Regensburg
Tollkühne Männer und flatternde Frauen bei der Aids-Tanzgala

13.11.2022 | Stand 15.09.2023, 2:58 Uhr
Michael Scheiner
„Box“: Marko Weigert und Dan Pelleg rutschten, kippten und flogen über Kisten. Sie gastierten bei der umjubelten Regensburger Aids-Tanzgala. −Foto: Fotos: Michael Scheiner

Regensburg erlebte einen grandiosen Tanzabend: Die Aids-Tanzgala, die diesmal nicht im Velodrom, sondern im Theatr am Bismarckplatz über die Bühne ging, wurde frenetisch gefeiert.

An die „Tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten“ erinnerte sich vielleicht der eine oder andere Zuschauer bei der Aids-Tanzgala: Marko Weigert und Dan Pelleg rutschten, kippten und flogen in „Box“ über mannshohe Kisten. Das Duett der Ballettdirektoren am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau war eines der amüsanten und scheinbar spielerisch leichten Stücke der 19. Benefiz-Gala, diesmal im Theater am Bismarckplatz. Ursprünglich als Teil des Tanzabends „Schmetterlingsdefekt“ entstanden, funktionierte es prächtig als eigenständiges Kabinettstück.

Zu irisch-keltisch inspirierter Musik des Penguin Cafe Orchestra neckten sich zwei große Jungs, konkurrierten und blödelten und wuchteten ganz nebenbei ihre schweren Kisten wie Spielzeug eines Kasperltheaters durch die Gegend.

Das ABC des Tanzes

Große Klasse auch das „eigene ABC des Tanzes“, wie Moderator Peter Jungblut vom BR charmant und wohl durchdacht das Solo von Eric Gauthier ankündigte. Ganz im Wortsinn tanzte Luca Pannaci vom Theaterhaus Stuttgart das von einer Off-Stimme aufgezählte Alphabet. Mit der nötigen Strenge eines Tanzlehrers schickte die Stimme den Tänzer durch Figuren aus seriösen Tanz-Handbüchern, vermischt mit Begriffen aus einem prallen Tänzerleben. Lacher und Jubel für die hinreißende Mischung aus klassischem Ballett und grotesken Figuren waren geradezu folgerichtig.

Der Abend begann und endete mit der neuen Tanzcompany Regensburg. Ein zartes, inniges Liebesgedicht, „Poem“, choreografiert von Hans Henning Paar, tanzten voller Hingabe Maria Bayarri Pérez, Trainingsleiterin der Company, und Leander Veizi. Mit Wagner Moreiras ursprünglich als Solo choreografiertem Möbelstück „Re(-)place“ – also: wechseln, wieder hinstellen – endete der grandiose Abend in einem temporeichen, ironisch angerührten Bilderreigen aus Gesten, Geräuschen und Schuhplattlerzitaten. Geräuschvoll zogen und schoben die Tanzenden kleine quadratische Tische über die Bühne, bauten daraus Käfige und Tunnels oder nutzten sie für packende Gruppenformationen. „Das Schöne an der Unordnung ist,“ kommentierte Jungblut listig die als „work in progress“ angekündigte Aufräumaktion der Company, „dass man Entdeckungen macht“.

Eine Entdeckung für die vom zeitgenössischen Tanz verwöhnten und begeisterten Regensburger war das federleicht von Maria Baranova und Osiel Gouneo getanzte klassische Cinderella-Duett. „Der Appetithappen“ aus Sergej Prokofjews „Cinderella/Aschenbrödel“ feierte 2021 Deutschlandpremiere beim Bayerischen Staatsballett in einer Choreografie von Christopher Wheeldon – und fand seinen Widerhall in der Oberpfalz.

Zweimal bildete J. S. Bachs Musik die Grundlage für Choreografien. „Violoncello“ von Nacho Duato thematisiert in einem köstlichen Duett an der Grenze zum albernen Klamauk die Beziehung Bachs (Luca Pannacci) zu seinem Instrument. Letzteres mit ernsthafter Aufopferung verkörpert von der gebürtigen Brasilianerin Bruna Andrade. „Bach Off!“ dagegen beschäftigt sich in einer quietschbunten Choreografie von Jacopo Godani für die Dresden Frankfurt Dance Company damit, wie klassisches Kulturgut auf die Gegenwart projiziert werden kann. Vier Tänzer bewegten sich staksig und schlangengleich als geschlossene Gruppe, in Paarbeziehungen und solistisch im musikalischen Kontinuum wie in einem Traum.

Wie Blätter im Wind

Präzise zitternd und kokett bewegten Cosmo Sancilio als Rose und Ana Casquilho in Marco Goeckes Choreografie „Le Spectre de la Rose“ nach Carl Maria von Webern ihre Arme, die wie Blätter im Wind flatterten. Von der tiefgründigen und zugleich leichtfüßigen Musik Astor Piazollas getrieben, wurde Tänzer Michalis Dymiotis zu Boden geworfen, wieder hochgezerrt, gab sich ihr bis zur Selbstaufgabe hin. Für Choreograf José Biondi, Professor an der Palucca Hochschule Dresden, mischen sich darin „Atem und Erinnerungen“.

Mit Skateboard und Rollstuhl als ungewöhnlichen Requisiten faszinierten Sophie Hauenherm und Simon Wolant in Wagner Moreiras klischeefreier moderner Choreografie von Tschaikowskis „Nussknacker“. Fantastisch und packend war ihr Ausschnitt, der „chinesische Tanz“, der alles an tänzerischer Leistung und Ausdruck zeigte.

Der Erlös der Benefizveranstaltung kommt dem Kinder-Aidshilfe Elonwabeni in Mitchells Plain und dem Notfallhilfe-Fonds der Aids-Beratungsstelle Oberpfalz zugute.