Regensburg
Zum Auftakt des Kammermusikfestivals: Klangexperimente im blauen Nebel

20.09.2022 | Stand 15.09.2023, 3:36 Uhr
Juan Martin Koch
Schauspielstudierende bewegten sich zum Sound eines Instrumental-Ensembles, hier Gitarrist Arne Braun. −Foto: Juan Martin Koch

Seltsame, weiß-silbern gewandete Gestalten begrüßen das Publikum im Heart Club in der Regensburger Altstadt. Zum Auftakt des 3.Kammermusikfestivals findet hier eine veritable Musiktheateruraufführung in Kooperation mit dem Akademietheater statt.



Weder der etwas gespreizte Titel („An den Rändern der Risse … in der Lücke das Grün“) noch die schwammige Ankündigungsprosa – beides offenbar getextet, bevor feststand, was beim Kreativprozess der Beteiligten tatsächlich herauskommen würde – geben eine Ahnung davon, was dann bei der gut einstündigen Performance zu erleben ist.

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Zunächst versammelt sich alles im bläulich vernebelten Hauptraum, dem stattlichen Gewölbe des Clubs. Das Instrumental-Ensemble (Flöte, Viola, Gitarre, E-Gitarre, Kontrabass) gibt mit einem leicht zerdellten Klangband die Soundatmosphäre vor, bis sich die 14 Schauspielstudierenden allmählich zu einer Gruppe formieren. Mit Gesten und Tanzfragmenten changiert diese zwischen homogenem Kollektiv und einer Zufallsgemeinschaft vereinsamter Individuen. Vereinzelt lösen sie mit Oberflächenberührungen elektronisch erzeugte Geräusche aus, und das aufgeteilte Publikum folgt den Akteuren nun durch die labyrinthischen Räumlichkeiten des Clubs. Da geht es unter anderem an der offen stehenden Herrentoilette vorbei, in der das Klangpotenzial eines Händetrockners rhythmisch ausgekostet wird. Immer wieder macht das abstrakte musikalische Stationentheater halt, Textfragmente (gehört das reparaturbedürftige Ventil zu einem Raumschiff?) und der als Projektion vergrößerte Bildschirm eines eitlen Handybenutzers, das den Song „Fly me to the moon“ anzeigt, deuten auf entfernte Planeten und Galaxien hin. Als stärkstes Bild trägt eine Performerin eine Discokugel auf dem Rücken, ein unglücksel’ger Atlas der Dance-Kultur.

Kammermusikfestival mit beachtlichem Auftaktimpuls

Die Instrumentalisten begleiten diese poetisch verrätselten Szenerien mit Soloimprovisationen (Bass, verzerrte Gitarre), die sich gelegentlich zu kleinen Ensemblepassagen verfestigen, inklusive Vokalisen der Schauspieler. In einem Mittelteil versammelt sich zwischenzeitlich alles wieder zu einem groovenden Tanzkollektiv, der stärksten Passage von Max Andrzejewskis Musik. Die großflächigen Videoprojektionen urbaner Regensburg-Impressionen kehren im Finale wieder. Staunend betrachten die Theater-Akteure sich nun selbst auf der Leinwand. „Das sind ja wir!“, scheinen sie innerlich auszurufen angesichts der fröhlich-gelösten Gruppe Gleichgesinnter in Alltagskleidung im Petersweg-Parkhaus. Diese Diskrepanz zwischen Bühnenidentität und realer Existenz findet schließlich Ausdruck in einem zunächst pathetisch hochtrabenden, dann nachdenklich ausfransenden Popchor, der einen „neuen Namen“ und eine „neue Haut“ einfordert.

Mit dieser erfrischend offenen, frei-assoziativen Produktion in der Regie Georg Schütkys, die noch einmal am Donnerstag (19 Uhr) zu erleben ist, hat das Kammermusikfestival einen beachtlichen Auftaktimpuls gesetzt. Es folgen u.a. Konzerte im Festsaal der Marien-Schulen (Montag und Dienstag, 19 Uhr), im Spiegelsaal der Regierung (Mittwoch, 19 Uhr) und die Uraufführung von SJ Hankes „Twilight to go“ für Kontrabassquartett und Klavier im Jazzclub (Sonntag, 11Uhr). Infos und Karten unter www.kammermusikfestival-regensburg.de