Da sich die Marienrealschule in Cham im Zuge der Schulentwicklung im Moment mit der Frage beschäftigt, wie eine sinnvolle Umsetzung des „DigitalPakts Schule“ aussehen kann, hat sie sich zusammen mit dem Förderverein Freunde der Maristen und Gerhardinger den bekannten Schulpädagogen Professor Dr. Klaus Zierer auf den Schulberg eingeladen.
Vor gut 160 Gästen, bestehend aus vielen Lehrkräften aus dem gesamten Landkreis, Eltern und Interessierten begrüßte Schulleiter Christian Haringer Zierer an der Marienrealschule. Unter dem Arbeitstitel „Zwischen Euphorie und Apokalypse: Wie digitalen Medien das Verhalten unserer Kinder beeinflussen und wie sie sinnvoll in Schule und Unterricht einzusetzen sind“ zeigte der Professor dem äußerst interessierten Publikum, wie die Digitalisierung der Schulen aus wissenschaftlicher Sicht zu bewerten ist.
Jedem Schüler sein Tablet?
Während andere Länder, z. B. Estland, Schweden, Italien, Niederlande, England und jüngst auch Dänemark, bei der Frage, wie viele digitale Medien in den Schulen Platz finden sollen, wieder zurückrudern, hält die bayerische Bildungspolitik Kurs: Jeder Schüler in der Sekundarstufe soll in den nächsten Jahren sein eigenes Tablet bekommen. Nur auf diesem Weg, so scheint die einhellige Meinung, können die bayerischen Schulen und mit ihnen die Kinder und Jugendlichen fit gemacht werden für die Zukunft. „Die digitale Schule der Zukunft“ heißt demzufolge auch ein Grundsatzpapier aus dem Kultusministerium. Aber stimmt das eigentlich?
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Professor Zierer, Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg, ging auf mehrere Fragen ein: Was wissen wir aus empirischer Sicht über den Einfluss von digitalen Medien auf die Lernleistung und auf den Bildungsprozess? Wie verändern digitale Medien bereits heute das Lernverhalten? Wo sind Möglichkeiten und Grenzen von digitalen Medien, wenn es um Bildungsprozesse geht?
Diese Fragen standen im Zentrum des Vortrages, in dem nicht nur Mythen in der Debatte um eine Digitalisierung im Bildungssystem entlarvt, sondern konkrete Handlungsempfehlungen gegeben wurden, um Smartphones, Tablets, ChatGPT & Co. bildungswirksam in den Schulen einzusetzen. Zunächst ging Zierer auf die empirisch belegten Befunde ein und verwies dabei z.B. auch auf die gut 2000 Meta-Analysen des neuseeländischen Bildungsforschers John Hattie. Diese zeigten etwa eindeutig, dass die Freizeitnutzung sozialer Medien und Smartphones den Jugendlichen mehr schadet als nutzt. Auch Lesen an digitalen Medien, Webinare, der Einsatz von PowerPoint im Unterricht oder die Laptop-Einzelnutzung trügen kaum zu besseren Lernergebnissen der Schüler bei. Positiv zeige sich in den Untersuchungen an über 400 Millionen Lernenden, etwa besonders der sinnvolle Einsatz von Chatbots, interaktiven Lernvideos, technikgestütztem Feedback der Schüler an die Lehrkräfte und intelligenten Tutoringsystemen.
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Schüler, die komplexe Inhalte in der Schule auf Papier sehen und nicht in ein digitales Endgerät tippen, sondern selbst schreiben, verstünden das, was sie lernen sollen, viel besser. Dabei gehöre zu einem sinnvollen Fahrplan an Schulen auch, das Smartphone und vor allem die private Nutzung des Geräts in der Schule zu verbieten.
An der Marienrealschule geschieht dies seit gut drei Jahren. Handys schaden laut Zierer der Aufmerksamkeit und Gedächtnisleistung der Schüler. Je geringer die Entfernung zwischen Schüler und Smartphone, desto größer ist das Ablenkungspotenzial. Am besten arbeiten die Jugendlichen mit schuleigenen Geräten, die gezielt im Unterricht verwendet werden, statt mit teils privat finanzierten Tablets, auf denen nicht nur Lernsoftware installiert ist.
Wird Lernen durch die Digitalisierung leichter
Im zweiten Teil des Vortrags räumte Zierer mit Mythen auf, wie z.B. der Aussage, dass „Wissen nicht mehr so wichtig sei, weil es allzeit verfügbar ist“. Ohne Wissen könnten Menschen jedoch nicht mehr kontrollieren, was technische Geräte anbieten, und kaum mehr Probleme lösen. Auch der Aussage, dass das Lernen durch die Digitalisierung leichter werde, widersprach Zierer vehement. Einzig viele Wiederholungen des Gelernten führten dazu, die Inhalte langfristig auch in Erinnerung zu behalten.
Dass die Motivation der Schüler steigt, wenn Tablets im Unterricht eingesetzt werden, sei nicht von der Hand zu weisen. Sobald die Lernenden nach einiger Zeit jedoch merkten, dass es auch hier ums Lernen und nicht nur ums Spielen geht, verblasse der Effekt sehr.
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Abschließend zog Zierer mehrere Schlussfolgerungen, wie erfolgreiches Lernen gelingen kann. Lernen erfordere immer Einsatz und Anstrengungen sowie Kooperation und Austausch. Positive Beziehungen zwischen der Lehrkraft und den Schülern seien für ein erfolgreiches Lernen genauso wichtig wie positive Gespräche über Irrwege und Fehler, die die Jugendlichen während des Lernprozesses machen.
Digitalisierung reflektieren
Die Lehrperson und die Pädagogik seien wichtiger als die technische Ausstattung und hätten enormen Einfluss auf den Lernerfolg. Wenn Digitalisierung an Schulen zum Einsatz kommt, sollte sie reflektiert werden. Allein der Einsatz digitaler Endgeräte führe nicht zu einem besseren Lernerfolg. „Schulen brauchen also mehr Humanismus und keinen Digitalisierungswahn. Pädagogik geht immer vor Technik“, so Zierer.
Der stellvertretende Schulleiter Johannes Dieckmann dankte Zierer für seine wissenschaftlich fundierten und spannenden Ausführungen, die der Schulpädagoge auch mit einer guten Portion Humor würzte. In einer geleiteten Fragerunde kamen die Gäste in der Turnhalle in regen Austausch mit dem Professor.
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