Gedenkakt im Stadtpark
Kundgebung in Cham erinnerte an die Opfer der Reichspogromnacht vom 9. November 1938

14.11.2024 | Stand 14.11.2024, 11:00 Uhr |
Ferdinand Schönberger

Für jeden vorgelesenen Verstorbenen wurde ein kleiner Stein niedergelegt. Fotos: Ferdinand Schönberger

Bereits der Anfangstext des berühmten Liedes „Donna Donna“ oder „Dos Kelbl“ (Das Kälbchen) spielt auf den Holocaust und den Transport von Menschen in Konzentrationslager an. Es wurde am Montag beim etwa halbstündigen Gedenken in Cham an die Opfer der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 und der Schoa vorgetragen.

Dieses stand unter dem Motto, das nach der Befreiung des KZ Auschwitz geprägt wurde: „Nie wieder!“. Auch die kleine jüdische Gemeinde in Cham, die zum Zeitpunkt der Machtergreifung gut 70 Personen umfasste, war von den Ereignissen und den nach 1939 beginnenden Deportationen und der Vernichtung tödlich betroffen. So sollte mit der Kundgebung die Erinnerung an das unmenschliche, mitleidlose Vorgehen der Nationalsozialisten, gegen das viel zu wenige Menschen aufbegehrten, wach gehalten und Solidarität mit den jüdischen Mitbürgern gezeigt werden.

Das könnte Sie auch interessieren: Postbank in Cham schließt endgültig – und mit ihr etliche Post-Dienstleistungen

Christian Oberthür, Mitglied im Sprecherkreis des einladenden Bündnisses für Toleranz und Menschlichkeit im Landkreis Cham, begrüßte dazu gut 50 Teilnehmer am Gedenkstein im Stadtpark. Als Moderatorin sprach Amy Weinstein ihren Dank an die Organisatoren und an die anwesende Polizei aus. Sie leitete die Kundgebung ein mit den Worten: „Wir wollen der Menschen gedenken, deren Leben in der Zeit des Nationalsozialismus zerstört wurde, besonders auch der Kinder.“ Gleichzeitig wolle man einen Bogen zu heute schlagen, in eine wiedergekommene schwere Zeit der Angst mitten in Europa. Jeder solle sich fragen, was er tun könne, damit ein normaler Alltag möglich sei.

Hebräisches Lied „Eli, Eli“ gesungen

Das folgende gemeinsam gesungene hebräische Lied „Eli, Eli“ der Lyrikerin Hannah Szenes von 1942, das 1945 von David Zehavi vertont und nun von Brigitte Gray auf dem Akkordeon begleitet wurde, gilt manchen als inoffizielle heimliche israelische Hymne: „Mein Gott, mein Gott, lass niemals enden: den Sand und das Meer, das Rauschen des Wassers, die Blitze des Himmels und das Gebet des Menschen.“ Weinstein erinnerte an die Veranstaltung vor einem Jahr, als bei der Aktion des in den USA gestarteten „Daffodil Projects“ hier etwa 1100 Narzissen-Zwiebeln gepflanzt wurden – einer Initiative der gemeinnützigen Organisation Am Yisrael Chai zur Aufklärung über den Holocaust und Völkermord. Deren Ziel seien weltweit 1,5 Millionen Narzissen zum Gedenken an die Kinder, die im Holocaust umgekommen sind, und zur Unterstützung von Kindern, die in humanitären Krisen in der heutigen Welt leiden.

Lesen Sie auch: Wie geht es mit dem D-Ticket in Cham weiter?

Anschließend verlas eine Sabine einen Teil des Berichts des amerikanischen Generalkonsuls in Stuttgart, Samuel W. Honaker, vom 12. November 1938 an Hugh R. Wilson, den amerikanischen Botschafter in Berlin, über die erlittenen Schicksalsschläge der Juden während der letzten drei Tage in Südwestdeutschland. Überall seien drei Maßnahmen ausgeführt worden: die Entweihung und das Niederbrennen der Synagogen durch gut ausgerüstete, in Zivil gekleidete junge Männer, die Plünderung, Verwüstung und erzwungene Schließung aller jüdischen Geschäfte sowie die mitternächtlichen Massenverhaftungen und überstürzten Abtransporte der gesamten männlichen jüdischen Bevölkerung Stuttgarts im Alter zwischen 18 und 65 Jahren.

Diese Aktionen hätten dazu geführt, dass ein großer Teil der (nichtjüdischen) Bevölkerung sich zwar sehr unbehaglich fühlte, aber schwieg. „Lasst uns nie wieder stillschweigend sein, sondern gemeinsam immer dann laut protestieren, wenn jemandem Unrecht geschieht!“, appellierte die Rezitatorin an die Anwesenden.

Jüdisches Gebet gesprochen

An der von Lichtern erleuchteten Gedenkstätte hatte zum Schluss jeder die Möglichkeit, die Namen von Verstorbenen vorzutragen und jeweils mitgebrachte oder verteilte kleine Steine abzulegen – eine Tradition, um zu zeigen, dass jemand da ist, der an sie denkt. Die Veranstaltung endete schließlich mit einem von Manfred, Cordula und Amy gesprochenem jüdischen Gebet.

Artikel kommentieren