Literatur
Erika Mann, die „Tochter-Adjutantin“

Thomas Mann verließ sich gern auf seine Erstgeborene. Vor 50 Jahren starb die Literatin nach einem turbulenten Leben.

23.08.2019 | Stand 12.10.2023, 10:21 Uhr
Helmut Hein

Erika Mann (links) als Gouvernante in „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ Foto: Gerd Herold/dpa

Gleich zweimal rettete sie ihren Vater Thomas Mann: zunächst physisch, dann moralisch. Im März 1933 warnte sie ihn, von seiner „Erholungsreise“ in der Schweiz nach Deutschland zurückzukehren. Auch in München hatten die Nationalsozialisten nach dem Reichstagsbrand die Macht übernommen. Dort herrschte jetzt Franz von Epp. Erika selbst holte noch, sich der Gefahren wohl bewusst, die Manuskripte des Joseph-Romans aus der elterlichen Villa und ging dann ins Exil.

Thomas Mann ging erst spät ins Exil

Dort bedrängte sie dann – zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Klaus („Mephisto“) – ihren Vater, sich rasch und entschieden vom Nazi-Regime zu distanzieren. Der Literaturnobelpreisträger des Jahres 1929 und entschiedene Vorkämpfer der Weimarer Republik zögerte lange. Er hatte Angst, durch einen solchen Schritt einen Großteil seiner Leser zu verlieren. Erst 1936 folgte er dem Rat seiner ältesten Kinder. Später gehörte er dann mit seinen von der BBC übertragenen Radio-Reden an die „deutschen Hörer“ zu den härtesten und gefürchtetsten Kritikern von Hitlers mörderischem Unrechtsstaat.

Das Verdienst Erika Manns? Jedenfalls auch. Ihr Vater vertraute ihr; sie wurde zu seiner engsten Mitarbeiterin. Dabei stand die Vater-Tochter-Beziehung anfangs unter keinem guten Stern. Thomas Mann, der neben all seinen Tugenden auch ein grauenhaft indiskreter, vor keinem Tabu zurückscheuender Narziss war, schrieb bei ihrer Geburt an den Bruder Heinrich: „Es ist also ein Mädchen; eine Enttäuschung für mich ... ich hatte mir einen Sohn gewünscht und höre nicht auf, es zu thun ... Ich empfinde einen Sohn als poesievoller, mehr als Fortsetzung und Wiederbeginn meiner selbst unter neuen Bedingungen.“ Was ihn später aber nicht hinderte, seinen Sohn Golo, der ein bedeutender Historiker und politischer Publizist wurde, als „dumm und hässlich“ zu beschimpfen.

Erika hielt früh dagegen. Schon als Jugendliche war sie im Hause Mann diejenige, die oft die Richtung vorgab. Sie war das, was man damals gern ein „Wunderkind“ nannte: begabt, kreativ, aber eben auch eigenwillig und aufsässig. Ihre Leidenschaft galt zunächst vor allem dem Theater. Sie war noch Schülerin, als sie der legendäre Max Reinhardt schon an sein Deutsches Theater engagierte.

Eine Ehe als Tarnexistenz

Und sie scheute vor keinem Skandal zurück. In Klaus Manns Stück „Anja und Esther“ mimte sie mit Pamela Wederkind ein lesbisches Paar. Regie führte übrigens Gustaf Gründgens, den sie dann auch prompt heiratete. Für beide, den schwulen Gründgens und die lesbische Erika Mann, war das eine Art Tarnexistenz, die sie halbwegs vor Verfolgung wegen ihrer sexuellen Präferenzen bewahrte.

Zur Schriftstellerin wurde sie zunächst, um eine andere große Passion zu finanzieren: das Reisen. Mit Anfang 20 brach sie zusammen mit dem Bruder Klaus – beide bezeichneten sich gern als „Zwillinge“, was nicht stimmte, aber gern geglaubt wurde – zu einer dreivierteljährigen Weltreise auf. Zu ihren Zielen zählten Japan, Korea, China, die Sowjetunion und die USA. Dort lernten die beiden Freundschaftskünstler Berühmtheiten wie Emil Jannings, Greta Garbo und den damals überaus populären Schriftsteller Upton Sinclair kennen. Nur eine entschiedene Hoffnung Erikas erfüllte sich nicht: eine Karriere in der Traumfabrik. Hollywood verschmähte sie. Dafür veröffentlichte der renommierte S. Fischer Verlag 1929 ihr Buch „Rundherum. Das Abenteuer einer Weltreise.“ Der Titel ist übrigens wörtlich zu nehmen.

