Die rote Schleife ist seit Jahrzehnten ein Symbol der Solidarität mit HIV-Infizierten und Aidskranken. Auch die rosa Schleife ist bekannt als Symbol gegen Brustkrebs. In Kelheim haben Frauen nun an einer XL-Schleife in Grün gestrickt. Dieses Emblem kennt bislang kaum einer. Doch das Thema dahinter betrifft viele.
Renate, Alexandra, Dea, Beate, Petra, Elvira und Magdalena haben einige Zeit investiert, um gemeinsam die gut fünf Meter lange Schleife zu fertigen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Bei Veranstaltungen soll die grüne Schleife künftig immer wieder in der Region zu sehen sein. Sie wirbt für mehr Toleranz für Menschen mit psychischen Erkrankungen, erklären die Macherinnen.
„Wahnsinnig hohe Nachfrage“
Auch im Landkreis Kelheim sind viele Frauen und Männer betroffen. „Wir haben eine wahnsinnig hohe Nachfrage“, sagt Karin Gais. Die 61-Jährige leitet bei der Caritas den Fachbereich Sozialpsychiatrie und die Beratungsstelle für seelische Gesundheit. Für Gais ist das kein Wunder. Denn im ganzen Sektor – vom Psychotherapeuten über stationäre Angebote bis zur Caritas selbst – „gibt es zu wenig Fachpersonal“.
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Dabei ist die Zielgruppe breit gestreut. Sie reicht von Menschen, in einer (leichten) persönlichen Krise bis hin zu jenen mit schweren psychiatrischen Krankheitsbildern, wie Psychosen oder manisch-depressiven Erkrankungen. Auch Suizidalität sei „fast täglich Thema“, sagt Gais.
„Inzwischen trauen sich mehr Menschen zur Beratung zu gehen. Auch Männer“
Im Schnitt kommen pro Jahr an die 400 Frauen und Männer zur Einzelberatung. Positiv sieht Karin Gais, dass das Thema bei Betroffenen inzwischen nicht mehr so schambehaftet sei, wie noch vor einigen Jahren. „Inzwischen trauen sich mehr Menschen zur Beratung zu gehen. Auch Männer“, so die Sozialpädagogin.
Viele der Kelheimer Strickerinnen eint, dass sie eine psychische Erkrankung haben. Doch alle 14 Tage, immer mittwochs von 14 bis 16.30 Uhr, geht es um etwas völlig anderes. Das gemeinsame Handarbeiten.
Die 46-jährige Dea leitet die Gruppe ehrenamtlich. Momentan hat diese 13 Mitglieder. Sieben sind diesmal gekommen. Bei den Treffen stehen aber nicht Depression oder Burn-Out im Vordergrund, sondern das kreative Miteinander. Da wird geratscht, gelacht und gewerkelt. Und auch ein paar süße Muffins hat Dea mitgebracht.
Von Beruf Schreinerin
Die Gruppenleiterin spricht ganz offen über ihre Borderline-Störung. „Warum soll ich deswegen immer schlecht gelaunt sein, ich habe gelernt, positiv damit umzugehen“, sagt sie.
Von Beruf ist Dea Schreinerin. Doch sie kennt sich mit vielen kreativen Genres aus. Auf dem Tisch zeugt ein gestrickter pink-lilafarbener Drache von ihrem Können.
Gerne gibt Dea ihr Wissen an die anderen weiter. Einen Spruch hier und da müssen die anderen schon abkönnen und umgekehrt auch Dea. Aber sie kennen sich inzwischen ganz gut und wissen, wie sie den anderen nehmen müssen.
Viel schwarzer Humor
Was sie ausmacht? „Eine große Portion schwarzen Humors“, heißt es unisono. Dea sagt: „Die Gruppe tut gut. Ich gehe immer mit einem Lächeln raus.“ Andere nicken. „Es macht Spaß“, sagt Renate. Manche von ihnen haben schon immer gerne gehandarbeitet, andere wie Elvira haben das Hobby neu für sich entdeckt. „Ich habe wieder Bock darauf gekriegt“, sagt sie.
Außerdem habe Stricken, Häkeln und Co. eine positive Wirkung. „Es senkt den Blutdruck, fördert die Konzentration und man lernt Demut“, sagt Dea. Denn manch kompliziertes Strickmuster fordert sie. Dann muss man Maschen auftrennen und von vorne anfangen. „Außerdem lernt man auch herrlich zu fluchen“, sagt Dea und grinst.
„Und man bekommt Selbstbewusstsein“
Zudem könne man – konzentriert auf das aktuelle Projekt – „an nichts Schlechtes denken“, sagen sie alle. „Und man bekommt Selbstbewusstsein“, findet Beate. Sie selbst ist das beste Beispiel. Socken strickt sie seit Jahrzehnten. Nun ist sie in den letzten Zügen für einen schicken pink-gestreiften Strickmantel. Das Ergebnis begeistert nicht nur sie selbst. Sie erntet auch Anerkennung der anderen.
Am Mittwoch, 27. November, ist der nächst Treff
Der Stricktreff ist das, was Karin Gais, „soziale Gemeinschaft“ nennt. Zudem erreichen die Handarbeiterinnen selbst gesteckte Ziele und die Treffen bringen sie raus aus den eigenen vier Wänden.
Dort kann man als Mensch mit psychischer Erkrankung schon einmal feststecken. Von anderen erhalten Betroffene oft wenig Verständnis oder diese können nur schwer damit umgehen. Hier ist das anders, viele wissen, wie das ist.
Am Mittwoch, 27. November, ist der nächst Treff. Dazu kann jeder Handarbeits-Interessierte kommen. Die Gruppe ist offen für alle. Der Raum ist leicht zu finden. Er liegt in der Pfarrhofgasse 2 gegenüber des Caritas-Gebäudes. „Und es gibt keine Pflicht, jedes Mal dabei zu sein“, sagt Dea.
Viele Angebote, Mitarbeiter unterliegen der Schweigepflicht
Kontakt: Beratungsstelle für seelische Gesundheit: Tel. (09441) 5007-26, E-Mail: spdl@caritas-kelheim.de
Team: Karin Gais ist seit 1997 dabei. Sie leitet den Sozialpsychiatrischen Dienst (SD). Zum Team zählen sechs Mitglieder, vier davon arbeiten in Vollzeit. Das Angebot des Sozialpsychiatrischen Dienstes ist kostenlos und unterliegt der Schweigepflicht.
Zielgruppe: Der Dienst richtet sich laut Karin Gais an Menschen mit seelischen Erkrankungen, Menschen, die eine Lebenskrise erfahren, an Menschen mit ambulanten oder stationären psychiatrischen (Vor-)Erfahrungen, Menschen, die vorbeugende Maßnahmen benötigen, aber auch an jene, denen der berufliche oder private Alltag über den Kopf zu wachsen droht, die ihre Isolation überwinden wollen oder die einen Angehörigen oder Partner mit seelischen Problemen haben.
Angebote: Der SD der Caritas in Kelheim bietet zahlreiche Gruppenangebote – vom Achtsamkeitskurs zur Stressreduktion über die Bewegungsgruppe (Tai Chi) oder die Frauen-Freizeit-Gruppe bis hin zur Wandergruppe. Infos zu allen Gruppen gibt es online unter www.caritas-kelheim.de
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