Miltacher Heimatgeschichte
1923 erreichte die Inflation ihren Höhepunkt: Als ein Brief zwei Millionen kostete

02.09.2023 | Stand 12.09.2023, 22:22 Uhr

Ab 1920 war Dr. Richard Oertel Besitzer des Miltacher Schlosses. Fotos: Repros: Erwin Vogl

Im Jahr 1923 erreichte die Inflation ihren Höhepunkt. Der Miltacher Expositus Karl Holzgartner erzählte in seinen Beiträgen zur Geschichte des Expositurbezirkes über die Sorgen und Nöte im Dorf vor 100 Jahren.

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 müssen Verbraucher erhöhte Preise hinnehmen. Besonders betroffen sind dabei Lebensmittel und Energie in allen Formen. Die momentane Situation ist jedoch keinesfalls vergleichbar mit der Zeit vor genau 100 Jahren.

Zum Einordnen dieser misslichen Lage kostete im Herbst 1923 ein Ei 320 000 000 Mark, ein Brot 105 Milliarden Mark: astronomische Zahlen. Diese Entwicklung war eine Folge der Kriegsschulden aus dem Ersten Weltkrieg. Von dieser Hyperinflation waren natürlich auch die Bürger von Miltach betroffen. Einen authentischen Eindruck über die wirtschaftlich schlimme Lage vermittelt der damalige Seelsorger Karl Holzgartner (in Miltach von 1916 bis 1924) in seinen „Beiträgen zur Geschichte des Expositurbezirkes Miltach“. Sie sind in einem Art Tagebuch festgehalten.

In dieser Folge für die zweite Jahreshälfte von 1923 geht es um Umpfarrungen der kleinen Orte Eben und Untervierau und um die Anschaffung einer neuen Feuerspritze, die die Gemeinde mit Naturalien bezahlte.

Außerdem erhielt der rechte Seitenaltar im Verlauf einer Renovierung ein „Herz-Jesu-Bild“. Angefertigt hat es der im Bereich Cham bekannte Dichtermaler Georg Achtelstetter, seine Freunde nannte ihn „Achtel“.

7. Juli 1923: Das am 16. Mai abgebrannte Anwesen von Hans Zankl ist wieder neu aus der Asche entstanden, wenn auch auf einem anderen Platz, aber nicht weit von der alten Stelle. Der Stadel wurde noch im Juni aufgestellt und das Hausdach wird in diesen Tagen fertig gedeckt. Der Brandleider hat von den heimischen Bauern viel Bauholz geschenkt bekommen.
Mit Entschließung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 24. April 1923 wurde im Einverständnis mit dem Bischöflichen Ordinariat Regensburg die Umpfarrung der Anwesen Nr. 1, 1 ½ und 2 der Ortschaft Eben aus der Pfarrei Moosbach in die Pfarrei Chamerau (Expositur Miltach) genehmigt und mit Wirkung vom 16. Juni 1923 oberhirtlich vollzogen.
1. August 1923: Gestern hat uns die Hauptlehrerin Anna Berger verlassen. Sie kommt nach Hunderdorf. Die Regierung hat sie Anfang Januar pensioniert, das Ministerium hat die Pensionierung aber nicht bestätigt. Hoffentlich wird jetzt Ruhe einkehren und das Prozessieren endlich aufhören!

September 1923: Von heute an kostet ein Brief 75 000 Mark, seit 20. August 20 000 Mark, bis dorthin 400 Mark. Ab 20. September beträgt das Porto für eine Postkarte 100 000 Mark, für einen Fernbrief 250 000. Für 1. Oktober ist bereits wieder eine Erhöhung in Aussicht genommen: 2 Millionen.

19. September 1923: Großhandelspreise in München per Zentner: Roggen 210 bis 230 Millionen, Weizen 280 bis 300 Millionen. Holzpreis: 1 Festmeter Fichte Langholz I. Klasse 300 Millionen und darüber.

24. September 1923: Gestern hat die Gemeinde Miltach die neue Feuerspritze übernommen. Sie wurde in Bayreuth hergestellt und kostet 268 Zentner Hafer.

Altarbild von Achtelstetter

3. Oktober 1923: Als Nachfolgerin für Lehrerin Anna Berger ist Fräulein Luise Hoffmann von Schaufling eingetroffen.

13. Oktober 1923: Diesen Samstag haben Herr und Frau Achtelstetter (Maler) aus Loifling bei Cham unser neues rechtes Seitenaltarbild gebracht. Dasselbe stellt dar, wie das Herz-Jesu der Hl. Gertrud erscheint und ihr den Auftrag gibt, die eingefangenen Offenbarungen in dem Buch: „Gesandter der göttlichen Liebe“ niederzuschreiben. Der Künstler hat das Buch von Sintzel über die Offenbarung der Hl. Gertrud als Anregung genommen. Das Bild ist wohl als Ganzes als gelungen zu bezeichnen. Die Farbgebung ist gleichheitlich, nur die Figur des Heilands ist zu klein, es sollte ja ein Herz-Jesu-Bild und kein Gertrudbild werden.

