Von Barbara Reitter
Die Rotunde ist das Herz des Museums. Hier treffen Menschen aufeinander, von hier geht es zu den verschiedenen Sammlungen der Pinakothek der Moderne. Und hier finden seit 2019 künstlerische Interventionen unterschiedlichster Art statt, die jeweils von einer der vier Sammlungen des Hauses bespielt werden. Zurzeit sind es zwei: während auf dem Boden das „Social Seating“ (bis 11. Mai) von allen Altersgruppen lustvoll in Besitz genommen wird, schwebt darüber eine meditative Installation, mit welcher die Neue Sammlung erstmals in Deutschland die afrikanische Künstlerin Ngozi-Emeje Ezema (Jahrgang 1979) präsentiert.
„Social Seating“ vereint eine Ansammlung originell designter Sitzmöbel in poppigen Farben, die zum Hineinkriechen und Klettern ebenso geeignet sind wie für entspanntes Sitzen. Das 10. Rotundenprojekt „Boundless Vases“, was etwa mit „grenzenlos“ oder „unendlich“ zu übersetzen ist, stammt von einer nigerianischen Keramik-Künstlerin Ngozi-Omeje Ezema, ausgebildet an der University of Nigeria in Nsukka, wo sie jetzt auch lehrt. Sie steht exemplarisch für eine neue Generation in vielen Staaten des afrikanischen Kontinents, welche sich auf das Erbe ihrer Vorfahren beruft, doch dieses gleichermaßen durch den zeitgemäßen Charakter ihrer Kunstwerke in Frage stellt. Ezemas Arbeiten, ob Einzelobjekte oder für den öffentlichen Raum konzipiert, führen die überlieferte handwerkliche Tradition ihres Heimatlandes aus ihrer ursprünglichen Funktion heraus – und transformieren sie in einen konzeptuellen Kunst-Kontext.
„Boundless Vases“ wurde eigens für die riesige runde Eingangshalle der Pinakothek der Moderne entworfen. Die beeindruckende Arbeit besteht aus mehreren, an der Decke in unterschiedlichen Höhen schwebenden, nach unten allerdings offenen Gefäßen. Hunderte filigraner, transparent wirkender Keramikteilchen in einer Farbskala zwischen Beige und Braun wurden an transparenten Nylonfäden zu bauchigen Formen zusammengeführt. Sie sind Formen aus der Natur nachempfunden, hier Blättern, deren fragmentierter Charakter jedem einzelnen Betrachter individuell Raum für Interpretation lässt.
Blätter assoziiert die Keramikerin persönlich mit Fragen des Frau-Seins, da ein Blatt einerseits vergänglich ist, andererseits aber auch verschiedene Seinszustände abbildet. „Das Blatt steht für Aspekte der Sanftheit bei Frauen, die oft als selbstverständlich angesehen werden. Das Blatt kann auch ein Hinweis auf ein langes Leiden von Frauen in Beziehungen sein...“, erklärt sie zum gedanklichen Hintergrund ihres Werks. Was immer man von diesem interpretatorischen Hinweis für sich persönlich mitnehmen kann – der Anblick dieser Riesen-Mobiles ist ästhetisch reizvoll und wirkt in der optischen Überreizung eines Museumsbesuchs durch seine formale Ausgewogenheit einfach sehr beruhigend.
Barbara Reitter
Bis 11. Mai in der Pinakothek der Moderne München, Barer Str. 40, Di.-So. 10-18, Do. 10-20 Uhr
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