Regensburg
Faszinierender Tanzabend: Der Weg ist ein steter Kreis

15.11.2022 | Stand 15.09.2023, 2:52 Uhr
Das Ensemble von Guy Nader und Maria Campos stellte im Theater am Bismarckplatz die Gesetze von Zeit und Schwerkraft in Frage. Das Publikum raste vor Begeisterung. −Foto: Michael Scheiner

Die Regensburger Tanztage erlebten am Montagabend einen Höhepunkt: Das Ensemble Guy Nader und Maria Campos wurde im Theater am Bismarckplatz frenetisch bejubelt.

Erst einem, dann zwei – am Ende schaute man im Theater Regensburg sieben Menschen beim Gehen zu. Im Bogen liefen sie über die Bühne, zogen kleinere und größere Kreise. Dieser Fluss an Bewegungen sollte fast ohne Unterbrechung bis zum Ende von „Set of Sets“ weiterlaufen.

Guy Nader und Maria Campos, mit ihrem Ensemble in Barcelona daheim, haben eine Choreografie geschaffen, die die Gesetze von Zeit und Schwerkraft in Frage zu stellen scheint. Das libanesisch-spanische Paar gastierte bei den 25. Regensburger Tanztagen, die noch bis 27. November dauern. Weitere Gäste sind etwa die Cocoondance Company (22. November) und die Anton Lachky Company (24. November). Details sind zu finden bei www.regensburger-tanztage.de.

An der körperlichen Grenze

Das Ensemble zählt laut Kritikern zu den „aufregendsten Tanzprojekten unserer Zeit“. Dem Jubel und dem stehenden Applaus im Theater am Bismarckplatz nach, schlossen sich die gut 500 Zuschauer dem Urteil voll und ganz an.

Im beinahe undurchdringlichen Dämmerlicht und in völliger Stille begann „Set of Sets“. Am Ende sanken zwei Tänzer, die sich – mit jeweils zwei weiteren Gruppenmitgliedern um den Hals – wie wild im Kreis drehten, wieder zurück ins Dunkel. In den 90 Minuten dazwischen schien die Zeit in einem Sog von Permanenz aufgehoben zu sein. Anders lässt sich das durch die Musik und die stetigen, sich wiederholenden Bewegungen hervorgerufene Gefühl kaum beschreiben. Knisternde Geräusche gingen in perlende elektronische Klänge über. Darüber legte der live agierende Schlagwerker Miguel Marin eindringliche Rhythmen, die sich im endlosen Spannungsbogen bis zum Crescendo steigerten. Gleichzeitig begannen sich die Kreise der Gehenden zu verengen. Die Gehenden berührten sich, ballten sich, sprangen, kämpften miteinander, lösten sich voneinander und setzten wieder an.

Die musikalisch-elektronischen Formen erinnerten an die repetitiven Dauerschleifen der Minimal Music mit ihren kaum wahrnehmbaren Veränderungen und verstärkten den Eindruck von zeitloser Stetigkeit und Wiederholung. Die rhythmische Präsenz und Komplexität des Schlagzeugs verdichtete den Klangraum zunehmend und ballte ihn in dynamischer Spannung. Währenddessen drehten die Tänzer und Tänzerinnen unaufhörlich weiter ihre Runden. Angetrieben von der Musik, trafen sie immer wieder aufeinander und reagierten wie Zündfunken in einer Kombination aus Breakdance, Akrobatik, zeitgenössischem Tanz und Kampfkunst. Dabei agierten sie scheinbar völlig mühelos an den Grenzen des körperlich Möglichen und setzten sich fliegend, kippend und stürzend über die Schwerkraft hinweg.

Alles geschah aus einer kreisförmigen, rollenden Bewegung heraus, die an den Kreislauf des Lebens, der Uhr oder des Kosmos mit seinem unerbittlichen Fortgang denken ließ. Eingebettet in die repetierenden Bewegungen scherten gelegentlich einzelne Tänzer aus, präsentierten ein Solo und gliederten sich dann wieder in den steten Bewegungsfluss ein.

Vereinzelt stockte der Fluss und das Ensemble verknäulte sich, zu einem komischen Bild aus abstehenden Gliedmaßen und auf dem Kopf stehenden Körpern. Es war, als sei wie bei Charlie Chaplins „Moderne Zeiten“ ein falsches Werkzeug oder ein fehlerhafter Arbeitsschritt zwischen die Tänzer geraten und hätte für einen Moment alles durcheinander gebracht.

Total verausgabt

Endlos viele Hebungen und Sprünge über und in die Arme von Mittänzern schienen jedes Maß an physischen Möglichkeiten zu übersteigen. Welcher mentale und körperliche Kraftaufwand hinter dieser Präzision steckte, ließ sich an den komplett verschwitzten Bodysuits bei der Schlussverbeugung ablesen. In einem faszinierenden Raum relativierter Zeit war das Ensemble bis zur Verausgabung in Bewegung und forderte die gewohnten Wahrnehmungsmuster der Zuschauer nachhaltig heraus. Umwerfend!