In einem Gedenkakt zur Zerstörung der Synagoge vor 85 Jahren zeigt sich die Stadt Regensburg solidarisch mit jüdischen Regensburgern. Die Vertreter der Jüdischen Gemeinde schilderten aber auch, wie wichtig das Erinnern ist im Hinblick auf die Ereignisse vom 7. Oktober in Israel: Dem Massaker der Hamas gegen Juden und arabische Israelis.
Es ist ein Mahnmal, die Tafel, die an das Pogrom erinnert: Vor 85 Jahren, in der Nacht von 9. Auf 10. November 1938, brannten Nazi-Schergen die Synagoge nieder. Vor der Synagoge erinnert sie an das Pogrom. Sie trägt die Symbole des Judentums, aber auch des modernen Israels: Die Menora, den siebenarmigen Leuchter, und den Davidstern, Symbol des Staates Israel.
Auch in Regensburg wurden Schaufensterscheiben eingeschlagen. Die Synagoge, ein wunderschönes Jugendstil-Bauwerk, brannte ab. Nur das Gemeindezentrum blieb erhalten, denn die Feuerwehr durfte löschen – aus Angst, das Feuer würde auf das benachbarte Gebäude übergreifen.
Ausgerechnet: Palästina-Demo am Tag nach dem Gedenken
Am Donnerstagabend erinnerte die jüdische Gemeinde in der neuen Synagoge an den Akt des Nazi-Terrors vor 85 Jahren. Das große Besucherinteresse sei „ein gutes Zeichen“, sagte Gemeindevorsitzende Ilse Danziger. Um dann aber auch daran zu erinnern, dass nicht jeder die Präsenz und das Blühen jüdischen Lebens in Regensburg gerne sieht. Ausgerechnet einen Tag nach dem Gedenken an die Grauenstat haben Israel-Feinde eine Demo auf dem Domplatz angekündigt.
OB Maltz-Schwarzfischer hält bedrückende Rede
Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer hielt eine eine ungewöhnlich emotionale und eindringliche Rede. „Aus dem ,Nie wieder‘ wurde das ,Nie wieder ist jetzt‘“, sagte die SPD-Politikerin. Damit sprach sie die offiziell beteuerte Solidarität des deutschen Staates mit Israel, aber auch die Ablehnung des Hamas-Terrors aus. Dann aber sagte sie: „Ich komme zu einem anderen Ergebnis.“ Maltz-Schwarzfischer zählte die Attentate von Kassel und Halle 2019 sowie in Hanau 2020 auf, bei denen Rechtsextreme Juden, Moslems und Christen ermordeten.
Viel zu oft nur „Nie wieder“ gesagt - und nicht gehandelt
„,Nie wieder ist jetzt‘ war leider viel zu oft in unserer jüngsten Vergangenheit an jedem einzelnen versuchten und erfolgreichen antisemitischen Anschlag.“ Denn die Anschläge, sie würden sich gegen „unsere Art des Zusammenlebens, gegen unsere Freiheit, gegen unsere Demokratie und gegen uns alle“ richten. Die Taten des 7. Oktober seien kein Akt eines „vermeintlichen Freiheitskampfes“ gewesen, sondern, so Maltz-Schwarzfischer: „Es war schlichtweg brutaler, bestialischer und zu verabscheuender Terror.“ Jeder Versuch, diese Taten zu relativieren, „verbietet sich – allein schon aus Anstand“, sagte Maltz-Schwarzfischer.
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Doch ist dem wirklich so? Kann man die Relativierung des Terrors etwa bei Demonstranten auf unseren Straßen tatsächlich verbieten? Die Wochentags-Synagoge gibt es noch in dem Gemeindehaus, das das Pogrom überstand. Ilse Danziger gab der MZ am Donnerstagabend dort ein Interview. Sie sagt: „Für uns war schon immer wichtig, an das Geschehen des 9. Novembers 1938 zu gedenken. Jetzt hat es noch eine andere Dimension: Es hat wieder ein Pogrom gegeben, diesmal in Israel.“ Mit Schrecken sah Danziger am Vorabend der Palästina-Demo am Domplatz entgegen. „Sie steht unter der Überschrift Frieden für Palästina, das hört sich ja erst einmal gut an“, so Danziger. Doch man werde sehen, ob nicht wieder der Mord an Juden relativiert werde.
Rabbiner Benjamin Kochan lebt mit seiner Frau und seinen Kindern abwechselnd in Berlin und Regensburg. In Regensburg könne er durchaus mit Kippa durch die Gassen laufen, ohne Angst um sein Leben zu haben. In Berlin sei das anders.
Angst um seine Kinder
„Man ist unsicher, wenn man seine Kinder zur Schule schickt oder selbst in einem problematischen Berliner Bezirk ist, da fühlt man sich manchmal wie in einem Film.“ Kochan wünschte sich mehr Stimmen des Trostes für die Opfer des Mordes an Israelis und das Leid der Geiseln. „Genau das, was 1938 nicht geschah, muss jetzt geschehen: Die Demonstrationen gegen Gewalt müssten viel lauter sein“, so der Rabbiner. Autorin Waltraud Bierwirth zeichnete in ihrem Vortrag die aufgeheizte Stimmung gegen die Shoah-Überlebenden anhand zweier mutmaßlich antisemitischer Morde nach. „Der dumpfe Judenhass hatte sich in die Hinterzimmer verzogen“, so die Essenz ihrer aufwendigen Recherchen. Das sieht auch Ilse Danziger so. „Der Antisemitismus war immer vorhanden, das sieht man auch direkt nach dem Krieg, in dem alles geschlummert hat.“ Aber „leider hat der Antisemitismus heute wieder eine völlig andere Dimension bekommen“, schloss Danziger.