Die erste große Weltreise und der Erfolg ihres gemeinsamen Buchs hatten bei Erika und Klaus die Lust auf mehr geweckt. 1930 bereisten sie Nordafrika. Dabei lernten sie noch andere, fremde Welten kennen, experimentierten mit Drogen und öffneten so die „Pforten der Wahrnehmung“, wie das Aldous Huxley in dieser Zeit nannte. Der Preis der Bewusstseinserweiterung: eine Sucht, mit der Erika Mann zeitlebens zu kämpfen hatte. Auch der Alkohol spielte eine unheilvolle Rolle. Sie hatte in Marokko vieles gelernt; aber nicht, wie man mit Drogen so umgeht, dass man sich nicht selbst zerstört.

Was ihr Hollywood verwehrt hatte, erfüllte sie sich nach ihrer Rückkehr in Deutschland. Sie wirkte als Schauspielerin – wenn auch in eher kleineren Rollen – in bis heute bekannten Filmen wie „Mädchen in Uniform“ oder „Peter Voss“ mit, spielte Theater, eroberte die Bühne vor allem aber auch mit Revuen und Kabarettprogrammen. Noch in München gründete sie, zusammen mit Klaus und Therese Giehse, damals ihre Geliebte, das politisch-literarische Kabarett „Die Pfeffermühle“, mit dem sie dann vor allem im Schweizer Exil anfangs große Erfolge feierte und – sicher ein Qualitätsmerkmal – die Nazis nachhaltig ärgerte. Wegen ihrer „deutschfeindlichen“ Aktivitäten wurde ihr im Juni 1935 die Staatsbürgerschaft entzogen. In dieser schwierigen Situation half ihr eine weitere Schein-Ehe, diesmal mit dem homosexuellen W. H. Auden.

Die Amerikaner hatten keinen Sinn für ihren Humor

Im Herbst 1936 wollte sie mit der „Pfeffermühle“ (neuer Name: „Peppermill“) in den USA Fuß fassen. Das misslang gründlich. Die Amerikaner hatten keinen Sinn für diese Art von galligem Humor. Dafür begann Erika Mann eine neue Karriere als „lecturer“, also als Vortragsreisende (bis 1948). Ihren großen Erfolg in diesem sehr speziellen amerikanischen Genre erklärte ihr Bruder Klaus damit, dass sie beides hatte: eine „message“ und Charme, man könnte auch sagen: Entertainmentqualitäten.

In dieser Zeit politisierte sich Erika Mann weiter, schrieb sehr erfolgreiche Bücher über die Naszi-Erziehung („School for Barbarians“) und das „andere Deutschland“, bereiste Spanien, wo noch immer ein grauenhafter Bürgerkrieg (unter Beteiligung diverser Großmächte) tobte, fand zunehmend Gefallen an Reportage und Essay als Mitteln der Aufklärung. Von 1943 bis 45 arbeitete sie als Kriegsberichterstatterin. Heute würde man das „embedded journalism“ nennen. Sie bekleidete in der US-Army den Rang eines Captains.

Sie schrieb Kinderbücher und wurde nach dem Krieg zunehmend, wie das Thomas Mann in seinen Tagebüchern nannte, zur „Tochter-Adjutantin“ ihres berühmten Vaters. Er präzisierte das noch und nannte sie seine „Sekretärin – besser müsste es wohl heißen: Lektorin -, Biographin und Nachlasshüterin“. Das wurde sie zunehmend, auch die ihres Bruders Klaus, der sich 1949 das Leben genommen hatte, und dann ihres Vaters, der 1956 starb.

Ihr Nachruhm ist ungebrochen

Sie selbst war zu dieser Zeit längst nach Europa zurückgekehrt; auch eine Folge der paranoiden MacCarthy-Ära, in der Exilanten vom FBI beobachtet und pauschal als „Kommunisten“ verdächtigt wurden. Erika Mann starb vor 50 Jahren, gesundheitlich zerrüttet, am 27. August 1969. Ihr Nachruhm ist ungebrochen, zeigt sich unter anderem in einer Fülle von Büchern über sie und die Familie Mann.

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