Musik
Simon Bonney: Vom Punk zum Troubadour

In alter Frische: Der einstige „Crime and the City Solution“-Sänger Simon Bonney schlägt eine Brücke zwischen den Zeiten.

16.05.2019 | Stand 12.10.2023, 10:21 Uhr
Helmut Hein

Simon Bonney – 1995 erschien sein zweites Album „Everyman“. Aus der Zeit stammt das Foto. Foto: mute artists ltd.

Für Mark Lanegan ist die Sache klar: „Simon Bonney ist einer der größten Künstler dieser Zeit.“ Dann beginnt er von dessen Lyrics, Melodien und Gesangsstil zu schwärmen. Wer aber ist dieser Simon Bonney? Mit 14 riss er von zu Hause aus, trieb sich im berüchtigten Rotlichtviertel Sydneys herum und gründete mit gerade 16 in einem heruntergekommenen Gebäude im Geschäftsviertel der australischen Millionenmetropole eine der wegweisenden Bands der 1980er Jahre: „Crime and the City Solution“. Wo andere die düstere Post-Punk-Mentalität aus Verzweiflung und Nihilismus nur virtuos in Szene setzten, da war sie bei ihm das Resultat einer existenziellen Erfahrung.

Diese Band war im Grunde Simon Bonneys Projekt – und sonst nichts. Dreimal löste er sie auf und gründete sie dann neu. Am erfolgreichsten war er mit der zweiten „Crime“-Version, deren Setting sich im Rückblick wie das einer Underground-Supergroup liest. Mick Harvey von den „Bad Seeds“ war dabei, Roland S. Howard von der Krach-Kultband „Birthday Party“, der „Swell Maps“-Schlagzeuger Epic Soundtracks trommelte in vertrauter Heftigkeit, und als Bonney Mitte der 80er aus London nach West-Berlin zog, kamen noch Chrislo Haas (DAF) und Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten hinzu.

Schwerblütig und melodiös

Vier wunderbare Alben entstanden in dieser Zeit, schwerblütig und melodiös zugleich. Wer sich einen Eindruck von der „Crime“-Live-Performance verschaffen möchte, der muss sich nur Wim Wenders’ „Der Himmel über Berlin“ anschauen, wo die Band ihren legendären Hinterhof-Auftritt hat mit dem noch blutjungen, ausgezehrten Simon Bonney, der sich wie ein Schlangenbeschwörer ums Mikro windet. In den 1990er Jahren ging er dann solo in die USA, nahm zwei Alben – „Forever“ 81992) und „Everyman“ (1994) – auf, die heute wie die Geburtsstunde des Alternative Country wirken, mit Lap Steel Gitarre und klagendem Gesang.

Dann verschwand Bonney für fast zwei Jahrzehnte in den Weiten Mikronesiens und Papua-Neuguineas, früher hätte man gesagt: als Wilder unter Wilden – was aber nur eine koloniale Fantasie wäre. Jetzt ist er wieder da, mit einem Album, das nicht zufällig „Past, Present, Future“ heißt.

Das Alte wird wieder modern

Es verbindet ein Best of seiner Solo-Alben mit aus unerfindlichen Gründen noch unveröffentlichtem Material und zeigt, dass für Pop dasselbe gilt wie für Mode: Es kommt der Moment, wo das Alte (wieder) zum dernier cri wird. Nur wenige aktuelle Alben sind so zeitgemäß wie diese Bonney-Compilation voller verschollener Entdeckungen. Und so wie Bob Dylan der unbestrittene Meister eines surreal-grotesken, metaphern-, wort- und bilderreichen Songwritings ist, so ist Simon Bonney unübertroffen, wenn es um knappe Beschwörungsformeln geht, die er so oft wiederholt, bis sie einen nicht mehr loslassen.

Dabei erweist sich der einst tiefschwarze Punk als begnadeter Troubadour, der die Liebe in allen Spielarten beschwört und nur scheinbar paradox verkündet, dass auf diesem Terrain nichts so „süß“ sein kann wie der Schmerz. Er macht seiner Annabelle Lee den Hof, selbst wenn es keinen Sinn zu haben scheint. Denn zu Bonneys Grundüberzeugungen gehört: „Don’t Walk Away From Love“. Jenseits des alten und grausamen Gottes Eros wartet nur die Leere.

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