Auf höchster Chefebene ringt die Ampel um den Haushalt für das kommende Jahr. Hält die Schuldenbremse? Werden Großprojekte gestrichen? Wahrscheinlich müssen alle Partner bittere Pillen schlucken.
Mit jeder Stunde ohne Einigung wächst der Druck auf die Spitzen der Ampel-Regierung, das Milliardenloch im Haushalt zu stopfen. Will sie den Etat für das kommende Jahr beschließen, muss in den nächsten Stunden eine Lösung her.
Kanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) täten alles dafür, „dass wir den Haushalt 2024 baldmöglichst beschließen können“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Ob es bis zur Sitzung des Kabinetts Eckdaten geben wird, ließ sie aber offen.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vor drei Wochen fehlen im Bundeshaushalt für das kommende Jahr laut Lindner rund 17 Milliarden Euro. Das höchste deutsche Gericht hatte die Umschichtung von 60 Milliarden Euro für nichtig erklärt. Das Geld war als Corona-Kredit bewilligt worden, sollte aber später für Investitionen in Klimaschutz und die Modernisierung der Wirtschaft genutzt werden. Außerdem entschieden die Richter, dass sich der Bund in Notlagen bewilligte Kredite nicht für spätere Jahre zurücklegen darf.
Seitdem ringen die Koalitionspartner von SPD, Grünen und FDP um den Haushalt für 2024. Wofür kann noch Geld ausgegeben werden? Wo wird gekürzt? Oder kann man das Problem mit neuen Krediten lösen? In der Wirtschaft und bei Sozialverbänden herrscht große Unsicherheit was aus Förderprogrammen und versprochenen Mitteln wird.
Baerbock mahnte: „In einer Zeit, wo die Krisen übereinander einbrechen, müssen wir als starke Demokratien zeigen, dass wir auch in Krisenzeiten maximal handlungsfähig sind.“ Aktuell scheint von Durchbruch bis zu veritabler Regierungskrise noch alles möglich. Denkbare Szenarien:
Einigung auf Sparkurs
FDP-Chef Lindner möchte das Geld durch einen strikten Sparkurs zusammenkratzen. Er nennt drei Kostenblöcke: Soziales unter anderem mit dem Bürgergeld, internationale Finanzhilfen sowie nicht näher spezifizierte Förderprogramme. Die geplante Bürgergeld-Erhöhung müsse angesichts der Inflationsentwicklung überdacht werden, meint die FDP.
Dieser Forderungen erteilte Sozialminister Hubertus Heil eine Absage. Es sei „moralisch unverantwortlich und mit der Verfassung nicht vereinbar“, den Betroffenen eine Anpassung der Regelsätze zu verwehren, erklärte der SPD-Politiker. Auch Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte: „Ich wüsste nicht, dass es innerhalb der Bundesregierung Pläne gibt, an der gesetzlichen Grundlage etwas zu verändern.“
Auch SPD und Grüne stemmen sich dagegen. „Die Kosten für Lebensmittel, Energie, Schulmaterial, für den täglichen Bedarf sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen“, sagte Grünen-Chefin Ricarda Lang der Deutschen Presse-Agentur. Daher sei die Erhöhung nach wie vor richtig.
Die Grünen dagegen möchten bei klimaschädlichen Subventionen sparen. Das Umweltbundesamt plädierte im „Handelsblatt“ für Einschränkungen beim sogenannte Dieselprivileg und der Pendlerpauschale sowie für die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs, das aus Sicht von Kritikern den Verkauf großer Verbrennerautos fördert und oberen Einkommensgruppen zugutekommt. Hier dürfte aber die FDP nicht mitziehen.
Fazit: Dass sich die Ampel-Regierung auf genügend kleinteilige Spar-Projekte einigt, um die fehlenden Milliarden zusammenzukratzen, erscheint unwahrscheinlich. Genauso der Verzicht auf große Prestigeprojekte.
Einigung auf neue Notlagenkredite
SPD und Grüne plädieren dafür, auch im kommenden Jahr die Schuldenbremse auszusetzen und mehr Kredite aufzunehmen. Dafür müsste der Bundestag eine Notlage erklären. Eine Begründung dafür könnte der Ukraine-Krieg sein - so dass man zumindest direkte Unterstützungsleistungen vor die Schuldenbremse ziehen könnte.
