Portrait
Hans Dieter Schäfer wird 80 Jahre

Der Hochschullehrer, der auch Dichter ist, betrachtet Wissenschaft und Kunst als Einheit. Bald erscheint sein neues Buch.

06.09.2019 | Stand 16.09.2023, 5:30 Uhr
Peter Geiger

In seinem Gedicht „Augustabend im Spitalgarten“ bemerkt Hans Dieter Schäfer, er sei „heimlich ins Alter hinübergeschlafen“ – für einen Workaholic wie ihn, der bis heute so agil und vital wie ein Mittfünfziger wirkt, eine fraglos defensive Beschreibung. Foto: Peter Geiger

Ein Geburtstagsartikel für Hans Dieter Schäfer? – Ach, der schreibt sich doch eigentlich von selbst! Denn man muss nur der Rezeptur folgen, die einem der in Stadtamhof lebende Literaturwissenschaftler und Dichter, der am heutigen Samstag 80 Jahre alt wird, empfiehlt: „Alles, was Sie über mich wissen müssen, das finden Sie in meinen Gedichten und Schriften!“

Sagt’s, schlägt zur Bekräftigung mit der Rechten theatralisch auf den für den Gast mit Käsecrackern und Saftflaschen garnierten Wohnzimmertisch in seiner Mansarde mit kombiniertem Dom- und Donaublick – und ergänzt exklamierend: „So geht das!“ Denn: Egal, ob es sich um Wissenschaft handelt oder um Kunst – „die Sprache, die muss authentisch sein!“

Ausdruck:
„Es ist schade, dass neben dem Literaturwissenschaftler Schäfer der eminente Dichter zu wenig bekannt wurde. Vielleicht ist der 80. eine gute Gelegenheit, alle seine langzeiligen Gedichte einmal in einem Band zu versammeln: ein Panorama der Geschichte und der Gegenwart von höchster Ausdruckskraft.“

Und weil er gerade mit einer autobiografischen Arbeit fertig geworden ist, dem Erinnerungsstück „Von Abschied zu Abschied“ (worin er aus einem Koffers voll Fotos und Briefen Geschichte und Geschichten seiner aus Sachsen stammenden Familie schöpft), erläutert er seine These gleich am Exempel von Onkel Ernst aus Sandau.

Nicht auszudenken!

Der nämlich hatte der Familie ein Reh gebracht. Und das wurde nunmehr zerteilt. „Aber wie das geht, das weiß ich doch nicht!“ Dann habe er eben recherchiert. Und prompt sei er im Web auf einen Zeitschriftentext gestoßen, der ihm Auskunft gab, wie man Wild zerwirkt. „Ich kann mir das doch nicht ausdenken! Ich muss eine Sprache haben, die mich verbindet, mit meinen Vorstellungen!“

Im Oktober, „rechtzeitig zur Buchmesse“, wird im Verlag Thomas Reche (der in den frühen 90ern bei Schäfer studierte, an der Universität Regensburg) der Band erscheinen – bibliophil aufgemacht und ergänzt um Bilder der nicht minder legendären FAZ-Redaktionsfotografin Barbara Klemm, die heuer im Dezember ebenfalls 80 wird. Seit 2002 ist Hans Dieter Schäfer auch Mitglied in der Mainzer „Akademie der Wissenschaften und der Literatur“.

Heinrich Detering, Stargermanist und wie Schäfer nicht nur ein ungeheuer breit aufgestellter Forscher mit der Fähigkeit, über Ränder hinwegzu blicken, sondern auch lyrisch praktizierend, fasste den Willen zu dieser asymptotischen Annäherung in einer im Herbst 2013 gehaltenen Laudatio so zusammen: „Hans Dieter Schäfers Lebens- und Schreibprogramm ist die Suche nach ‚dem Wirklichen‘! Es ist tatsächlich eine lebenslange Suche, weil das Wirkliche immer wieder verloren geht, verschüttet wird unter den Projektionen unserer Erinnerungen, der eigenen und der medial vorgeformten Bilder und Images.“

Cola, Hollywood und Nazis

Als Kulturwissenschaftler hat sich Hans Dieter Schäfer mit seiner 1981 beim Hanserverlag erschienenen Studie „Das gespaltene Bewusstsein“ allergrößte Meriten verdient. Auf breitester Quellenbasis trat er den Beweis an, dass Deutschland von den Nazis keineswegs und ausschließlich in eine riesige Strafkolonie verwandelt wurde: „Nein, es war viel schlimmer! Die Deutschen hatten ja die Wahl, in dieser staatlich organisierten Wohlfühlanstalt!“

Bis heute ist das Buch, das 2009 bei Wallstein deutlich erweitert neu aufgelegt wurde, ein diskurshoheitsbrechendes Monument: Weil es zeigt, dass mit dem politischen und zivilsatorischen Epochenbruch von 1933 keineswegs die bereits amerikanisierte Alltagskultur in Gestalt von Coca Cola, Hollywoodfilmen und Swing-Musik endete, sondern dass diese lange Zeit auch den Alltag unterm Hakenkreuz zu bestimmen vermochte.

In „Abschied zu Abschied“ unternimmt Schäfer autobiografische Erkundungen und „beamt“ sich zurück an seine Anfänge: „Bei meiner Geburt war der Krieg eine Woche alt. Vor den Fenstern hingen schwarze Rollos.“ Acht Jahrzehnte ist das nunmehr her. Schäfer sorgt dafür, dass diese Vergangenheit nicht rücklings ins Dunkel kippt.

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