Regensburg
Spannend und stimmig: „Der Prozess“ von Kafka als Oper

25.09.2022 | Stand 15.09.2023, 3:29 Uhr
Andreas Meixner
Der Willkür der Justiz ausgeliefert, von Frauen bedrängt: Josef K. (Daniel Pataky), hier mit Fräulein Bürstner (Eva Zalenga) im Theater am Bismarckplatz −Foto: Pawel Sosnowski

Von Beginn ist klar: Es gibt keine Hoffnung für Josef K.. Er kann seinem Schicksal nicht entrinnen. Seine vergebliche Suche nach den Gründen seiner Verhaftung gibt den fieberhaften Takt für Erzählung, Musik und Inszenierung vor.

Fast unaufhörlich stolpert der Angeklagte durch drei Szenerien: sein Wohnzimmer, die Straße und die deckenhohe Schließfachhölle der Bank, in der er arbeitet.

Links und rechts schimmern zwei Exit-Schilder. Die beiden Notausgänge sind eine leere Versprechung, aber vielleicht die einzigen Hoffnungsschimmer für Josef K. (Daniel Pataky) in seinem erfolglosen Parcourslauf durch die Instanzen der Justiz, zu vermeintlichen Helfern und seelenlosen Gerichtsschergen.

Sebastian Ritschels Inszenierung, in der der neue Regensburger Intendant auch die Ausstattung verantwortet, nimmt die Rastlosigkeit des Romans von Franz Kafka und der Musik von Gottfried von Einem auf der Drehbühne auf. Die Personen bewegen sich gegenläufig durch die drei kargen Räume über viel zu hoch stehende Türen, die ständig in Bewegung sind. Bildschirme flirren überall (Videodesign: Sven Stratmann), schaffen bisweilen eine weitere Handlungsebene, wenn der widerliche Untersuchungsrichter (herrlich abstoßend: Roger Krebs) zugespielt wird und seine riesigen aufgedunsenen Lippen zum Zerrbild einer fadenscheinigen und willkürlichen Gerechtigkeit werden. Anzüge im Groß-Karo sind weithin Symbol einer Gesellschaftsordnung, die niemand hinterfragt. Der schneeweiße Anzug des Angeklagten wird dagegen zu einer schutzlosen und wenig wehrhaften Uniform, verstärkt nur sein Taumeln und die wachsende Resignation.

Daniel Pataky hat in der Hauptrolle kaum Verschnaufpausen, die Rastlosigkeit schlägt sich in der ständig deklamierenden, immer wieder durch Rhythmikverschiebung pointierten Partie nieder. Nur selten scheinen in Fragmenten Melodien auf, da braucht es neben Sängerqualitäten vor allem viel Schauspiel. Pataky gelingt das vorzüglich. Er gewinnt seiner im Grunde traurigen Gestalt einige witzige Szenen ab, wenn er den vorbeijoggenden Sohn des Hausmeisters (Paul Kmetsch in einer seiner drei Rollen) kläglich nachzuäffen versucht.

Der Hausmeister-Sohn ist eine von vielen grotesk überzeichneten Nebenfiguren. Da gibt es noch die schrägen Gerichtsdiener oder die drei Herren (Alejandro Nicolás Firlei Fernández, Felix Rabas und Christopher Wernicke), die sich Lauf der Handlung in androgyne Geschöpfe auf hochhackigen Stiefeln wandeln, in Tagträume über verkorkste sexuelle Fantasien. Offensichtlich wird, wie verklemmt Josef K. gegenüber Frauen ist. Nur Leni (souverän: Theodora Varga) gelingt es mit Mühe, ihn zu verführen. Neben ihr sind es Patrizia Häusermann und Eva Zalenga, die in kleinen, aber einprägsamen Momenten sängerisch und schauspielerisch glänzen dürfen.

Hany Abdelzaher tritt als Maler Titorelli als einziger echter Farbtupfer der Hoffnung überzeugend in Erscheinung. Seine Lösungsvorschläge für Josef K. erweisen sich jedoch schnell als wenig zielführend. Auch er trägt auf seinem bunten Anzug das Karo-Muster der Gleichgültigkeit. Anteilnahme und echte Hilfe sehen anders aus.

Die Musik von Gottfried von Einem, die 1953 ihre Premiere bei den Salzburger Festspielen feierte, greift effektvoll die Verzweiflung von Josef K. auf, changiert zwischen Zwölftonmusik, klassisch-dramatischen Tutti-Stellen und Anleihen aus der Schlager- und Jazzmusik der Nachkriegszeit. Diffizile, kleingliedrige Rhythmen durchbrechen die oft gleichförmigen Rezitationen der Sänger, da hapert es hin und wieder in der Koordination und Genauigkeit unter den Blech- und Holzbläsern. Tom Woods muss die schwierige Partitur in der Premiere noch mit energischem Taktschlag verwalten, das Philharmonische Orchester Regensburg findet jedoch immer zu einem insgesamt effektreichen und differenzierten Gesamtklang.

Die Oper verzichtet vollständig auf einen Chor, das Sängerensemble beeindruckt mit weithin starken schauspielerischen Qualitäten, die in den zwei Akten und neun Bildern neben einem punktgenauen sängerischen Timing immer gefordert sind. Deshalb gelingt auch am Ende eine spannende und schlüssige Inszenierung, weil Dramaturgie, Bühne und künstlerische Leistung zu einem stimmigen Dreiklang zusammenfinden, der möglicherweise über den eigentlichen Wert der Musik hinausreicht.

Sebastian Ritschel hat als neuer Regensburger Intendant und Regisseur eine klare Duftmarke gesetzt. Ein gelungener Saisonauftakt des Musiktheaters!