Max Lindemann inszeniert John Steinbecks berühmten Roman, ohne die Parallelen zur Gegenwart aufzugreifen – aber in eindrucksvollen Bildern und mit großartigen Schauspielern.
Öd ist der Weg durch die trostlose, vertrocknete Landschaft. Der alte Laster rumpelt über die löchrigen Straßen des „Dust Belt“: von Oklahoma nach Kalifornien. 2000 Kilometer weit ist das gelobte Land, wo es Arbeit geben soll für die verarmten Bauern als Pflücker auf den Obstplantagen. „Okies“ werden sie spöttisch genannt, jene Farmer, die wegen der menschengemachten Dürre nach Missernten ihre Pacht nicht mehr zahlen können, bis die Banken sie vom einstigen Besitz vertreiben.
Öd und langatmig mutet in Teilen auch die Aufführung im Volkstheater an, die auf John Steinbecks (1902-1968) im Jahr 1939 veröffentlichtem Roman „Früchte des Zorns“ basiert. Das Buch wurde von gewissen Kreisen in Amerika lange abgelehnt, zeitweise sogar als kommunistisch verboten; Steinbeck aber erhielt dafür den Pulitzerpreis und 1962 auch den Nobelpreis für Literatur.
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Der junge Max Lindemann hat das Werk für seine erste Regie am Haus selbst bearbeitet, genauer gesagt, in epischer Breite nacherzählt – und dabei das brandaktuelle Potenzial dieses Jahrhundertwerks nicht gehoben. Dabei liegen die Parallelen zur Gegenwart auf der Hand: die ökologische Krise im Verbund mit ökonomischen Problemen. Das betrifft zum Teil die katastrophalen Wetterphänomene der 1930er in den USA, vor allem aber deren Folgen: Wanderarbeiter, sprich Wirtschafts- bzw. Arbeitsmigranten, von der im wohlhabenden Westen Kaliforniens ansässigen Bevölkerung mit Ablehnung empfangen, in Lager gepfercht, vom kapitalistischen System ausgebeutet. Lindemann hat die Story in ihrer Zeit gelassen, den Jahren nach dem Börsencrash 1929 und der wirtschaftlichen Depression der Folgezeit, ja sie geradezu in einem putzigen Realismus auf die Bühne gestellt.
Im Wechsel treten die Schauspieler als „neutrale“ Erzähler mit Original-Passagen auf, um Hintergründe zu erklären, Zeitsprünge zu überbrücken oder auch, wie es der sozialkritische linke Journalist Steinbeck auch in seinen Reportagen tat, hard facts zu vermitteln. Meist einzeln, manchmal wie ein antiker Chor, bis sie sich wieder zurückziehen, um sich am Rand der Bühne, sichtbar fürs Publikum, schnell ins Rollen-Outfit zu werfen.
Glücklicherweise wird der pathetische Schluss des biblisch verankerten Textes – der Titel bezieht sich auf das Johannes-Evangelium im Neuen Testament – nicht dargestellt, sondern lediglich referiert: Nachdem die Tochter der Familie eine Totgeburt hatte, bietet sie einem Verhungernden ihre Brust. Im Wechsel dazu werden einzelne Episoden in einem ästhetischen Roll Back szenisch ausgepinselt: die Flucht der Familie, ihre strapaziöse Reise, die Tristesse der Lager, Zusammenstöße mit der Polizei und natürlich Prügeleien, Mord und Totschlag. Detailliert in ungewohntem Naturalismus gespielt, aber am Ende immer als äußerst effektvolles Diorama inszeniert, in dem die Darsteller in Rückenansicht wie Film Stills eingefroren sind. Dadurch entstehen wirklich tolle Bilder, deren emotionale Wirkung sich noch durch atmosphärische Geräusche wie monotones Fliegen-Gesumme und krächzende Unglücksraben, besonders aber dramatische Musik verstärkt.
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Die Handelnden kommen wie die Figuren aus John Fords Verfilmung (mit Henry Fonda in einer Hauptrolle) in ärmlichen Klamotten daher, pittoresk bis ins Detail ausgestattet. Holzschnitthaft auf ein essenzielles Charakteristikum verknappt, spielen sie im roughen, lieblosen Ton ihrer Schicht äußerst plakativ lediglich eindimensionale Typen – aber das, obwohl die meisten der neun Darsteller für ihre Rolle eigentlich viel zu jung sind, schauspielerisch sehr überzeugend: Herausragend ist Anne Stein als resolute Mutter, die wie eine Trümmerfrau pragmatisch die zerfallende Familie erhält, Lukas Darnstädt als Vater Joard, der seine Führungsrolle verliert, eindrucksvoll Lorenz Hochhuth als einstiger Prediger Casy, vom Glauben abgefallen, stattdessen engagiert als zukünftiger Gewerkschaftler und Max Poerting als ältester Sohn Tom, der die Zerrissenheit des zweimaligen Mörders spüren lässt.
Abgesehen von fehlender Neuinterpretation und einiger Längen inszeniert Lindemann ein optisch überzeugendes Roadmovie, für das Marlene Lockmann auf das runde Spielpodest im Halbkreis eine weiße Filmleinwand gestellt hat. Dort wird live an einem seitlich stehenden Dorfmodell Gefilmtes projiziert, so dass man bewegte Bilder sieht, während die Familie im Vordergrund auf einem Wagen, am Lagerfeuer palavert oder durch die Apokalypse taumelt.
„Früchte des Zorns“ ist am Münchner Volkstheater bis 5. Feberuar zu sehen. Karten-Telefon (089) 523 46 55
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