Landesversammlung
„Politikmacherinnen“ im Wahlkampfmodus: Ulrike Scharf mobilisiert Hausmacht

02.09.2023 |

„Politikmacherin mit Hausmacht“: Ulrike Scharf wurde mit 95,9 Prozent als Landesvorsitzende der Frauen-Union bestätigt. Foto: is

Sollte? Könnte? Hätte? Die drei Worte sind auf den Schokotalern dick durchgestrichen, die bei der Landesversammlung der Frauen-Union in Regensburg auf den Tischen liegen. Die 21.384 Mitglieder der größten Arbeitsgemeinschaft der CSU verstehen sich alle als „Politikmacherinnen“ mit Tatkraft, gerade jetzt, im fünfwöchigen Endspurt vor der Landtagswahl.



Ulrike Scharf, Landesvorsitzende und bayerische Sozialministerin, schwört die rund 250 Delegierten am Samstag stellvertretend auf den Kampf um jede Stimme ein – wohl wissend, dass die Flugblatt-Affäre um Freie-Wähler-Chef und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger die politische Gesamtlage gerade kräftig durcheinanderwirbelt.

Füracker wirbt für Seriosität

Der Name Aiwanger fällt bei den Reden auf der Landesversammlung kein einziges Mal, auch wenn der Unmut über den Koalitionspartner mehrfach deutlich durchklingt. „Diese Affäre ist insgesamt unglaublich ärgerlich. Es schadet dem Ansehen Bayerns, dass so ein Thema eine solche Wucht entwickelt“, sagt Scharf.

Landtagspräsidentin Ilse Aigner umschreibt das Geschehen der vergangenen Woche so: „Wir haben mit manchen externen Faktoren zu kämpfen, wenn ich das jetzt einmal vorsichtig formuliere, die mit uns nichts zu tun haben, die uns aber belasten.“

Negativ-Beispiel: „irgendwelche Koalitionspartner“



Der Oberpfälzer CSU-Chef und Finanzminister Albert Füracker, dessen Aiwanger-Skepsis durch jüngste Volksfest-Auftritte des Freie-Wähler-Chefs offenbar nicht kleiner geworden ist, beklagt als Problem der Zeit, „dass die, die am lautesten im Bierzelt schreien, vermeintlich Recht haben“. Es müsse auch noch möglich sein, Politik seriös zu vertreten, auch wenn sich jeder nach einfachen Antworten sehne. Als Negativ-Beispiel nennt er – wieder ohne dass Aiwangers Name fällt – „irgendwelche Koalitionspartner“, die die ersten 2000 Euro Einkommen pro Monat steuerfrei stellen wollen. „Da klatscht jeder“, sagt Füracker, rechnet aber die Steuerausfälle vor, die sich daraus pro Jahr ergeben: Neun Milliarden Euro beträgt demnach das Minus allein für Bayern, weitere 3,5 Milliarden seien es bei den Kommunen im Freistaat, 110 Milliarden beim Bund. „So etwas ist Wählerbetrug mit Ankündigung“, sagt er unter Beifall.

In der Frauen-Union und in der CSU grassiert die Furcht, dass die Flugblatt-Affäre der eigenen Partei am Wahltag Prozente kosten wird – die Freien Wähler wegen eines Mitleids-Bonus für Aiwanger dagegen profitieren. Die innerbayerischen Debatten torpedieren zudem die Strategie, sich im Wahlkampf auf Kritik an der Ampel-Regierung in Berlin zu konzentrieren. Scharf startet am Samstag einen neuen Anlauf. Die Politik von SPD, Grünen und FDP vernichte Wirtschaftskraft. „Deutschland schrumpft als einziges der 27 EU-Staaten. Wir sind das Schlusslicht mit einem Negativ-Wachstum.“ Ohne florierende Wirtschaft seien auf Dauer aber auch Sozialleistungen schwer finanzierbar.

Hightech-Agenda „richtige Weichenstellung“



Aigner schlägt in die gleiche Kerbe: Deutschland gelte inzwischen als der „kranke Mann Europas“, bedauert sie und lobt im gleichen Atemzug das zukunftsweisende Gegenkonzept des bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chefs Markus Söder: Die milliardenschwere Hightech-Agenda sei die „richtige Weichenstellung“, finanziere im Freistaat allein 100 neue Professuren für Künstliche Intelligenz. Füracker widerspricht dem Vorwurf des Dauer-Ampel-Bashings durch die CSU. „Es ist eine pure überlebensstrategische Frage.“ Was in der Bundeshauptstadt „vermurkst“ werde, habe unmittelbare Auswirkungen auf das Leben im Freistaat. Er fordert unter anderem Korrekturen bei der Erbschaftssteuer. „Wenn die Werte von Immobilien sich verdreifachen, müssen sich auch die Freibeträge verdreifachen. Das ist doch logisch.“ Scharf macht sich zur Entlastung der Bürger für eine Senkung der Stromsteuer und der Netzentgelte stark.

Neuwahl des Vorstands

Bei der Landesversammlung wird auch die Führungsriege der Frauen-Union neu gewählt. Scharf wird mit 95,8 Prozent als Vorsitzende bestätigt. Als Stellvertreterinnen bleiben die Bundestagsabgeordneten Anja Weisgerber (Unterfranken) und Silke Launert (Oberfranken) im Amt, außerdem Barbara Gerl (Oberpfalz), Gudrun Zollner (Niederbayern) und Ulrike Grimm (München).

Gerl, die in der Oberpfalz auch Bezirksvorsitzende der Frauen-Union ist, fordert am Samstag besondere politische Aufmerksamkeit und Sensibilität für den ländlichen Raum. Denn hier würden die Herausforderungen der Energiewende gelöst. „Bei uns entstehen Photovoltaik-Anlagen und Windräder.“ Die Bürger vor Ort fühlten sich bei diesen Plänen aber zu oft bevormundet. Auch Pläne für das Schulwesen oder Kinderbetreuung seien zumeist eher großstadtgerecht.

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