Heutzutage ist der Storch aus dem Norden nicht mehr wegzudenken. Doch hier war er nicht immer heimisch, wie eine aktuelle Studie zeigt. Seine Verbreitung hat vermutlich mit den Menschen zu tun.
Der Weißstorch ist in Norddeutschland erst seit dem Mittelalter heimisch. Dies geht aus einer archäologischen Studie hervor, die im Fachblatt „Journal of Ornithology“ veröffentlicht wurde. Schleswig-holsteinische Forscher haben darin die Verbreitungsgeschichte des Weißstorchs in Europa seit der letzten Eiszeit anhand archäologischer Funde untersucht, wie die Universität Kiel mitteilte.
Norddeutschland sei erst in vergleichsweise junger Vergangenheit Teil des Weißstorchgebiets geworden, sagt der Ornithologe Kai-Michael Thomsen, der am Michael-Otto-Institut im Naturschutzbund Deutschland (Nabu) forscht und einer der Autoren der Studie ist.
Erst vor etwa 1000 Jahren habe sich das Verbreitungsgebiet des Weißstorches rasant nach Nordosten erweitert, sagt Thomsen. „Das fällt zeitlich mit dem mittelalterlichen Landesausbau zusammen, bei dem viele Wälder gerodet und neue landwirtschaftliche Nutzflächen angelegt wurden.“ Offenbar sei der Weißstorch langfristig ein Nutznießer von bestimmten, menschengemachten Landschaftsveränderungen.
Archäologen und Ornithologen arbeiten für die Studie zusammen
Gemeinsam mit dem Archäozoologen Ulrich Schmölcke vom Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) in Schleswig und mit Unterstützung des Exzellenzclusters Roots an der Kieler Universität hat der Ornithologe Thomsen bereits veröffentlichte Funde von Vogelknochen im Umfeld von prähistorischen oder frühgeschichtlichen Siedlungen ausgewertet. Neuere Funde haben die beiden Autoren aus aktueller Forschungsliteratur ergänzt. „Dank dieser umfangreichen Datengrundlage lassen sich zuverlässige Aussagen über die Verbreitung des Weißstorchs in den letzten Jahrtausenden treffen“, sagt Schmölcke.
Demnach war der Weißstorch bis vor 1500 Jahren ausschließlich im Süden und Westen Europas verbreitet, vor allem auf der iberischen Halbinsel, im Oberrheingebiet und auf dem südlichen Balkan. „Die Verbreitungsgrenze des Weißstorchs stimmte am Ende der Antike genau mit der Ausdehnung des Römischen Reiches überein“, erklärt der Archäologe. Jenseits der Grenzen des Römischen Reiches habe der Weißstorch dagegen keine geeigneten Lebensräume gefunden. Es gab den Angaben zufolge weniger offene Flächen, weil Landwirtschaft nicht so intensiv betrieben wurde.
Nach Ansicht der Verfasser bringt die Studie wichtige Erkenntnisse sowohl für den Naturschutz als auch für die Archäologie. „Wenn wir verstehen wollen, wie Arten sich ausbreiten oder warum sie aus einigen Gebieten wieder verschwinden, können wir uns nicht nur den aktuellen Zustand ansehen. Wir müssen auch langfristige Entwicklungen verstehen“, sagt Thomsen.
© dpa-infocom, dpa:241002-930-249975/1
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