Lindner ist davon bisher nicht überzeugt, auch weil befürchtet, dass die Bundesregierung damit erneut vor Gericht landet. Eine Klage der Union wäre sehr wahrscheinlich.
Denn auch Experten halten eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse zumindest für riskant. Der Rechtswissenschaftler Hanno Kube sagte in einer Anhörung des Haushaltsausschusses, die Anforderungen an einen Notlagenbeschluss stiegen, je länger die Lage bestehe. Denn auf länger andauernde Situationen könne sich ein Haushaltsgesetzgeber einstellen. Mit der Zeit werde die Finanzierung dann zu einer regulären Staatsaufgabe.
Fazit: Dass die FDP einer Aussetzung der Schuldenbremse - ohne Sparrunde - zustimmt, ist unwahrscheinlich.
Habeck-Berater sehen Reformbedarf bei Haushaltspolitik
Berater von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) warnen indes vor einem dramatisch zunehmenden Druck auf die öffentlichen Finanzen durch die Alterung der Gesellschaft. Zugleich müssten unter anderem die Digitalisierung und der klimafreundliche Umbau bewältigt werden, schreibt der wissenschaftliche Beirat beim Ministerium in einem Gutachten. Der Beirat ist ein Gremium von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die den Minister unabhängig beraten.
Der Beirat geht davon aus, dass im Jahr 2040 deutlich mehr als die Hälfte des Bundeshaushalts allein für die Rente aufgewendet werden muss. Gleichzeitig müsse aber auch Geld ausgegeben werden für wichtige Bereiche wie die Verteidigungs- und Außenpolitik sowie die Infrastruktur. Die Wissenschaftler plädieren für eine weitreichende Reform der Schuldenbremse.
Mischlösung mit bitteren Pillen für alle
Die aktuell wahrscheinlichste Variante ist eine Mischlösung, bei der jeder Koalitionspartner eine bittere Pille schlucken müsste. So könnten nur die direkten Unterstützungsleistungen für die Ukraine mit einem Notlagenbeschluss vor die Schuldenbremse gezogen werden.
Zugleich könnte es Einschnitte bei der Bürgergeld-Erhöhung geben, die der SPD besonders wichtig ist. Von den Projekten der Grünen könnte man an die ab 2025 geplante Kindergrundsicherung von Familienministerin Lisa Paus rangehen. Lindner hat bereits betonte, man müsse die Planungen für 2024 und 2025 in einem Guss betrachten.
Der enge Zeitplan
Am liebsten würde die Ampel-Koalition den Haushalt noch vor Jahresende unter Dach und Fach bringen. Das Kabinett müsste dann am Mittwoch in der regulären Sitzung oder später im sogenannten Umlaufverfahren zustimmen. Dann ginge alles in den Haushaltsausschuss.
Der braucht mehrere Tage Zeit, sich mit den Unterlagen zu beschäftigen, so dass er seine Bereinigungssitzung erst in der kommenden Woche abschließen würde. Der Bundestag könnte dann in der Woche vor Weihnachten zu einer Sonder-Haushaltswoche zusammenkommen und abschließend beschließen. Grünes Licht im Bundesrat könnte es dann etwa am 22. Dezember geben.
Ebenfalls gehandelt wird, dass man sich vor Weihnachten noch politisch einigt - dann aber erst im Januar im Bundestag abstimmt. Auch damit könnte Scholz wohl leben. Womöglich könnte der Haushaltsausschuss den Etat zumindest in einer Bereinigungssitzung schon festzurren.
Verschiebung auf 2024
Auch das ist eine Variante, mit der vor allem Lindner und die FDP auch gut leben könnten. Dann würde Anfang Januar zunächst eine vorläufige Haushaltsführung gelten, nur notwendige Ausgaben wären erlaubt. Doch die Situation könnte zu einer echten Regierungskrise anwachsen, wenn man keinen Einigungsdruck mehr hat.
Dann wäre auch denkbar, dass einer der Partner die Nerven verliert und aussteigen will. Doch damit wird derzeit nicht gerechnet, da bei den aktuellen Umfragewerten wohl keine der drei Parteien von einem Platzen der Koalition profitieren würde.
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