Regensburg
Im Gotik-Saal öffnen sich Guckkästen in die Gegenwart

30.09.2022 | Stand 15.09.2023, 3:31 Uhr
Ashwan und Nico Sawatzki (rechts) in den Gewölben bei Isabelle Lesmeister, links: eine beinahe raumhohe hängende Arbeit von Tomislav Topic. Seine geschlitzten, durchlöcherten Matten schichtet er so übereinander, dass sich Muster und Farben, je nach Blickwinkel, verändern. −Foto: Isabelle Lesmeister

Ein Augenfest! Isabelle Lesmeister bringt die Werke von fünf Künstlern zum Schwingen. Die Denklandschaften sind unter gotischen Gewölben an neuer Adresse in der Altstadt zu erleben.

Die Galeristin nimmt’s mit Humor und Achselzucken: Denn diese gotischen Gewölbe, sie sind tatsächlich wie geschaffen für sie, als Ausstellungsraum. Nur, dass die Gewölbe über viele Jahre als Fahrradkeller und Lagerräume genutzt wurden? „Tja“, antwortet Isabelle Lesmeister und zieht energisch die Augenbrauen hoch: „Wir haben wohl einfach zu viel von dieser wertvollen Substanz, bei uns in Regensburg!“

Isabelle Lesmeister ist gleichzeitig sehr froh, dass sie bei der Adresse Vor der Grieb 5 – gleich ums Eck zwischen ihrer Stammadresse in der Bachgasse und dem Haidplatz – nun diese vom Studentenwerk eröffnete Gelegenheit nutzen kann, vorübergehend einen zusätzlichen Kunstraum zu betreiben.

Mit jedem Schritt anders

Unter dem Motto „Lesmeister Projects“ wird der Versuchscharakter betont: Die Ausstellung „Mind Maps“, zu sehen bis 15. Oktober und gemeinsam von ihr und Nico Sawatzki zusammengestellt, schaltet fünf befreundete Künstler so in Reihe, dass deren Ambitionen sich gegenseitig verstärken.

Betritt man die Ausstellung, fallen einem die Arbeiten von Ashwan ins Auge, der aus Liverpool stammt und in Barcelona ansässig ist. Dass sein Herz für die Street Art schlägt, sieht man sogleich: Seine auf Leinwand gesprayten Arbeiten etwa verneigen sich vor der Graffiti-Kultur. Bei genauem Hinsehen erkennt man sogar, dass die rund-bunten Buchstaben das Wort „Everywhere“ ergeben – und so den Charakter des Ubiquitären dieser niedrigschwelligen Kunst betonen.

Ähnlich, aber abstrakter, ist das Oeuvre von Christian „Kera“ Hinz: Der Berliner Künstler scheint mit seinen Formationen Bewegung und Geschwindigkeit heutiger Städte einfangen zu wollen.

Genaues und konzentriertes Hinsehen verlangen auch die Arbeiten von Nico Sawatzki, der Ende Oktober mit dem Kulturförderpreis der Stadt Regensburg geehrt werden wird: Seine aus bis zu 50 einzelnen Farbschichten bestehenden Bilder gewinnen dann an Kontur und Inhalt, wenn der Betrachter zwei Schritte zurücktritt. Plötzlich tun sich da Landschaften auf, man glaubt, Bäume zu sehen und Rapsfelder, Bahndämme und Raine sowie ganz viel Himmel. Oder: Ist das etwa doch alles nur Illusion? Und ist das abstrakte Seherlebnis, das sich aufdrängt, wenn man ganz nah an die Leinwand herantritt, doch der korrekte Zugang zu dieser überwältigenden Kunst?

Stadtraum im Stromkasten

Dieses Changieren, das ein fast filmisches Seherleben ermöglicht, das ist es auch, was die Arbeiten von Tomislav Topic auszeichnet: Der Künstler, der weltweit ausstellt, legt beispielsweise durchlöcherte Matten – wahrscheinlich Industriematerial – so übereinander, dass sich die Muster und die Farben zu mischen beginnen.

Die Arbeiten entwickeln – solche Effekte nutzen Op-Art-Künstler seit den 1960ern – produktive Unruhe, sie verändern sich, sobald der Betrachter seinen Standpunkt verlässt oder auch nur den Kopf bewegt. Neue Muster entstehen und die Farben, ein kräftiges Karmesinrot und Petrol, beginnen sich zu durchmischen.

Nicht minder faszinierend: die Arbeiten des Regensburgers Alexander Rosol. Als wären es Puppentheater, stattet er blaue oder orangefarbene Starkstromschränke der OBAG mit transparenten Kunststoffplatten aus, auf denen Stadtlandschaften erscheinen, die die Industriemoderne ebenso repräsentieren wie das aus dem Geist von Fritz Lang geschöpfte Metropolishafte. Guckkästen in unsere urbane Gegenwart!