Immer „grad heraus“, wie man in Bayern sagt, und bisweilen kantig, dabei aber den Menschen zutiefst zugewandt, zupackend und mit einem ganz eigenen Humor gesegnet: Wollte man sich ein typisch niederbayerisches Mannsbild schnitzen, Otto Kneitinger könnte Modell sitzen. An diesem Freitag feiert der Abensberger (Landkreis Kelheim) seinen 70. Geburtstag.
Der gelernte Konditor war und ist im Unruhestand Hotelier und Unternehmer, aber die breite Sport-Öffentlichkeit in der Region und weit darüber hinaus kennt ihn als Sportfunktionär, der den TSV Abensberg über Jahrzehnte zum „FC Bayern“ des deutschen Judosports formte. Mit 20 deutschen Meistertiteln ist der TSV nationaler Rekordmeister, häufte sieben Europapokaltriumphe obendrauf. Die niederbayerische Kaderschmiede brachte unter seiner Führung Olympiasieger wie Ole Bischof hervor, 2008 bei den Spielen in Peking, Diese Erfolgsbilanz basiert auf einem „Hobby“, wie der Jubilar, in jungen Jahren selbst aktiver Judoka, sagt.
Rückzug nach 24 Jahren
Kneitinger hat das alles als Netzwerker bewerkstelligt. Er spricht von „Mosaiksteinchen“, die sich im Laufe der Zeit zusammenfügen. Der Andrang zu seinem Geburtstag dürfte entsprechend sein. „Ich will all diese Menschen sehen, auf die ich mich richtig freue“, sagt er. Gleichzeitig schwingt Nachdenklichkeit mit. „Man wird demütig. Natürlich ist mir vollkommen klar, dass die letzte Runde des Lebens anbricht. Aber wenn ich auf meine Familien blicke, auf das gesamte Umfeld, ist alles in Ordnung. Alles passt, ich bin zufrieden. Die Geschäfte führen meine drei Söhne. Es gibt keinen Grund zu jammern“, sagt er.
Der Ehrenbürger seiner Heimatstadt und TSV-Ehrenabteilungsleiter wird sich im November nach 24 Jahren aus der Europäischen Judo-Union (EJU) zurückziehen und verzichtet auf eine erneute Kandidatur als Vizepräsident mit dem Schwerpunkt Marketing. Diesen Schritt hatte er lange angekündigt. „Es ist an der Zeit. Ich habe mich lange zurückgenommen, war zuletzt in einem Monat drei Wochen im Ausland unterwegs. Die Frage war: Warum tue ich mir das eigentlich noch an? Nun ist die Familie dran, sind die vier Enkel dran – und ich will auch mal an mich selbst denken, richtig durchschnaufen und zur Ruhe kommen“, hatte Kneitinger jüngst der Mediengruppe Bayern gesagt.
Damit endet eine Ära im internationalen Judosport. Der Abensberger war seit dem Jahr 2000 in verschiedenen Funktionen in der EJU tätig. Damals holte der heutige Präsident des Weltverbandes IJF, der Rumäne Marius Vizer, der seinerzeit das Amt des EJU-Präsidenten übernommen hatte, Kneitinger als Vizepräsidenten in sein Team. Kommissarisch stieg Kneitinger 2022 sogar zum EJU-Chef auf, weil der russische Präsident Sergey Soloveychik nach dem Kriegsausbruch in der Ukraine zurückgetreten war. Nach der Wahl des Ungarn Laszlo Toth wenige Monate später arbeitete er wieder als Vizepräsident für Marketing. Damals schon hatte er verkündet, nach dem Ende der Wahlperiode nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Es gab Versuche, ihn zum Weitermachen zu bewegen, sogar als Marketingleiter im Judo-Weltverband. Kneitinger winkte ab.
Sein Rat und seine Expertise werden indes weiterhin gefragt sein. „Wenn jemand anklopft, höre ich mir das an. Aber ich komme schön langsam zur Ruhe, Irgendwann ist es so, dass die Jüngeren übernehmen“, sagt er. Furcht vor Langeweile sei ohnehin kein Thema. „Meine Familie ist ein Leben lang zu kurz gekommen. Es macht jetzt einfach Spaß, mehr Zeit mit meinen Enkeln zu verbringen.“ Mehr Zeit auch mit Ehefrau Luise, mit der er seit 1979 verheiratet ist, und die ihm trotz der Belastung als Lehrerin stets den Rücken freihielt. „Ohne meine Frau wäre das alles nicht gegangen“, sagt Kneitinger.
„Viel Stolz und Herzblut“
Kneitinger wurde mit dem Sportpreis des bayerischen Ministerpräsidenten bedacht, ist Träger der Ehrenamtsmedaille des Freistaates. Auch lokalpolitisch war er lange Jahre aktiv. Als er im Jahr 2018 im Rahmen der Gala „Ostbayerns Sportler des Jahres“ von der Mittelbayerischen Zeitung für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde, hieß es in einem Videoeinspieler: „Mit viel Stolz und Herzblut lehrte das kleine Abensberg die Judo-Welt das Fürchten.“ Die Anklänge an das berühmte gallische Dorf, das den sportlichen Branchengrößen die Stirn bietet, waren unüberhörbar. Dem TSV-Judosport ist er weiterhin verbunden, lobt deren aktuelle Entwicklung als „sehr gut“.
Alles richtig gemacht? Diese Frage stellt sich oft zu runden Geburtstagen . „Ja, das sehe ich so. Ein Zahnrädchen griff letztlich ins andere. Ich bereue im Nachhinein nichts, auch wenn ich manchmal ein bisschen an mir gezweifelt habe, weil ich immer offen gesagt habe, was ich mir gedacht habe, Das hat schon mal Wirbel ausgelöst. Aber es war meine ehrliche Meinung. Ich habe halt das Herz auf der Zunge getragen“, sagt Keitinger.
Er fügt hinzu: „Und jetzt, mit 70, muss ich das auch nicht mehr ändern.“
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