Folkrock Wallis Bird und ihre neuneinhalb Songs
Die irische Gitarristin widmet ihr neues Album den Händen, denn in ihnen liegt die Kraft, etwas zu verändern.

Berlin.Auf früheren Fotos stützt sich Wallis Bird manchmal mit dem Kinn in der rechten Hand ab und blickt mit graublauen Augen geradewegs in die Kamera. Die aktuellen Pressebilder zu ihrem neuen Album zeigen sie fast nur mit beiden Händen. Dabei ist es diesmal ihre Linke, die mehr oder weniger deutlich im Vordergrund steht. Mit dem Titel „Hands“ hat es eine Bewandtnis: Die Künstlerin nimmt ihre Dinge buchstäblich selbst in die Hand – und das ist bei ihr auch etwas Besonderes.

Sie war fast noch ein Baby, als der Irin bei einem Unfall mit dem Rasenmäher alle Finger der linken Hand abgetrennt wurden. Vier konnten wieder angenäht werden, der kleine Finger blieb verkürzt. Für die offensichtlich schon damals recht durchsetzungsfähige Lady war das kein Grund, die zum zweiten Geburtstag geschenkt bekommene Gitarre nicht zu lernen. Vielmehr entwickelte das entschieden der Musik zugewandte Mädchen bis zum Musikstudium in Dublin einen eigenwilligen Gitarrenstil. Ihre Rechtshändergitarre spielt sie seitenverkehrt, ohne die Saiten umzuspannen, wie man es erwarten würde.
So viele Songs wie Finger
Der besondere Sound, den die in Berlin lebende Musikerin aus dieser Erfahrung entwickelt hat, lässt sich in dem folkigen Auffangsong „The Dive“ gut nachvollziehen. Er ist neben der sanften akustischen Ballade „I’ll Never Hide My Love Away“, die eine große innere Stärke zum Ausdruck bringt, und dem ebenfalls eher ruhigen „The Power of a Word“ von ihr selbst produziert. Die anderen sechs oder besser fünfeinhalb Songs, Wallis Bird spricht analog zu ihren Fingern vom Neuneinhalb-Songs-Album, hat sie mit Philipp Milner (Duo Hundred) zusammen produziert. Eine Erfahrung, welche die selbstbewusste Rundum-Selfmade-Musikerin noch bis vor wenigen Jahren strikt von sich gewiesen hätte.
Und ich begann, die Welt durch andere Augen zu sehen.“
Gleich im zweiten Song stellt sie sich und ihren Fans deshalb die Frage „What’s Wrong With Changing“. Und verändert hat die Künstlerin eine Menge. „Hands“ bildet einen Einschnitt in der musikalisch-künstlerischen Entwicklung der 40-Jährigen. Bildeten Folk, Soul und rockige Popnummern die Grundlage ihrer sechs bisherigen Alben, bringt das aktuelle ganz neue Seiten und Facetten hervor. Deren auffälligste sind vermehrt elektronische Sounds, Loops, geräuschhafte Elemente und wuchtige Drumbeats, die nur eine Richtung kennen – nach vorne. Mächtig treibend und drängend klopft Wallis Bird ihre eigene Biografie auf jene Momente ab, in welchen sie sich verändern musste und auch wollte: „In 2001 when I was 18 years old / Still in my uniform, educated, uninformed / A war raged out in front of me / Showing me racism and lies“ reflektiert sie in „What’s Wrong With Changing“ ihre Ankunft in London als unbedarfter Teenager konfrontiert mit Rassismus und Lügen. „And I began to see the world / Through different eyes“.
Album-Info
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„Hands“
von Wallis Bird ist bei Mount Silver Records/Virgin Music (Universal) erschienen.
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Ausgaben:
Die MP3-Ausgabe kostet ca. 11 Euro, die CD ca. 15 Euro und die LP ca. 22 Euro.
Die Welt mit anderen Augen zu sehen, ist vielleicht ein verallgemeinerbarer Erkenntnisprozess, wie ihn sicher viele junge Menschen erleben. Bei Wallis Bird aber erfährt er durch die lyrische Verdichtung eine Intensität und Überzeugungskraft, die imstande ist, Augen zu öffnen.
Ironie und gute Laune
Politisch und kritisch gegenüber gesellschaftlich festgefahrenen Entwicklungen hat sie sich auch in den älteren Alben immer wieder geäußert, ohne dabei die Lust am Leben, am Feiern, Tanzen und Gute-Laune-Verbreiten zu vernachlässigen. Obwohl musikalisch aus den 80er Jahren schöpfend, macht sie das auch auf „Hands“ nicht. „F.K.K. (No Pants Dance)“ ist ein solcher Gute-Laune-Song mit viel Ironie, der klingt, als wäre er mit zeitgemäßen Mitteln durch die Mühlen des Eighties-Dancefloor gedreht worden. Nach dem genießerisch tänzelnden Opener „Go“, einer klugen Reflexion über das Leben, rauscht die energiesprühende Irin mit dem Bekenntnis „I Lose Myself Completely“ mitten hinein in die 80er NDW-Soundpfütze.

Mit einem Groove zwischen Spider Murphy Gang und Trio prescht sie mit der lakonischen Indiepopnummer nach vorne und legt schwierige Seiten in ihrem Dasein bloß: „Ich ging aus der Wohnung, um ein Brot zu kaufen / und kam drei Tage später zurück“, heißt es in dem Song. In einem Interview wurde sie noch deutlicher: „Ich bin nicht generell gegen Drogen, aber ich sagte zu mir: Ok, Schluss jetzt. Denn es gab ein paar Momente, die mir Sorgen machten.“ Ein starkes Album einer starken Künstlerin.
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