Wer zu alt wird, wird aussortiert – oder zumindest in die zweite Reihe geschoben. Hollywood ist schließlich wahnhaft besessen von Schönheit mit dem Glanz der Jugend.
Auch Demi Moore dürfte aus eigener Erfahrung nur zu gut wissen, wie gnadenlos das Filmbusiness vor allem mit seinen weiblichen Stars spätestens jenseits der 40 umgeht. Nachdem die Schauspielerin in den 90ern eins der Sexsymbole schlechthin war und mit Erotikthriller-Hits wie „Ein unmoralisches Angebot“ oder „Striptease“ die Kassen klingeln ließ, entstand in den vergangenen zehn, 15 Jahren im Grunde nichts, woran man sich erinnert. Das ändert sich nun: Mit „The Substance“ knallt die 61-Jährige ins Rampenlicht zurück und setzt für ein Comeback an, wie es brachialer, aber auch selbstironischer kaum sein könnte.
Spiegelung von Moores eigenem Karriereverlauf
Coralie Fargeats satirischer Horrorthriller ist schließlich so etwas wie eine groteske Zerrspiegelung ihres eigenen Karriereverlaufs. Auch bei Moores 50-jähriger Filmfigur Elisabeth Sparkle, eine ehemalige Hollywood-Größe und mittlerweile eine TV-Aerobic-Berühmtheit, verblasst altersbedingt der Ruhm immer weiter. In ihrer Show soll sie daher gegen eine deutlich jüngere Kollegin ausgetauscht werden. Doch dann wird ihr eine geheimnisvolle, verheißungsvolle Substanz angeboten, die ihr die Rettung ihrer Karriere verspricht: Kaum spritzt sie sich dieses dubiose Mittel, wächst aus ihrem älteren Ich ein junges, strahlendes Ich (Margaret Qualley). Im wöchentlichen Wechsel lebt sie beide Versionen ihrer selbst. Was anfangs noch funktioniert, gerät allerdings schnell aus der Balance und Sparkle ist in einer selbstzerstörerischen Eskalationsspirale gefangen.
Film könnte kürzer und knackiger sein
Die französische Regisseurin Coralie Fargeat, die zuletzt 2017 in ihrem Debüt „Revenge“ dem Rachehorror einen feministischen Spin verpasste, schickt Sparkle durch eine extrem stilisierte Hölle eines aus der Bahn geworfenen Celebrity-Lebens. Alles und jeder ist ins Extrem überzeichnet. Qualley schält sich dabei wiederholt in jugendlicher Makellosigkeit aus Moore heraus. Wiederholt zeigt sich diese dabei völlig nackt und trotz aller Schönheits-OPs mit Makeln, die das Leben nach sechs Jahrzehnten auf einem Körper hinterlassen hat – im Kino ist das eher die Ausnahme. Ob Moore wohl selber einst die Substanz genommen hätte? Auf jeden Fall ist sie nun noch einmal auf einem Altershoch in ihrer Karriere.
Sicher zieht „The Substance“ auf dem Weg zum gnadenlosen Showdown die eine oder andere redundante Schleife und könnte deutlich kürzer und knackiger sein. Auch die Moral des Films, der auf den Filmfestspielen in Cannes mit dem Preis für das beste Drehbuch prämiert wurde, ist recht simpel. Um keinen Zweifel zu lassen, verkündet Fargeat ihre Abrechnung mit Sexismus und Schönheitskult in aller Deutlichkeit durch ein Megafon und zertrümmert den Jugendwahn mit dem Vorschlaghammer.
Grelle Effekte, explizite Szenen
Für Subtilitäten ist daher kein Platz, wenn sie das Genre des Körper-Horrors mit viel absurdem Humor feministisch und innig umarmt: Der Film spart nicht mit grellen Effekten, lässt Blutsudelfontänen sprudeln und geht bei den physischen Deformationen so derb und explizit ins Extrem, dass sich mehrfach der Magen umdreht, sich die Haare aufstellen und die Zehennägel kräuseln. Die Botschaft kommt so auf jeden Fall an. Kein Zweifel. Und das mit abgründiger und schocksicherer Unterhaltsamkeit.
Sascha Rettig
• USA 2024, von Coralie Fargeat, mit Demi Moore, Margaret Qualley, Dennis Quaid, 140 Minuten, ab 16 Jahren
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