Yousuf schmuggelte selbst Captagon. Er berichtet aus dem Innersten einer Bande, von der er benutzt worden sein will – und die ihn zum Handlanger des Regimes gemacht hat, gegen das er in Syrien einst kämpfte.
Nur einigen Insidern bei Polizei, Zoll, Nachrichtendiensten sowie internationalen Forschungsinstituten ist Captagon bis vor wenigen Jahren ein Begriff gewesen. Mittlerweile sind die gelblich-weißen Tabletten mit der markanten Prägung zweier Cs zu einem Synonym geworden – sie stehen für eines der profitreichsten Geschäfte des internationalen Drogenhandels.
Lesen Sie zu diesem Thema auch: Droge, Macht und Terror – ist der Vormarsch von Captagon noch aufzuhalten?
Das Geschäft mit dem „Kokain des kleinen Mannes“, wie die Droge auch genannt wird, boomt. Das zeigt sich auch an den Grenzen zu Jordanien, zu Ägypten, der Türkei oder dem Irak. Hunderte Kilo, Millionen von Pillen, werden dort Woche für Woche sichergestellt. Und das Thema beschäftigt auch in Deutschland immer mehr Ermittler. Nach gut zwei Jahren Recherche gelingt es dem Team von BR, MDR, RBB, SWR, F.A.Z. und Mediengruppe Bayern, einen Mann zu finden, der selbst Captagon schmuggelte. Er berichtet aus dem Innersten einer Bande, von der er benutzt worden sein will.
„Musste nichts machen, außer den Container zu transportieren“
Yousuf (Name geändert) kam als Flüchtling nach Deutschland. Weil er in Syrien gegen das Regime kämpfte, lebt er bis heute in Angst. Yousuf eröffnet eine Transportfirma in seiner neuen Heimat – deshalb meldet sich auch ein Landsmann und will mit ihm zusammenarbeiten. „Ich musste nichts machen, außer den Container zu transportieren“, erzählt er. „Das war ja mein Business.“
Doch, das betont er vielfach: Ihm sei gesagt worden, es gehe um Medikamente, die geschmuggelt werden. Tatsächlich war es Captagon. Yousuf ist heute überzeugt, dass er ganz gezielt ausgewählt wurde. Er kann Deutsch, hatte die nötigen Papier für den Export – sein neuer Partner war erst ganz kurz in Deutschland. „So läuft das“, weiß Yousuf aus der Erfahrung nun, „man baut Vertrauen auf, dann kommen die Drogen ins Spiel“.
Das könnte Sie ebenfalls interessieren: Größter Captagon-Fund in Deutschland: Prozess um Drogen im Wert von 60 Millionen Euro startet
Zwischen 10 und 30 000 Euro soll er pro Lieferung bekommen. Ist Geld nötig, um Tarnwaren zu kaufen oder Unkosten zu decken, bekommt er binnen Stunden Bares. Geld scheint für den wahren Hintermann keine Rolle zu spielen. Als dann die Drogenlieferung kommt, sollte er abseits warten. „Mit der Person, die lieferte, durfte ich nicht sprechen“, war die Anweisung, „keinen Kontakt“.
Kommuniziert wird ausschließlich per Chat, irgendwann sogar direkt mit dem Drahtzieher, ist sich Yousuf sicher. „Es ging um Vertrauen, und aus diesem Grund habe ich mitgemacht“, sagt er und wiederholt mehrfach, dass er kein Drogendealer sei. Letztlich wird es das leicht verdiente Geld gewesen sein, dass ihn auch überzeugte. Richtig eingestehen kann oder will sich der Mann das jedoch nicht. Er hätte doch nur der Mann für den Versand der Drogen sein sollen.
„Ich bereue, dass ich so etwas gemacht habe.“
Ein Kronzeuge erzählt
Wer der Big Player, der Boss im Hintergrund, ist oder war, das weiß Yousuf bis heute nicht. Eines aber schon: Er hat sich zum Handlanger eines Regimes gemacht, das er einst mit aller Kraft bekämpft hatte. „Tausend Fragen habe ich mir gestellt, die ich nicht beantworten kann“, erzählt er. „Ich habe diesen Verbrechern geholfen, mehr Geld zu verdienen.“ Dafür schäme er sich sehr.
Kronzeuge will waren: Helfer werden gezielt gesucht und belogen
Und Yousuf will warnen, damit es anderen Landsleuten nicht ähnlich ergeht. Denn so laufe das Geschäft: „Ein großer Drogenhändler irgendwo in dieser Welt“ will seine Geschäfte in Deutschland aufziehen. Der beauftragt eine Person, die ihm vor Ort hilft und jemanden sucht, „der keine Ahnung hat, der vielleicht gerade ein Geschäft eröffnet hat“. Und schon stecke man mittendrin in einem Geschäft, das Leben zerstört und Terror finanziert.
• Das ARD-Politmagazin „Fakt“ sendet am 8. Oktober 2024, 21.45 Uhr, einen Beitrag zum Thema. Die ausführliche, halbstündige Dokumentation der gemeinsamen Recherche von BR, MDR, RBB, SWR, F.A.Z. und Mediengruppe Bayern ist ab spätestens 9. Oktober 2024 im Internet abrufbar: www.ardmediathek.de
Artikel kommentieren