Der Gesichtsausdruck des Heilands lässt ebenfalls zu wünschen übrig. Früher befand sich am rechten Seitenaltar der Hl. Nikolaus von Myra. Das Bild aus Leinen war aber defekt, mit mehreren Löchern und Stockflecken versehen. Maler Georg Achtelstetter will für die Anfertigung des Bildes Lebensmittel, die er im Pfarrbereich selber einsammeln will.

16. Oktober 1923: In der vergangenen Nacht, 10 ½ Uhr ist der Stadel von Andreas Früchtl, Hausname „Voitl“, mit allen Wagen, Maschinen, Geräten und Futtervorräten vollständig niedergebrannt. Es liegt sicher Brandstiftung vor, nachdem kurz vorher auch schon ein Strohhaufen auf seinem Feld niedergebrannt ist.

17. Oktober 1923: Heute konnte unter Führung von Dr. Richard Oertel das von ihm erworbene Schloss Miltach besichtigt werden. Dabei waren auch die Geistlichen aus Rattenberg, Chamerau, Runding, Zandt, Harrling und Vilzing.
Durch Ministerialentschließung wurde die ganze Ortschaftsgemarkung Untervierau nach Miltach eingepfarrt. Die Mitteilung vom Bezirksamt Kötzting traf am 17. Oktober ein. Die Caritassammlung, die Mesner Zistler durchführte, brachte folgendes Ergebnis: Kartoffel 13 Zentner, Korn 3 Zentner, Obst 10 Pfund, Geld 25 Millionen Mark. In der Woche nach dem Allerweltskirta nahm Georg Achtelstetter, der im Verlauf der Kirchenrenovierung drei Altarbilder schuf, die vorher mit der Kirchenverwaltung vereinbarte Lebensmittelsammlung vor. Es brachte für ihn folgendes Ergebnis: 4 Zentner Korn (a.141 Milliarden Mark), 7 Schilling Eier (= 210 Stück), ½ Zentner Kartoffel, etwas Obst und ein Pfund Schmalz/Fett.

64 Reiter an Martini 1923

Martini 1923: Bei herrlichem Sonnenschein und wolkenlosen Himmel konnte heuer Martini gefeiert werden. Am Umritt beteiligten sich 64 Reiter, im Vorjahr waren es 41 Teilnehmer. 59 Pferde gingen vor der Fußprozession, fünf dahinter. Darunter waren die drei Jubelreiter, die mit Fähnchen ausgezeichnet wurden. Expositus Holzgartner saß selbst im Sattel auf einem fuchsfarbenen Pferd. Es trug zu dieser großen Beteiligung bei, dass 1923 Martini auf einen Sonntag fiel. Ein Jahr vorher kostete die Maß Bier 42 Mark, heuer 40 Milliarden. Die Festpredigt hielt F. Schamberger, Redemptorist, aus Cham. Am Freitag vorher traf die neugefasste Holzfigur des Hl. Martin ein.

10. Dezember 1923: Gestern wurde die Gemeindejagd Miltach im Bräuhaus Holzfurtner versteigert. Für den Zuschlag musste Sägewerksbesitzer Andreas Dattler 132 Zentner Hafer leisten.
13. Dezember 1923: Abends um 8 Uhr wurde beim Bauern Josef Baumgartner, „beim Antoni“, in Oberndorf, an einer Reihe Reisigbündel am Stadel Feuer gelegt. Zum Glück bemerkte es der Knecht Heinrich Lex noch rechtzeitig, so dass noch mit Eimern gelöscht werden konnte.

20. Dezember 1923: Die Preise gehen jetzt endlich allgemein rückwärts, für landwirtschaftliche Erzeugnisse fast zu stark: 1 Zentner Hafer kostet 4 Mark, Korn 6 Mark, Weizen 8 Mark. Am 20. November war die Rechnerei mit den großen Zahlen zu Ende. Die Regierung machte einen radikalen Schnitt. Zwölf Nullen fielen unter den Tisch. Eine Billion Papiermark wurden zu einer Rentenmark.

27. Dezember 1923: Seit Freitag, 21. 12. hat es bis gestern ununterbrochen geschneit. Die Wege sind alle verweht. Am 30. 12. betrug die Schneehöhe etwa 40 Zentimeter. Am Silvesterabend fiel das Thermometer auf Minus 22 Grad.