Kino
„Heimspiel“: Filmkunst im Übergangsjahr

Nach dem Weggang des Gründers leitet ein neues Team das Heimspiel-Filmfest. Das spiegelt sich auch in der Filmauswahl.

24.10.2019 | Stand 16.09.2023, 5:17 Uhr
Fred Filkron

Das Organisationsteam: Stefan Wallner, Chrissy Grundl, Felix Rieger (v.l.) Foto: Marius Gardeia

Das Heimspiel-Filmfest befindet sich in einer Umbruchphase. Der Gründer und Organisator Dr. Sascha Keilholz ist zum Festivalleiter des Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg berufen worden. Seine ehemaligen Mitarbeiter Chrissy Grundl, Felix Rieger und Stefan Wallner haben das Ruder übernommen.

Allerdings nur für ein Jahr, denn Rieger und Wallner werden sich nach ihrem medienwissenschaftlichen Abschluss an der Uni Regensburg im kommenden Jahr beruflich neu orientieren. Grundl wird das Festival ab 2020 voraussichtlich alleine leiten.

Das Rüstzeug dafür hat sich die 31-Jährige im Laufe mehrerer Heimspiel-Jahre angeeignet, am Schluss war sie die rechte Hand von Keilholz. In den vergangenen beiden Jahren war sie allerdings in der Univerwaltung und am Lehrstuhl für Medienwissenschaften tätig, wo sie auch filmwissenschaftliche Seminare gab. Ideale Voraussetzungen also, um das Festival zu seinen Ursprüngen zurückzuführen, denn Grundl wird die Ausgabe 2020 im Rahmen eines Projektseminars zusammen mit Studierenden vorbereiten und durchführen.

Neue Reihe: „Im Transit“

Die strukturelle Umbruchsituation hat das dreiköpfige Leitungsteam konsequent auf die Inhalte der diesjährigen Festivalausgabe übertragen. Übergang, Veränderung und Neuausrichtung spiegeln sich vor allem in der neuen Filmreihe „Im Transit“ wider. Im Kontext von Digitalisierung und Globalisierung verschwinden alte Gewissheiten, Neues zeichnet sich zunächst nur schemenhaft ab. Filme reflektieren diese Prozesse, zeigen idealerweise Zukunftsentwicklungen auf. Identitätspolitik wird besonders in progressiven, studentischen Kreisen großgeschrieben, während übergeordnete wirtschaftliche Zusammenhänge manchmal drohen auf der Strecke zu bleiben.

Die neuen Möglichkeiten der geschlechtlichen Selbstbestimmung sind das dominierende Thema der Transit-Reihe. Aus dem LGB (Lesbian, Gay, Bisexual) der 1980er Jahre ist längst ein LGBTQIA+ geworden. Das Plus am Ende soll niemanden ausschließen.

„Les Misérables“:„The Lighthouse“:„Systemsprenger“: „Knife + Heart“:
Polizist Stéphane wird in die Anti-Crime-Sondereinheit Montfermeil versetzt, einem Pariser Vorort voller Gewalt und Kriminalität (Foto: Wild Bunch Germany, Alamode). Dem rauhen Wind dort begegnen seine neuen Kollegen Chris und Gwada als brutale Besatzungsmacht.New England, 1890: Ein Leuchtturmwärter und sein neuer Assistent (Foto: Eric Chakeen) sitzen wegen eines nicht enden wollenden Sturms auf einer abgelegenen Insel fest. Die Spannungen im Leuchtturm eskalieren.Die neunjährige Benni (Foto: Yunus Roy Ilmer) ist das, was man im Jugendhilfejargon einen „Systemsprenger“ nennt: In frühester Kindheit schwer traumatisiert wird sie von Heim zu Heim, von Pflegefamilie zu Pflegefamilie gereicht – bis zum nächsten Gewaltausbruch.Paris im Jahr 1979: Gemeinsam mit ihrer Lebenspartnerin Loïs produziert Anne (Foto: Edition Salzgeber) Arthouse Schwulenpornos. Als Loïs nach zehn Jahren die Beziehung beendet, will Anne ihr Opus Magnum drehen.

Dass Frauen auch (und immer noch) zu diesen sexuellen Minderheiten gezählt werden, sollte zu denken geben. In der sonntäglichen Podiumsdiskussion Movies Matter diskutieren Expertinnen über die Bedingungen in der deutschen Filmindustrie: Wer darf welchen Film machen, wer wird institutionell gefördert und wer nicht? Auf der Bühne des Wintergarten-Kinos sitzen unter anderen die Leiterin des Nürnberger Menschenrechts-Filmfestivals Andrea Kuhn und die Berliner Regisseurin Barbara Teufel, die sich im Vorstand der Gleichstellungsinitiative ProQuote Film für mehr Frauen in der Branche einsetzt.

Mehr Politik, kleinere Namen

Das Heimspiel im Transit wird also deutlich politischer als in den vergangenen Jahren und will gesellschaftlich ein Wörtchen mitreden. Die ganz großen Gästenamen, die auch über cinephile Kreise hinaus bekannt sind, hat man sich in diesem Jahr gespart. Was aber nicht heißen soll, dass nicht auch heuer wieder interessante Gäste nach Regensburg kommen. Susanne Heinrich hat mit „Das melancholische Mädchen“ nicht nur formal und inhaltlich einen aufsehenerregenden Debütfilm abgeliefert, sondern in jungen Jahren bereits vier Bücher veröffentlicht.

Ein großes Plus des Festivals ist seit jeher der Austausch zwischen Filmemachern und Zuschauern. Und dass nicht nur Regisseure, sondern auch Kameraleute, Drehbuchautorinnen oder Produzenten eingeladen werden, macht den Besuch einer Vorführung umso informativer. Um die Kommunikation zwischen Filmbranche, Studierenden und Gästen noch zu erhöhen, hat sich das Führungsteam einiges einfallen lassen. So werden jetzt zwar insgesamt weniger Filme gezeigt, dafür bieten Wiederholungen eine zweite Chance, einen Film zu sehen. Die Anfangszeiten wurden so programmiert, dass die Festivalgäste die Möglichkeit haben, ohne Hektik zwischen den beiden Veranstaltungsorten Ostentorkino und Andreasstadel hin- und herzuwechseln.

Fokussierung auf zwei Kinos

Zur Eröffnung des Heimspiel-Filmfests am 14. November wird der Banlieue-Thriller „Les Misérables“ gezeigt, zum Abschluss am 20.11. das Psychodrama „The Lighthouse“ mit Willem Dafoe und Robert Pattinson. Dauerkarten zu 40 Euro werden im Vorverkauf in den beiden Kinos, am Lehrstuhl für Medienwissenschaften und ab 11.11. an Infoständen in den Uni-Mensen angeboten. Ab 11.11. ist auch eine Reservierungshotline geschaltet.

Wenn auch vieles im Wandel begriffen ist, bleibt der Kerngedanke des Festivals bestehen: Abseits des Mainstreams werden junge und wagemutige Filme gezeigt.