Die Uraufführung des neuen Oratoriums „Hiob“ von Daniel Toledo Guilléns wird zu einem Triumph.
Klang und Raum als symbiotische, künstlerische Einheit zu begreifen und zusammenzuführen, ist als Idee wahrlich nicht neu. Wen die Neugier auf die Uraufführung von Daniel Toledo Guilléns neuem Oratorium-Poem „Hiob“ in die altehrwürdige Regensburger Ulrichskirche lockte, erlebte allerdings eine atemberaubende Verdichtung des Bibeldramas, wie sie vielleicht tatsächlich nur in der eigentümlichen Entrücktheit der ehemaligen herzoglichen Palastkapelle entstehen kann. Auf räumlich und musikalisch verschiedensten Ebenen nähert sich der kubanische Komponist dem Schicksal Hiobs an, unterteilt sein Oratorium in sieben Kapitel, abgegrenzt durch jeweils unterschiedlichste instrumentale und sängerische Besetzungen. Guillén konzentriert sich auf zentrale Textfragmente, überhöht sie zu poetischen und phonetischen Kunstgebilden, dehnt sie in Melismen auf oder zerreißt die Worte in fast unsingbarer, schriller Extase (Sopran: Ruth Toledo Guillén).
Ortswechsel sind Teil der Inszenierung
Im Kontrast steht die Stille: Hiob (Bass: Marlo Honselmann) erhebt seine Stimme aus lang gestreckten, konzentrierten Ruhephasen heraus, mal klagend, dann wieder verzweifelt und zornig zu Gott (Tenor: Benedikt Heggemann). Ortswechsel auf gleicher Ebene oder hinauf in das Obergeschoss sind Teil der Inszenierung. Das Oratorium ist halbszenisch angelegt, jegliche Bewegung im Raum ist dramaturgisch aufgeladen, jeder Schritt, jede Geste wohl überlegt. Percussionist Tim Steinberger zaubert die fein ziselierten Klangimpressionen der Fragestellungen nach der Theodizee, daneben grundiert das bestens besetzte „Ensemble Fluide Regensburg“ und das hochexpressive Vokalensemble (allesamt aus dem direkten Umfeld der Hochschule für katholische Kirchenmusik & Musikpädagogik) die Geschehnisse. Guilléns Musik bleibt bei aller erwartbaren zeitgenössischer Klangsprache stets nachvollziehbar und strukturiert, setzt gekonnt Zitate Alter Musik, verfremdet sie mit der großen Kunst eines Komponisten, der sich viele Jahre intensiv mit dem biblischen Stoff auseinandergesetzt hat. Truhenorgel und Cembalo grüßen aus den Grundfesten seiner künstlerischen Sozialisierung, die sich längst davon emanzipiert hat, hin zu einer charaktervollen Klanglichkeit, die nie zum Selbstzweck die Avantgarde sucht, sondern die Geschichte erzählen will – im Prinzip mit den klassischen dramaturgischen Mitteln des Oratoriums und der Kammeroper.
Steven Heelein als hochkonzentrierter Dirigent
Das Publikum sitzt tief im Geschehen, wird zum stillen Beobachter und Hörer einer Handlung, die sich vor, hinter und über ihren Köpfen abspielt. Die Sänger streifen zum stillen Finale hin durch die Reihen, zischen und flüstern die Schlüsselwörter des letzten Kapitels in die Ohren der Besucher, als hätte das Schicksal und die Geschichte Hiobs auch ganz individuelle Konsequenzen. Der großartige Steven Heelein hält dabei nicht nur als hochkonzentrierter Dirigent die Fäden der komplexen Partitur in der Hand, er gibt die atmosphärischen Impulse mit kleiner Geste und Körpersprache vor, hält die Aufführungsspannung unaufhörlich in seinen Armen. Am Ende dimmt die Musik aus, die Szenerie friert ein. Das Auditorium geht den Weg mit in die lange Stille der tiefen Berührtheit. Dann feiert es den Komponisten und die Musiker für eine beeindruckende und unvergessliche Stunde.
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