Die Oberpfälzer Klaus Eder und Christian Müller sowie der Niederbayer Christian Huhn waren als Physiotherapeuten der DFB-Elf 2014 buchstäblich hautnah dabei auf dem weiten Weg bis hin zum Titelgewinn am 13. Juli in Rio de Janeiro.
Klaus Eders Blick wanderte nach 30 Spielminuten hinüber zur brasilianischen Trainerbank, wo sich Frust mit Verzweiflung paarte. Seine Geste – halb entschuldigend, halb trostspendend – galt dem konsternierten Kollegen, dem Physiotherapeuten der Seleção. Bilder von hemmungslos weinenden Fans im Stadion gingen um die Welt. Es war ja auch schwer zu fassen, was sich an jenem 8. Juli 2014 in Belo Horizonte zutrug.
Die stolze Auswahl des Gastgebers der Fußball-WM zerbrach unter einem Torehagel der deutschen Nationalmannschaft. Der 7:1 (5:0)-Sieg im Halbfinale bleibt ein funkelndes Juwel in der langen Länderspielgeschichte.
Christian Huhn, Spitzname „Chicken“ , packte in der Halbzeitpause alle Taschen voll mit Süßigkeiten, die Sponsoren des Weltverbandes Fifa gewöhnlich in den Kabinen deponieren, die aber natürlich für die Spieler tabu sind. Er verteilte die Kalorienbomben als „Trostpflaster“ an Kinder auf der Tribüne. „Damit habe ich ihnen wenigstens wieder ein kleines Lächeln rausgezaubert“, blickt er im Gespräch mit der Mediengruppe Bayern zurück. Christian Müller ließ die Wucht des Ereignisses erst einmal lange Jahre sacken, ehe er sich doch die Höhepunkte des spektakulären Duells auf YouTube zu Gemüte führte.
Medizinischer Stab fest in bayerischer Hand
Die Regensburger Klaus Eder und Müller sowie der im Landkreis Kelheim ansässige Huhn waren als Physiotherapeuten der DFB-Elf 2014 buchstäblich hautnah dabei auf dem weiten Weg bis zum vierten Stern auf dem Trikot – von der verregneten und von einem folgenschweren Verkehrsunfall bei einem PR-Termin überschatteten Vorbereitung im Südtiroler Passeiertal bis hin zum Titelgewinn am 13. Juli in Rio de Janeiro. Zählt man den Teamarzt und Wahl-Münchner Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt hinzu, war der medizinische Stab fest in bayerischer Hand.
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Am ausgeprägtesten war der Optimismus bei Huhn. „Wir waren vier Jahre zuvor in Südafrika mit einer jungen Mannschaft im Halbfinale knapp an Spanien gescheitert. Wir waren jetzt einfach dran“, sagt er heute. Diese Überzeugung („Wir werden Weltmeister“) sprach er auch früh im Turnier beim Besteigen eines Flugzeugs in die Kamera. Die Szene taucht in dem Dokumentarfilm „Die Mannschaft“ auf. Toni Kroos pirschte sich nach Huhns forscher Ansage von hinten heran und zog diesen spaßeshalber an den Ohren.
Legendäre Wutrede
Müllers Zuversicht hielt sich dagegen lange in Grenzen: „Der Start war – abgesehen vom 4:0-Auftakt gegen Portugal – eher rumpelig.“ Es folgten ein mühsames 2:2 gegen Ghana und ein 1:0-Zittersieg gegen die USA. Auch beim 2:1 nach Verlängerung im Achtelfinale gegen Algerien wussten die Schützlinge von Bundestrainer Joachim Löw nicht recht zu überzeugen. Per Mertesackers legendäre „Eistonnen“-Wutrede nach dem Spiel war ein Spiegelbild der Stimmungslage.
„Die Mannschaft ist dann von Spiel zu Spiel wirklich besser geworden“, sagt Müller. Nach dem 1:0-Erfolg im Viertelfinale gegen Frankreich, der magischen Nacht von Belo Horizonte und dem 1:0 nach Verlängerung im Finale gegen Argentinien war der vierte deutsche WM-Titel nach 1954, 1974 und 1990 perfekt.
