Literatur
Giftmord und Sex im Kloster

Hubert Wolfs „Die Nonnen von Sant’Ambrogio“ zeigt: Die wahre Geschichte übertrifft alle antiklerikalen Vorurteile. Am Montag liest der Autor in Regensburg.

10.04.2013 | Stand 16.09.2023, 7:23 Uhr
Konrad Maria Färber

Im Beck-Verlag erschienen: „Die Nonnen von Sant’Ambrogio“

In den Jahren 1860 bis 1862 fand in Rom vor dem Heiligen Officium ein Geheimprozess statt. Angeklagt waren die Novizenmeisterin, die Äbtissin sowie die beiden Beichtväter des römischen Klosters von Sant’Ambrogio. Was der Prozess ans Licht brachte, übertrifft die Unterstellungen der damaligen antiklerikalen Literatur bei weitem: falsche Heilige und gefälschte Himmelsbriefe, sexueller Missbrauch und Unzucht mit Abhängigen, Giftmorde und Giftmordanschläge, Sex zwischen Beichtvater und Beichtkind – um nur die krassesten Beispiele zu nennen.

Verwickelt in den Skandal, obgleich natürlich nicht angeklagt, waren aber auch höchste Vertreter des kirchlichen Establishments wie der undurchsichtige Kardinal von Reisach, der einst als Erzbischof von München-Freising nach Rom weggelobt worden war, der zwielichtige Kardinalvikar Patrizi, und selbst Pius IX., der den Prozess am liebsten verhindert hätte, konnte seine Hände nicht ganz in Unschuld waschen.

In gewisser Hinsicht spiegelt dieser haarsträubende Kirchenkrimi auch den Machtkampf zwischen den jesuitischen Neuscholastikern, die damals mit allen Mitteln ein bedingungsloses Supremat des Papsttums verfochten und 1854 das Mariendogma durchsetzten, und den modernen Vertretern einer katholischen Erneuerungsbewegung, die Glauben und wissenschaftliche Erkenntnisse in Übereinklang zu bringen suchte.

Erste und wichtigste Zeugin der Anklage war die Fürstin Katharina von Hohenzollern, die als Novizin im Kloster Sant’Ambrogio gelebt hatte und dort als Mitwisserin der Missbrauchsfälle mit Gift aus dem Weg geräumt werden sollte. Nach mehrfachen Anschlägen gelang ihr mit Hilfe ihres Cousins Gustav Adolf zu Hohenlohe-Schillingsfürst, Titularerzbischof von Edessa, die Flucht aus dem Kloster. Sie war es, die den Prozess schließlich ins Rollen brachte.

Schon rasch stellte sich heraus, dass die schöne junge Nonne Maria Luisa Ridolfi und der aus Dortmund stammende Jesuit Joseph Kleutgen die Hauptakteure waren. Maria Luisa hatte sich mit Hilfe von Himmelsbriefen, die angeblich von der Gottesmutter stammten, in Wirklichkeit aber von ihr gefälscht waren, das Amt der Novizenmeisterin erschlichen. Seitdem mussten die jungen Nonnen vor ihrer Einkleidung bei ihr zum Liebesspiel antreten.

Der Jesuit Kleutgen, der in Rom während der Unruhen von 1848 vorübergehend untergetaucht war und mit seinem Beichtkind Alessandra N., einer jungen Römerin, in wilder Ehe zusammen gelebt hatte, wurde 1856 Beichtvater in Sant’Ambrogio. Dort trieb er es dann mit der damals 23-jährigen Maria Luisa. Pikanterweise war ausgerechnet Kleutgen, der nach der Verurteilung zu zwei Jahren Klosterhaft wieder in Gnaden aufgenommen wurde, maßgeblich an der Entstehung des päpstlichen Unfehlbarkeitsdogmas von 1870 beteiligt.

Diese spannend geschriebene, gründlich recherchierte und dramaturgisch geschickt aufgebaute wahre Geschichte enthüllt gleichzeitig auf gut verständliche Weise die komplexen und vielfach widersprüchlichen geistigen Strömungen innerhalb der katholischen Kirche des 19. Jahrhunderts. Hubert Wolf hatte die Prozessakten im Archiv der Kongregation für die Glaubenslehre entdeckt, wo sie über hundert Jahre versteckt lagen. Präfekt der Kongregation war bis 2005 der damalige Kardinal Joseph Ratzinger, seit dem letzten Jahr amtiert hier der ehemalige Regensburger Bischof Gerhard Ludwig.

Das Buch

Hbert Wolfs Buch „Die Nonnen von Sant’Ambrogio. Eine wahre Geschichte“ (544 Seiten mit Abbildungen, 24,95 Euro) ist im Verlag C. H. Beck erschienen. Am Montag, 15. April, 20.30 Uhr, liest der Autor in Regensburg, bei Bücher Pustet, Gesandtenstraße, aus seinem Werk.