Regensburg
Rasante Ausfahrt mit Jean Bugatti

09.11.2022 | Stand 15.09.2023, 2:59 Uhr
„Bugatti war kein Auto, sondern ein Kunstwerk“: Der Regensburger Mediziner Jürgen Strutz vor einem Plakat und mit seinem Roman über Jean Bugatti −Foto: Marianne Sperb

Der Regensburger Mediziner Jürgen Strutz hat einen Roman über Jean Bugatti geschrieben. Er erkundet die schwierige Beziehung zum Vater – und erforscht die Wahrheit über den frühen Tod des genialen Automobil-Designers.

Bugatti – der Name jagt, falls man sich auch nur ein Quäntchen für Autos interessiert, Schauer der Ehrfurcht und des Entzückens über den Rücken. So ästhetisch, so kühn und so makellos wie in der Manufaktur Molsheim wurden Fahrzeuge nie wieder konstruiert.

Das Prachtstück: der 57 SC Atlantic, eine Ikone, vier Mal gebaut. Das Coupé mit dramatisch an- und abschwellenden Kurven, die am Heck schmal zusammenlaufen, schien schon optisch wie eine Schöpfung aus der Zukunft. Es schaffte mehr als 200 Sachen, was auf Pedalisten und Pferdedroschkenkutscher wirken musste wie die anbetungswürdige Erscheinung aus einer anderen Welt. Die Faszination hält an, bis heute: 2010 zahlte Modeschöpfer Ralph Lauren für einen der drei erhaltenen Altantic 40 Millionen Dollar.

„Bugatti“, sagt Jürgen Strutz, „ist kein Auto, sondern ein Kunstwerk.“ Er schickt die Leser seines gerade erschienenen Roman s auf eine rasante Tour zu einer Familie von Besessenen, in der der Name Ettore Bugatti alle überstrahlt. Strutz kratzt kräftig am Lack des Legende und richtet den Scheinwerfer auf den Sohn: Jean Bugatti.

Wie kommt’s, dass ein Arzt einen Roman schreibt? Strutz, bis 2017 Chef der HNO-Klinik am Uniklinikum Regensburg, schätzt das Wertbeständige, ist autoaffin, war Dauergast im Bugatti-Museum im Elsass und bewundert die Paarung von zeitloser Schönheit und innovativer Technik. „Allein der Motor“, sagt er über Bugatti. „Eine Skulptur!“ Nach der Emeritierung gönnte er sich also einen Roadtrip in die Automobilgeschichte, recherchierte viel, betankte seinen Kopf mit Tausenden Details und schrieb die 177 Seiten („Jean Bugatti 1939“, Olms Verlag, 24,80 Euro) „wie im Flow“.

Jean Bugatti ist erst Anfang 20, als er zu Beginn der 1930er Jahre das Werk, den Rennstall und den Bau der Prototypen übernimmt. Auf seine Kappe gehen die schönsten und die schnellsten Modelle – und auch die legendären Siege von Le Mans 1937 und 1939, in Boliden, die vom Flugzeugbau inspiriert sind, aerodynamisch geformt wie dicke Tropfen. Flugzeuge für die Straße will er bauen, und Automobile, die beides sind: alltagstauglich und startklar für Rennen. „Morgens im Bugatti zum Bäcker, mittags im selben Auto auf die Rennstrecke“, umreißt Jürgen Strutz den Anspruch.

Der Sohn hat’s schwer gegen den Vater, die Beziehung ist dysfunktional und distanziert. Zeitlebens spricht Jean den Papa nur mit Patron an. Der Alte gönnt dem Jungen keinen Erfolg, torpediert jede seiner Innovationen, putzt ihn vor versammelter Belegschaft herunter.

Jürgen Strutz erzählt in seinem faktentreuen und dokumentarischen Roman auch ein Psychodrama – und eine Liebesgeschichte. In Reva Reyes, Künstlerin aus Paris mit mexikanischen Wurzeln, findet Jean Bugatti seine Gefährtin, aber die Eltern bremsen die Heirat aus. Sein privates Glück bleibt unerfüllt, und: Das Geld geht aus. Bugatti ist praktisch pleite. Zuletzt springen auch Finanziers ab, die Belgiens König Leopold III. vermitteln will.

Am 11. August 1939 rast Jean Bugatti, 30 Jahre alt, bei einer Testfahrt an einen Baum und stirbt. Der Tod wird als Unfall deklariert, ausgelöst durch einen Radfahrer, dem der Rennwagen T 57 Tank ausweichen sollte. „Aber so war es nicht“, sagt Jürgen Strutz, der eine andere Wahrheit recherchiert hat und aus Jeans Abschiedsbriefen zitiert.

Jürgen Strutz schreibt temporeich und auch literarische Passagen überzeugen, wenn er einen Gang zurückschaltet, über die schneebedeckte Elsässer Landschaft schaut oder einem Dinner mit einem Barolo Cannubi 1929 nachschmeckt. Als Leser hätte man sich noch einen Lektor gewünscht, der Unebenheiten mit feinem Sandpapier glättet und ein paar der vielen aufgeregten Ausrufezeichen auszupft. Aber: Der Roman packt einen und bis die letzte Seite zuklappt, ist nur ein Bruchteil der Zeit vergangen, die es für die Rennstrecke in Le Mans braucht. Das Ergebnis im Zieltor: Man war gern Jean Bugattis Beifahrer.