Die Basis dafür, davon ist das Trio überzeugt, wurde im brasilianischen Niemandsland gelegt, weitab von den Spielorten. Dabei herrschte beim Bezug des Quartiers Campo Bahia an der Atlantikküste Ernüchterung. „Da war überhaupt nichts fertig, da fehlten zig Sachen, zum Beispiel einige Möbel. Die Küche war wirklich improvisiert. Nichtsdestotrotz haben sich von Anfang an alle wohlgefühlt“, skizziert Müller die Bedingungen. Eder assistiert: „Nachdem die Geburtswehen beseitigt waren, war es dort optimal fürs Team, um den Spirit und die nötige Energie zu entwickeln.“
Wenig Ablenkung
Ablenkung war rar. „Wir, die Mannschaft und der Stab, haben die Freizeit immer gemeinsam verbracht, unten am Strand oder am Pool. Es war wie ein Cluburlaub“, sagt Huhn. Für ihn, Eder und Müller unvergessen bleiben aber die Zuneigung und die Herzlichkeit der Menschen im Dorf Santo André, die die DFB-Elf sogar nach der Rückkehr vom Halbfinale feierten – wohl in der Hoffnung, dass diese nun im Endspiel den Erzrivalen Argentinien in die Schranken weisen würde.
Eder und Müller waren abseits der Spiele wenigstens ein paar spannende Abstecher vergönnt. Mit Kapitän Philipp Lahm und Thomas Müller frönten sie dem Golfsport. Für den Transport zu den Fairways nutzte das Quartett aus Sicherheitsgründen einen Hubschrauber der brasilianischen Armee, der am Campo Bahia stationiert war. Er war eigentlich dafür vorgesehen, verletzte Spieler zur Untersuchung ins nahe gelegene Hospital von Porto Seguro zu bringen.
Ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat sich der Blackout von Christoph Kramer im Finale gegen Argentinien. Nach der Kollision mit dem Argentinier Ezequiel Garay verließ der Mittelfeldspieler benommen den Platz. Eder erläutert: „Es war keine klassische Gehirnerschütterung, er litt an einem Drehschwindel. Das Gleichgewichtsorgan war betroffen, das haben wir schnell diagnostiziert.“ Huhn begleitete den Pechvogel in die Katakomben des Fußballtempels Maracanã. „Er hat zunächst nur wirres Zeug geredet, aber nach ein paar Minuten auf der Liege war er wieder völlig klar“, berichtet der 48-Jährige.
Empfang in Berlin „unfassbar“
Eders persönlicher Höhepunkt des Turniers sollte erst noch folgen – bei der Rückkehr nach Berlin: „Der Empfang war unfassbar. Das war ein extremes Feeling. In der Stadt war ja quasi alles auf den Beinen, vom Flughafen weg bis zum Brandenburger Tor.“
Für den 70 Jahre alten Kult-Physiotherapeuten aus Donaustauf (Landkreis Regensburg) schloss sich in Brasilien der Kreis. Eder war schon 1990 beim WM-Titelgewinn in Italien dabei und wollte eigentlich seine Karriere beim DFB nach dem Triumph in Rio beenden, ließ sich aber von Löw und Teammanager Oliver Bierhoff zum Weitermachen bewegen. Nach der EM 2016 war dann für Müller (61/seit 1998 dabei) und ihn Schluss. Huhn, der heute in Diensten des FC Bayern München steht, gehörte noch 2018 in Russland zum sprichwörtlichen „Team hinter dem Team“, nahm danach seinen Abschied.
Treffen im September
Im September treffen sich die WM-Helden und ihr Staff zum „Zehnjährigen“ im Passeiertal. Es bahnt sich ein feuchtfröhliches Wiedersehen an, ähnlich beschwingt wie damals die ausgelassene Fete an der Bar des Campo Bahia nach dem WM-Auftakt gegen Portugal. Der verärgerte Löw stoppte die Party in den frühen Morgenstunden.
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