Album
Jens Friebe und der letzte Mann

Auf seiner neuen Platte trägt der Musiker Jens Friebe viele Masken und stellt die entscheidenden Fragen.

05.11.2018 | Stand 12.10.2023, 10:21 Uhr
Helmut Hein

Jens Friebe hat eine ganz eigene Pop-Vision. Foto: Max Zerrahn

Wäre er nicht, wie er selbst sagt, unterwegs zu einem „futuristischen Humanismus“, könnte man sich Jens Friebe auch gut als Werbe-Texter vorstellen. Denn allein schon seine Album-Titel haben es in sich: „Das mit dem Auto ist egal, Hauptsache dir ist nichts passiert“ oder „Nackte Angst, zieh dich an, wir gehen aus.“ Und jetzt, bei dem neuesten, eben erschienenen: „Fuck Penetration.“ Obwohl: Dieses „Fuck Penetration“ ist ein paradoxes, politisches Bekenntnis, ein Wortspiel, das so nur im Englischen möglich ist (weshalb er neuerdings auch oft gern in dieser Sprache singt) und es richtet sich gegen den weißen heterosexuellen Mann, der doch unter allen Umständen so selbstbewusst wie einfallslos ist. Dieser Titelsong soll ein „fröhlicher Aufschrei gegen Phallokratie“ sein, die doch angesichts der schon weit fortgeschrittenen Feminisierung des neuen Mannes allmählich unter Artenschutz stehen müsste.

Obwohl: Vielleicht ist ja Friebe selbst so ein später Phallokrat. Jedenfalls misstraut er, auf dem Song „Call me queer“, seinem Anderssein zutiefst. Seine Confessio: „Ich schau‘ Fußball und trink‘ Bier, ich schlaf‘ nur mit Frauen.“ Aber zumindest theoretisch sind seine Bedürfnisse ganz andere: „Call me queer.“ Friebe, der auf die Frage, wohin denn seine Reise gehe, ganz ungeniert sagt: „In den Kommunismus“, ist ein Alltags-Dialektiker ersten Ranges, der keinen Widerspruch unerwähnt lässt. Das nennt man wohl Optimismus: nichts unter den Teppich kehren. Musikalisch ist das Ganze sowieso das reine Vergnügen, weil Friebe mit allen Formen spielt – und sie dabei auch gern zerbricht – und manchmal am liebsten Scott Walker wäre: so melancholisch und unbeirrbar.

Seit einiger Zeit ist Friebe mit der feministischen „Spiegel“-Kolumnistin und Bestseller-Autorin Margarete Stokowski zusammen, der Frau, die derzeit nichts falsch machen kann. Hat die ihn verändert, gar „umgedreht“. Nein, sagt Friebe. Friebe war schon immer so, deshalb seien sie ja zusammen. Aber immerhin hat sie ihn auf Maggie Nelsons Buch „Die Argonauten“ aufmerksam gemacht, was zum letzten Song des Albums („Argonaut“) und zu einer großen Existenz-Metapher führte. Denn diese Seefahrer auf der Suche nach dem Goldenen Vlies mussten ja auf offenem Meer ihre „Argo“ umbauen, bis vom alten Schiff keine einzige Planke übrig blieb. Schon die Philosophen der Antike machten daraus die große Frage nach der Identität: Bleiben wir noch dieselben, wenn wir alles verändern?

„Nur weil du eifersüchtig bist, heißt das noch lange nicht, dass du mich liebst.“

Für Friebe keine Frage: Alles muss sich ändern. Nur so können wir werden, wer wir sind. Und unterwegs widmet er sich, auf bewusst hinterfotzige Weise, allen Dramen der Gegenwart, den großen politischen und den scheinbar kleinen, privaten. Und immer wird ein Song draus: „Nur weil du eifersüchtig bist, heißt das noch lange nicht, dass du mich liebst.“ Da hat er offenbar seinen Proust nicht gelesen, sondern sich lieber durch die ganze Musikgeschichte gehört und aus lauter Mikro-Fragmenten der Überlieferung seine ganz eigene Pop-Vision zusammengebastelt. Wer meint, Friebe-Songs seien mittlerweile kleine Opern oder zumindest großes Theater, liegt nicht ganz falsch. Er hat ja in den letzten Jahren viel für die Bühne gearbeitet. Warum? Ehrlich gesagt, sagt er, „weil es dort noch Geld gibt.“

Hier sehen Sie das Video zum Titelsong des neuen Albums von Jens Friebe:

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