Kultur
„Der Revisor“ in Regensburg: Alle stopfen sich die Taschen voll

08.11.2022 | Stand 15.09.2023, 3:00 Uhr
Ein zeitloses Stück über die Dynamik der Angst: Der vermeintliche Revisor Chlestakow (Max Roenneberg) zieht den Honoratioren einer Kleinstadt das Geld aus der Tasche. −Foto: Tom Neumeier

Vorzügliche Schauspieler, ausgefeilte Ausstattung, kluge Regie mit vielen Querverweisen: Nikolai Gogols Gesellschaftskomödie „Der Revisor“ wird im Antoniushaus zum Vergnügen, bei dem einem allerdings das Lachen im Hals stecken bleibt.

Den Dichter Puschkin hielt man einmal in Nischni Nowgorod für einen incognito reisenden staatlichen Revisor. Nikolai Gogol machte daraus 1835 ein überzeitliches Theaterstück, das bis heute für jedes denkbare Gesellschaftsgefüge gelten kann. „Der Revisor“ zeigt die Dynamik einer Gesellschaft in Angst.

Als das Gerücht um den Besuch eines Revisors aus der Hauptstadt umgeht, zittern die Honoratioren einer russischen Kleinstadt vor der Entdeckung ihrer Machenschaften. Es geht um Missstände im Krankenhaus, um veruntreute Gelder für eine Kirche, die nie gebaut wurde, um die Bestechung des Richters und um die Postmeisterin, die alle Briefe liest, weil sie „ums Verrecken gern“ wissen will, was es Neues gibt. So hat jeder seinen Grund, das Gesetz zu brechen, der eine aus Geldgier, der andere, um der Bedeutungslosigkeit zu entfliehen, die Dritte, um Selbstbestätigung zu bekommen.

Voll bitterem Witz

Regisseur Daniel Foerster inszeniert das Stück im Antoniushaus relativ nah am Text und als „bunten Abend“ quasi. Die Kostüme (Lise Kruse) sind ausgefeilt und grellbunt. Farbfamilien verweisen auf Familienverbände: Der Stadthauptmann ist blaugrün gewandet, der vermeintliche Revisor Chlestakow trägt einen giftgrünen Lederanzug, kann sich also auch farblich Frau und Tochter des Stadthauptmanns nähern. Die männlichen Quadratratschen Bobtschinski und Dobtschinski (mal witzig, mal dümmlich, mal auftrumpfend: Enzo Brumm und Maximilian Herzogenrath) tragen Anzüge in Gelb-Orange. Die geschlechtsumgewandelte Heimleiter-in, Postmeister-in und sonstige Direktor-in (fantastisch: Franziska Sörensen) hat ein Mantelkleid in Pink und Stiefel in Gelb an, eher in Blau tritt der Richter, Kellner und Schulinspektor Arne Gottschling auf. Multipersonal sind beide und sie sorgen für viel Witz und so manchen Lacher, auch wenn einem das Lachen im Halse stecken bleiben könnte über all dem Vertuschen und Vorspiegeln falscher Gefühle und Fakten.

Außerhalb des Farbkonzepts steht Chlestakows Diener Ossip (großartig: Michael Haake) in heller Hose und dunklem Hemd. Im Grunde hält er die Fäden in der Hand, wie das so oft geht mit Dienerfiguren auf der Bühne. Er sorgt für die praktische Lebensbewältigung, besorgt Essen und Unterkunft und stellt wichtige Weichen für die Handlung. Seinem Herrn rät er zur Abreise, nachdem der sich verlobt, verstrickt, verheddert hat in den Strukturen der Kleinstadt, in einem „Bunten Leben“, das schon Kandinsky in seinem gleichnamigen frühen Hauptwerk von 1907 zeigt. Die Bühne (Jan Hendrik Neidert) ist multifunktional: Bewegliche Treppen werden zu Wohnraum, Klettergerüst, Bett oder, wie beim Showdown, zur Showtreppe, auf der die Familie des Stadthauptmanns (beeindruckend wandelbar: Thomas Mehlhorn, Kathrin Berg und Sophie Juliana Pollack) wie eine Präsidentenfamilie agiert, Blumen entgegennimmt und eine strahlende Zukunft in St. Petersburg imaginiert. Aber der Absturz kommt und alle gehen ab durch die Mitte, durch das riesige Loch in der weißen Rückwand.

Kraftvoller Bilderreigen

Geld spielt eine große Rolle in dieser Gesellschaft. Man braucht es nicht nur, um zu leben und zu essen wie Chlestakow, der Mann in Grün (stimmgewaltig und äußerst vielseitig: Max Roenneberg), der seine Zeche nicht zahlen kann und den Stadtoberen das Geld bündelweise aus den Taschen zieht. Der Reigen um Intrigen, falsche Wahrheiten, Gruppendynamik und vieles andere findet in der Daniel-Foerster-Inszenierung genialen Ausdruck.

Bei ihrer ersten Begegnung stehen Stadthauptmann und Revisor ganz oben auf einer Treppe und buckeln voreinander wie die beiden „Männer, einander in höherer Stellung vermutend, begegnen sich“ von Paul Klee. Solche Augenblicke und Querbezüge gibt es immer wieder in diesem Bilderreigen. Sie haben Kraft für sich allein, aber auch im Gesamtgefüge.

Die Schlussszene darf die Tochter bestreiten. Sie trägt – wie Amanda Gorman bei Joe Bidens Inauguration – einen intensiven Text vor, mit der Stimme der Jugend und der Wut. Der stammt aber nicht von Gogol, sondern aus „Die Politiker“ des Dramatikers Wolfram Lotz.