der Dichter Heinrich Heine über die „marmorne Schädelstätte“. August Heinrich Hoffmann von Fallersleben wies in einem Gedicht auf das anfängliche Fehlen einer Büste für Martin Luther hin: „Verdienstvolle Deutsche, das klinget gar fein, Darf drunter ein Ketzer und Jud auch wohl sein?“

Heute ist die Zahl der Ehrfürchtigen weiter geschrumpft. Zum einen, weil wohl die wenigsten Besucher wissen, wer Maarten Tromp, Hans von Hallwyl, Julius Echter von Mespelbrunn oder die Westgoten Fritigern und Athaulf waren, denen in der Walhalla gedacht wird. Zum anderen, weil sich die Vorstellung von „Heldentum“ gewandelt hat. Generäle und Feldmarschalle wie all die Blüchers, Radetzkys, Moltkes und Gneisenaus taugen nicht mehr als Vorbilder – schon gar nicht vorzeitliche Germanen oder Antisemiten wie Richard Wagner. Frauen sind extrem unterrepräsentiert und allzu viele Köpfe stehen für überholte Herrschaftssysteme.

Gesucht: Der Walhalla-Star von heute

Dr. Richard Loibl, Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte, distanzierte sich 2015 in einem Deutschlandfunk-Interview von der Art der Heldenverehrung, wie sie in der Walhalla praktiziert wird: „Die Walhalla ist ja ein Projekt Ludwigs I., für den die Formel sehr wichtig war: bayerisch bleiben und teutsch (damals hat man das mit T geschrieben), werden. Das war seine Identitäts-Politik, die man heute gar nicht mehr nachvollziehen kann. Auch damals ehrlich gesagt nicht, weil es zu verkopft war. Das hat die Leute nicht wirklich erreicht. Und die Walhalla ist eine Form dieses zur Zeit Ludwigs aufkommenden deutschen Nationalismus, der in Teilen Bayerns relativ früh auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Dieser Nationalismus hat uns aber nicht gutgetan. Also kann und sollte man die Walhalla – und der Historiker muss das natürlich machen – in erster Linie als Denkmal einer vergangenen Epoche begreifen.“

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Bis heute scheidet die Walhalla die Geister: Für die einen ist sie das einzige „lebende“ Nationaldenkmal, weil immer noch vier Plätze für Büsten frei sind. Nur die Entscheidungsfindung ist schwieriger geworden als zu Ludwigs Zeiten: Was kommt dabei heraus, wenn der deutsche Walhalla-Star des 21. Jahrhunderts gesucht wird? Die bayerischen Parteien haben ihre Antwort darauf 2015 gegeben: Die CSU forderte die Aufnahme von Franz Josef Strauß. Die SPD will Wilhelm Hoegner aufstellen, den einzigen bayerischen SPD-Ministerpräsidenten. Die Entscheidungsgewalt über diese Frage hat der in CSU-Hand befindliche bayerische Ministerrat. Der hält sich aber an die Empfehlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, die alle Vorschläge prüft.

„Keine verordnete Heldenverehrung“

Für andere ist das Köpfe aufstellen an sich im 21. Jahrhundert ein Graus: Sepp Dürr von den Landtagsgrünen würde die Walhalla am liebsten zum Museum machen, anstatt dort Heldenkult zu betreiben. Man solle lieber moderne Konzepte entwickeln, um zu vermitteln, „wie wir mit Helden und Vorbildern künftig umgehen wollen“. Die Vorstellung, eine Regierung könne heute noch dem Volk verordnen, welche Helden zu verehren seien, sei absurd.

Das „Volk“, das die Walhalla an einem sonnigen Samstag Ende Juli in Käppis und kurzen Hosen besucht, sieht allerdings weniger ehrfürchtig als vergnügt aus. Der weite Blick über das Donautal, Kaffee und Ciabatta vom Kiosk stehlen den „Walhalla-Genossen“ im Inneren eindeutig die Schau. Ludwig wäre wohl nicht damit zufrieden gewesen. Denn moralisch geläutert, wie er es wünschte, werden die Ausflügler kaum nach Hause gehen. Aber definitiv bereichert.

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Der Schüler Firmin Forster hat in einer 2016 vom Bayerischen Club ausgezeichneten SeminararbeitWalhalla und den Athener Parthenon verglichen.