Todestag
Von der Sissi zur Femme fatale

Sie war ein Weltstar des Kinos und das Vorbild einer Generation: Die drei Leben der Romy Schneider.

23.05.2012 | Stand 12.10.2023, 10:21 Uhr
Helmut Hein

Paris.Hass-Liebe, so scheint es, ist das stärkste Gefühl. Oft in privaten Beziehungen. Fast immer im Rampenlicht der Medien, wenn ungebremste Fantasien und kühl kalkulierender Geschäftssinn, geheimste Wünsche und Ängste ein fatales Bündnis eingehen. Heftige Liebe kann rasch in noch heftigeren Hass umschlagen, vor allem wenn Frauen zu Projektionsflächen werden. Marlene Dietrich und Hildegard Knef mussten es erfahren: der Weg von der Diva zur Schlampe, vom Idol zur Verräterin ist kurz. Der Himmel rückhaltloser Verehrung und die Hölle wütender Verdammung liegen nah beieinander.

Aber die Dietrich war immer schon die Dietrich, die Knef die Knef. Ihr Delikt war „nur“ der Frontwechsel, die Kollaboration mit dem Feind. Bei Romy Schneider war die Hass-Liebe noch dramatischer, weil sie vor dem festen Bild flüchtete, dass sich so viele von ihr gemacht hatten; weil aus dem süßen Madl ganz ohne Schnitzler’sche Frivolität der „Sissi“-Trilogie mit einem Mal die ferne Femme fatale wurde, reizend in ihrer Unerreichbarkeit und bedrohlich in ihrer physischen Präsenz.

Ein Nachkriegsphänomen

Romy Schneider und die Hass-Liebe, die ihr entgegenschlug, lassen sich vermutlich nur als Nachkriegsphänomen halbwegs angemessen verstehen. Sie war der späte Spross der österreichischen Schauspieler-Dynastie Albach-Retty. Ihre Mutter Magda Schneider wurde zum gefeierten Ufa-Star. Noch 2008 setzte Magdas letzter Mann Horst Fehlhaber vor Gericht durch, dass einige Passagen von Olaf Kraemers Romy-Schneider-Roman „Ende einer Nacht“, in denen von der persönlichen Nähe ihrer Mutter zu Hitler und seinem Regime die Rede ist, geschwärzt werden müssen. Und die junge Romy? War die personalisierte Märchen-Prinzessin-Unschuld in einem, bei allen Konflikten, idyllischen entpolitisierten Habsburger-Reich.

Paris.Sissi wurde zur Sehnsuchtsfigur, weil sie einen menschlich-allzumenschlichen Ausweg aus den Katastrophen der Geschichte bot. Keine Schuld, nirgends. Nur privateste Wünsche und Sorgen in einem märchenhaften Adels-Ambiente. Aber Romy Schneider, die es bereits 1956 auf den „Spiegel“-Titel schaffte, die schon als Teenager alle (außer Maria Schell) hinter sich ließ, wollte bald nicht mehr süß und harmlos sein. Keine Sissi mehr! Schon den zweiten und dritten Teil drehte sie widerwillig, einen vierten Teil lehnte sie entschieden ab. Was sind schon eine Million Mark für eine junge Frau, die sich emanzipieren, die mehr von sich erfahren will. Romy Schneider ging nach Frankreich, lernte mit Alain Delon die große, heftige, sexuelle Liebe kennen – in der späten Adenauerzeit eine Zumutung, ein Skandal! – und fand mit Luchino Visconti, Orson Welles und ein wenig später Claude Sautet große Regisseure, die sie forderten und ein neues Bild von ihr und der „modernen“ Frau formten.

Die französische Romy Schneider ist von Anfang an ein erotisches Versprechen, Verführung pur. Zunächst erprobte sie das noch in einer Nebenrolle in der Verfilmung von Kafkas „Prozess“ durch Orson Welles. Spätestens aber mit „Der Swimmingpool“, wo sie auf kühl-brennende Weise mit ihrem Ex-Lover Alain Delon äußerst freizügig kooperiert, ist die Ikone, die „Marke“ Romy Schneider vollendet. Eine Schauspielerin, der man gar nicht mehr anmerkt, dass sie spielt. Die äußerst reduziert agiert, durch pure Präsenz wirkt. Ein Körper, viele Blicke – und all das, was durch sie zitiert wird, als Möglichkeit erscheint.

