Kultur
Gold-Crew zieht durch Regensburg

15.08.2022 | Stand 15.09.2023, 4:01 Uhr
In goldenen Ganzkörper-Anzügen vor dem Regensburger Dom: Die Patrioten des Universums bei ihrer freundlichen Einnahme der Welterbestadt −Foto: Fotos: Tino Lex

„Die Deutschen sind komisch“, sagt Marina Ferrari aus Südtirol, als sie am Samstag Menschen in goldenen Ganzkörper-Anzügen in den Dom einziehen sieht. Die Töchter und Söhne der Sonne aus Warschau, die gerade im goldfarben Bus gelandet sind, sind aber keine Deutschen und auch keine Polen: Sie verstehen sich als Jünger des Universums, die durch die Welt reisen und einladen, den Planeten aus einer übergeordneten, gemeinschaftlichen Warte zu sehen.

Kopf der Gruppe ist Pawel Althamer, international beachteter Protagonist der zeitgenössischen Kunst, Bildhauer, Zeichner, Performer und vor allem: Menschenvernetzer. Das Kunstforum Ostdeutsche Galerie hat ihm für sein an Partizipation orientiertes Werk den Lovis-Corinth-Preis 2022 verliehen. Seine Interventionen gestaltet er so konzeptionell und irritierend wie unmissverständlich direkt und zu Herzen gehend. Das beginnt schon bei der Ankunft am Dom.

Agnes Tieze, die Direktorin des Kunstforums, wird geherzt und mit Geschenken bedacht. Remigius Bok überreicht kleine Gestalten, aus Draht auf Aluplatten genäht, und Kazimierz Wiejak zitiert ein Gedicht, das sich um Krieg und die Kraft der Menschlichtkeit dreht. „Wir sind gekommen, um uns der Gesellschaft in Regensburg anzuschließen“, sagt Pawel Althamer, „in Freundschaft und um Freude zu bringen“. Der Golddress, der in der Sonne gleißt, zitiert die Dogon, ein Naturvolk auf Mali, und ihren Glauben an Außerirdische. Gleichzeitig verweisen die Astronautenanzüge auf Althamers Haltung: „Wir sind alle freie, strahlende Geschöpfe“, sagt er weiter, und: „Wenn wir uns austauschen, entsteht Freude.“

Wie zum Beweis kommen Franziska und Burak Günay vorbei, die gerade im Alten Rathaus getraut wurden. Sie wissen kaum, wie ihnen geschieht, als ihnen die Besucher auf Polnisch ein Ständchen singen – und strahlen. Im Dämmerlicht des Doms dann erzeugt die Gold-Gruppe, die schweigend durch die Kathedrale streift, mystisch wirkende Momente. „Ich bin gläubig“, bekennt Pawel Althamer, meint damit aber nicht Kirche oder Religion, dafür durchaus die Lehre von Jesus und den Glauben an die Schöpferkraft der Menschen. Der 55-Jährige identifiziert sich mit der Rolle eines Schamanen, der sich in die Gesellschaft einfühlt und für ihr Schicksal Verantwortung spürt. In seine Arbeit fließen unterschiedliche Modelle ein: Joseph Beuys und die Kunst als soziale Plastik, die Kahuna auf Hawaii und ihr Modell von Über- und Unterbewusstein, Voodoo-Vorstellungen von unerklärlichen Mächten.

Pawel Althamer ist eben nicht zu fassen. Er verarbeitet handfeste, todernste Themen wie Abtreibungspolitik und die Unterdrückung in Belarus, er grundiert seine Interventionen mit Schalk und Witz. Er spielt mit dem Geniekult und sucht gleichzeitig den kollaborativen Prozess – am längsten wohl in der Nowolipie-Gruppe. Der Kreis von Menschen mit Multipler Sklerose, benannt nach einer Straße in Warschau, trifft sich seit 29 Jahren jeden Freitag zum gemeinsamen Gestalten.

Mitglieder der Gruppe sind auch in Regensburg an Bord. Vor dem Kunstforum gestalten sie mit Besuchern großformatige Bilder. Am nächsten Tag landet die Gold-Crew dann noch kurz auf der Walhalla bei Regensburg. Sie singt, erprobt den langen Nachhall, trinkt sich zu und staunt über die Büsten der berühmten „Teutschen“. Und umgekehrt womöglich auch.

Pawel Althamer:Er faszniert mit Werken, die den Kunstbegriff erweitern. 2009 gründete er in Warschau einen Skultpurenpark, in dem etwa Olafur Eliasson und die Nowolipie-Gruppe vertreten sind. Er erhielt den Kunstpreis Aachen und den Kairos-Preis.

Ausstellung:Das Kunstforum Ostdeutsche Galerie ehrt den Lovis-Corinth-Preisträger des Jahres 2022 mit einer umfassenden Ausstellung, zu sehen bis 11. September. Bei den Vorbereitungen entstand die Idee, in Regensburg eine Performance zu gestalten.

Common Task:Seit 2008 bereist Althamer mit Menschen in Goldanzügen die Welt. Erste Station war Polen, es folgten Interventionen in Belgien, Brasilien, Großbritannien, Mali, Deutschland, Italien, Weißrussland und Zypern (2015) - und jetzt Regensburg.

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