Musik Ewiges Hoch auf die Bohème
Mit schlafwandlerischer Sicherheit zieht „Der Nino“ im TikiBeat in Regensburg alle Register zwischen Folk, Beat und Noise.

Regensburg.Ein bisserl high wirkt er eh immer, der Nino Mandl, der sich und sein Bandprojekt in einer Mischung aus Charme und Nonchalance „Der Nino aus Wien“ nennt. An diesem Abend aber, auf der Bühne im restlos ausverkauften TikiBeat am Arnulfsplatz, da scheint’s kein G‘spritzter und auch keine süße Tabakmischung gewesen zu sein, die ihn in diesen Zustand der Levitation versetzt hat. Nein, kurz vor Konzertbeginn hatte sich sein Lieblingsverein Rapid Wien im entscheidenden Spiel der Gruppenphase der Euroleague mit 1:0 gegen die Glasgow Rangers durchsetzen können.
Was natürlich „leiwaund“ war, für den Nino. Und ihm nicht nur ein „natural high“ bescherte, sondern auch die Hoffnung, dass man im Frühjahr „im Sechzehntelfinale“ einen „attraktiven schlagbaren Gegner wie Schalke oder Inter Mailand“ zugelost bekäme.
Das alles sagt er in einem unverkennbar flirrenden Ton selbstbewusster Selbstironie. Nimmt den Mund voll, im vollen Bewusstsein um die beschränkten Möglichkeiten am Fußballstandort Hütteldorf. Raunt noch was von „der Rapid“, was sich irgendwie wie „Therapie“ anhört. Und kündet dann „Tränen machen wach“ an, mit einem unvergleichlichen: „Spiel‘ ma so Disco-Depressionsmusik!“
Glockenhell und sehr präzise
Kaum aber hat die Band begonnen, sind die ersten Stakkato-Takte der Bass-Drum erklungen, haben Bass und Gitarre eingesetzt, so verwandelt sich der etwas gebeugt und instabil dastehende und klapprig wirkende Thirtysomething aus der Pete-Doherty-Liga in einen Performer der Extraklasse. Hält sich nicht nur an seiner Westerngitarre fest, sondern legt eine solide Akkordebasis. Deklamiert seine Zeilen („Ich schreibe Dir / Den alten Brief / Länger als ein Buch / Schöner als Musik“) so verzweifelt wie ein Shakespeare-Darsteller, der von der Bühne in der Wiener Burg herb um die Gunst des Publikums ringt. Um dann, wenn er zum Refrain anhebt, glockenhell und sehr präzise zu singen.
Donaustädtisches Gefühl
Ja, da hat einer, der sich unverkennbar und völlig authentisch zu einem bohemistischen und an Nebenwirkungen reichen Lebenslauf bekennt, mit seinem Platz vorm Publikum eine Nische für sich entdeckt. Von dieser Stelle aus beobachtet und kommentiert er die Welt, mit großer Ernsthaftigkeit und dichterischer Finesse. Wenn er also das Lied „Deine Bohème“ anstimmt (eine beste Dylan-Momente zitierende Folk-Ballade), dann ist das nicht nur die Beschreibung von einem, der sich in plüschig-kargen Kaffeehäusern herumtreibt und den perfekten Rausch sucht. Nein, das ist auch der Blick in einen Spiegel, der nicht die Gegenwart, aber eine etwaige Zukunft abbildet.
Und die Konturen eines tapfer Verzweifelten reflektiert, der der Dichtung und der Komposition jede Faser seines Körpers zu opfern bereit ist. „Du bildest Dir ein / Es ist alles ein Reim / Den Du jetzt finden darfst / Das Messer am Boden des Herzens / Ist scharf.“
Auf seinem im Herbst erschienenen selftitled Album ist der Song „Jukebox“ drauf, der einer mit allen Intarsien des Austropop und des Wiener Lieds geschmückten Gratis-Abspielstation im „Schweden Espresso“ gewidmet ist. Sofort überfällt einen die große Sehnsucht, auch mal wieder donauabwärts zu reisen und im zweiten Bezirk ein Kaffeehaus aufzusuchen. Dort den „Falter“ zu lesen, dieses große, in der Karl Kraus’schen „Fackel“-Tradition stehende Stadtmagazin, das im Augenblick im türkis-blauen Österreich das ist, was „Washington Post“ oder „New York Times“ für die USA unter Trump sind. „Der Nino aus Wien“ ist – wie er selbst bekennt – Donaustädter. „Alle glauben an ‚bekifft‘ / aber die Sprache, die Du sprichst / ist Donaustädterisch“.
Damit meint er zwar den 22. Bezirk. Aber haben wir Regensburger dieses donaustädtische Hochgefühl nicht gemeinsam mit ihm? Und den Hang zur Bohème? Die Neigung zum Wein? Der, mit Mineralwasser verdünnt (gut, das heißt bei uns Schorle), Nino Mandl zu Sätzen inspiriert wie diesen: „So a G’spritzter is aa nur a Gewässer / aber der Neusiedlersee is größer!“
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