Die Frau als Falle

Romy Schneider, das war damals, in zeitlicher Nähe zum Hippie-„summer of love“ 1967, zur kulturellen und sexuellen Revolution der Sixties, die trägeste und gerade dadurch betörendste Form irdischen Glücks. Aber auch: Die Frau als Falle. Für den Mann, der ihr begegnet. Aber auch für die eigene Zukunft. Die Wehmut so vieler Romy Schneider-Filme hat damit zu tun, dass da so viel Anfang, Aufbruch ist – und dass fast alles rasch wieder abbricht, sich verläuft, im Labyrinth des Begehrens stecken bleibt.

Paris.Viele haben Romy Schneiders Nähe gesucht, sogar die Feministin Alice Schwarzer, die in ihr eine Verbündete entdeckte. Spätestens seit sie sich für ihre „Ich habe abgetrieben“-Kampagne mit Bild und Unterschrift zur Verfügung stellte. Aber diese Nähe war meist ein Missverständnis, eine Selbst-Täuschung. Die Frauen-Figuren, die Romy Schneider darstellte, am reinsten in den Claude Sautet-Filmen, waren nicht emanzipiert, nicht „frei“. Sie waren abhängig von den Männern, denen sie sich zur Verfügung stellten, auch sexuell, deren (geschäftlichen) Alltag sie durch nur scheinbar souveränen Charme stützten.

Das Bewusstsein einer anderen Existenz war schon da. Oder vielleicht nicht das Bewusstsein, sondern das Gefühl. Aber diese sich modernisierenden Gesellschaften, die sich libertär gaben, bei denen Befreiung und hemmungsloser Konsum, auch Konsum der Körper und Seelen der Frau nah beieinander lagen, boten keine Perspektive, keinen Ausweg. Jedenfalls nicht für Frauen, die Karriere nicht mit erotischer Neutralisierung bezahlen wollten. Das „Ganz-frei-und-doch-ganz-frei-sein“ war eben nur ein Milva-Lied aus dieser Zeit, nah am Kitsch gebaut. Romy Schneider reagierte, geführt von ihrem Mentor Michel Piccoli, mit einer Radikalisierung ihrer Rollen, mit gezielten Tabu-Brüchen („Trio Infernal“), in den späteren 70er-Jahren dann aber auch mit einer neuen Ernsthaftigkeit. In Filmen, die sich mit der Katastrophengeschichte ihres Jahrhunderts auseinandersetzten, vom „Gruppenbild mit Dame“ bis zur „Spaziergängerin von Sans-Souci“. Das war aber dann schon nicht mehr die Romy, von der alle träumten und das „role-model“, die erotische Existenzialistin, die mit neuen Beziehungen zwischen Mann und Frau, mit Sex und Eros experimentierte.

Die Zeit der Lügen

Die dritte Geschichte Romy Schneiders, das war nicht ihre oder die ihrer Figuren, sondern das, was in den Medien aus ihnen wurde. Die Hass-Liebe-Inszenierungen für ein gefräßiges Publikum. „Das meiste, was über mich geschrieben wurde, sind Lügen.“, sagte sie. Lügen, die mehr über den Stand einer Gesellschaft als über sie aussagen. Lügen, die sie aber auch immer mitbediente. In einem ihrer raren Auftritte, in Dietmar Schönherrs Talk-Show „Je später der Abend“ im Oktober 1974, legte sie Burkhard Driest, der Schauspieler und Schriftsteller war, aber eben auch ein überaus viriler Bankräuber, ihre Hand auf den Arm und sagte: „Sie gefallen mir, sie gefallen mir sehr.“ Die öffentliche Erregung angesichts dieser unverhofften Berührung und der öffentliche „Diskurs“ darüber hielten viele Wochen an.