Gesprächsreihe
Hochinfektiöse Wortliebe: Nora Gomringer bei den Kunstpartnern in Adlmannstein

10.06.2024 |

Preisgekrönte Dichterin, Direktorin und Selfie-Queen: Nora Gomringer knipst das Bild zum Text gleich selbst, neben Ingo Kübler und vor einem Gemälde von Richard Vogl. Foto: Nora Gomringer

Deutschlands bekannteste und vielseitigste Dichterin entflammt bei der Matinee der Kunstpartner ihr Publikum. Die 44-Jährige ist ein Feuerwerk und sie findet in Ingo Kübler einen versierten Pyrotechniker.

Dass es Kunst braucht, ist für Wilma Rapf-Karikari und Ingo Kübler, die Kunstpartner aus Adlmannstein im Landkreis Regensburg, selbstredend keine Frage. Aber weil sie den Dingen gern auf den Grund gehen, um das in der Tiefe Gefundende funkeln zu lassen, bitten sie von Zeit zu Zeit zur Matinee unter dem Titel „Warum Kunst“ (und lassen das Fragezeichen weg). Am Sonntag war Nora Gomringer, vermutlich Deutschlands bekannteste und sicherlich vielseitigste Dichterin, zu Gast. Um die Wahrheit zu sagen: Sie setzte das Schaulager in Brand.

Das Publikum lernte eine quicklebendige, uneitle, heitere und kluge Wortliebende kennen, die lächelnd über traurige Dinge spricht und ziemlich lässig verblüffende Geständnisse macht. Die 44-Jährige dichtet, kuratiert, slamt, singt, spielt, schreibt für Radio und Feuilleton, amüsiert, erfrischt, kreuzt Lyrik mit Oper, Jazz und Malerei, paart Wort mit Film, netzwerkt, reiht Buch an Buch und Preis an Preis – und damit ist nur ein Teil ihres Aktionsradius’ umrissen, denn im Festberuf führt sie das Künstlerhaus Villa Concordia in Bamberg. 12 bis 24 Stipendiaten aus Musik, Literatur und Bildender Kunst finden hier jedes Jahr ihr Refugium und eine Direktorin, die sich ihrer Wünsche annimmt. „Manchmal sind die Bedürfnisse lustig“, erzählt Gomringer. Zuletzt wollte ein Gast dringend fechten lernen.

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Diese Frau also ist ein Feuerwerk und in Moderator Ingo Kübler findet sie einen versierten Pyrotechniker, so dass im sanft gepufferten Licht des Saals die Funken sprühen. Die Verzauberung gelingt durchaus gegenseitig. Nora Gomringer staunt: „Ich finde mich ein einem Lebenstraum! Auf Sammler mit so viel Umsicht und Weisheit zu treffen“, sagt sie über die Kunstpartner, die künstlerische Vor- und Nachlässe betreuen. Das führt gleich mitten ins Thema, denn Häuser wie der 300 Jahre alte Kasten in Adlmannstein stehen unter Denkmalschutz, aber der zeitgenössischen Kunst geht so ein Schutzschirm ab. Gomringer: „Und wenn alles so gebunden ist an wankende kommunalpolitische Verhältnisse, ist es im Zweifel in der nächsten Wahlperiode weg.“

Nora Gomringer ist ein Dichter-Kind: Der Vater der Begründer der Konkreten Poesie, die Mutter Germanistin, die jeden Sonntag ein Gedicht lernt und abends schaumbedeckt und rauchend in der Badewanne liegt und der Tochter vorliest. Nora kann mit 16 ihre ersten 100 Gedichte auswendig, weil sie merkt, dass sie dem Klavierunterricht entkommt, wenn sie rezitiert und die Lehrerin dazu am Flügel improvisiert. „Ich bin eine fleißige Person“, sagt die Künstlerin, die regelmäßig ein Buch fertig hat, nie für die Schublade schreibt und den Auftragsdruck braucht, wie damals für den Ingeborg-Bachmann-Preis, den sie 2015 gewinnt. „Zur Zeit gelingt mir aber nichts Frisches mehr“, gesteht sie – seit 2020, seit dem Tod der Mutter, die stets ihre erste Leserin und Lektorin war.

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Um zur Dichterin zu werden, halfen mehrere Dinge. „Ich war nie ein besonders hübsches Kind. Und Schönheit kann einen stark aufhalten!“, so Gomringers strenge Analyse. Dazu kamen Neugier, der Beschluss, auf Kinder zu verzichten, um Kunst zu machen, und ermutigende Begegnungen: „Zum Künstler wirst du immer wieder gemacht, weil andere Menschen dich finden.“

Vielleicht spielt sogar Glaube eine Rolle. Am Sonntag trifft man Nora Gomringer normalerweise nicht in einer Matinee, sondern in der Kirche. „Das Bedürfnis nach Gemeinschaft, nach ein bisschen Erlösung, nach Wahrgenommensein“ wird dort gestillt, wie sie sagt, auch der Hunger nach Schönheit trotz all des Belastenden in der Welt. Und nicht zuletzt geht es um die Chance, von sich abzusehen – und umgekehrt: sich gesehen zu fühlen.

Der Dialog kreist viel um Geld und die prekäre Lage von Kreativen. „Ich bin kein Kapitalismus-Feind“, betont Gomringer. „Wertschätzung gegenüber Künstlern muss sich auch monetär ausdrücken.“ Tut es aber viel zu wenig. „Kunst ist falsch gelabelt“, heißt Gomringers Befund. „Sie müsste direkt neben oder sogar zwischen Politik und Wirtschaft stehen.“ Kunst könnte schließlich als Impulsgeberin die Lage eines ganzen Landes beeinflussen.

Aus den Stand performt die Lyrikerin noch ein paar Texte. Sie spricht, singt – sehr schön übrigens –, stöhnt, seufzt, flötet, trillert. Im „Ursprungsalphabet“ schenkt sie dem „L“ und dem Wort „Laaaaaangsamkeit“ gefühlte 15 Sekunden, bis es verhaucht. Köstlich!

Warum Kunst: Die Frage, so es eine war, hat sich nach der Matinee erledigt. „Ich hab’ sowas wie hier noch nie erlebt“, sagt Nora Gomringer über den Kunstkosmos Adlmannstein und ins Publikum. Das gilt, nach dem Chanson von Friedrich Hollaender, wahrscheinlich sogar im Geigentiel.

Ausstellung von Richard Vogl endet am Sonntag



Kunstpartner: Ingo Kübler und Wilma Rapf-Karikari betreiben eine Galerie und hüten im Schaulager Werke von Susanne Böhm, Max Bresele und Margot Luf.

Ausstellung: Richard Vogl zeigt in Adlmannstein „Über’n Berg“. Die Schau ist letztmals am Sonntag (14 bis Uhr) geöffnet. Alles Details unter www.kunstpartner.eu

Gespräche: In der Reihe „Warum Kunst“ sind regelmäßig Menschen aus der Kulturszene zu Gast, um über die Rolle von Kunst und die Bedingungen für Künstler zu sprechen.

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